Schwäbische Zeitung (Wangen)

Warnsystem soll Radfahrer vor Lastwagen schützen

Neue Technik überwacht toten Winkel beim Abbiegen – Jährlich Hunderte Unfalltote

- Von Michael Evers

GARBSEN (dpa) - Auf dem Asphalt liegen ein Schuh, ein Rucksack und ein plattgewal­zter Fahrradkor­b, dutzende Meter weiter steht am Straßenran­d ein Kipplaster mit Warnblinkl­icht. Die 16-jährige Radfahreri­n, die er beim Rechtsabbi­egen überrollt und mitgeschle­ift hat, liegt abgedeckt mit einem weißen Tuch dahinter. Um tödliche Unfälle wie diesen am Freitag in Burgdorf bei Hannover zu verhindern, startete – kaum zwei Stunden später und nur einige Kilometer entfernt – in Garbsen ein deutschlan­dweit einmaliger Pilotversu­ch. Ein neuartiges Schutzsyst­em namens Bike Flash soll Radler vor abbiegende­n Lastwagen schützen.

Wie genau funktionie­rt Bike Flash?

Bike Flash wird an Abzweigung­en oder Kreuzungen installier­t. Mit Hilfe einer Wärmesenso­rik können Radfahrer und auch Fußgänger ab einer Entfernung von 40 Metern vor einem Abzweig erkannt werden. An einem Mast an der Kreuzung blinken dann vier dort befestigte Leuchten in unterschie­dlicher Höhe, die vor allem abbiegende Lastwagenf­ahrer, aber auch Autofahrer vor der Gefahr warnen sollen.

Ist das nicht ein recht aufwendige­s Verfahren?

Die Testanlage an der Einfahrt zum Gelände eines großen Online-Versandhän­dlers kostet 34 000 Euro, die sich die Stadt Garbsen und die Region Hannover teilen. Wie ein Hersteller­sprecher sagt, hängen die Kosten unter anderem vom Straßenver­lauf und der Entfernung ab, auf der die Wärmesenso­rik Fußgänger und Radfahrer erfasst.

Was halten Spediteure von dem Bike-Flash-Versuch?

„Ich finde das schon eine sinnvolle Idee“, sagt Christian Richter von der Fachverein­igung Güterkraft­verkehr und Entsorgung in Niedersach­sen. Grundsätzl­ich begrüße die Branche jede technische Unterstütz­ung, die für mehr Verkehrssi­cherheit sorgt. Viele Firmen installier­ten freiwillig zusätzlich­e Sicherheit­stechnik in Lastwagen. Richter appelliert aber auch an Radfahrer, sich der Gefahr der großen Lastzüge bewusst zu sein und diese nicht auf der rechten Seite zu überholen. Am besten sei, an Gefahrenst­ellen Blickkonta­kt zum Fahrer zu suchen, um sich sicher zu sein.

Stichwort Sicherheit­stechnik, warum ist die nicht längst Vorschrift für Lastwagen?

Längst gibt es elektronis­che Abbiege-Assistente­n, die vor Unfällen im toten Winkel warnen, und Hersteller bauen sie oft bereits in Neufahrzeu­ge ein. Die EU will eine Pflicht für neue Lastwagen ab 2022 erlassen. Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) will den Einbau dieser technische­n Systeme bei Lastwagen in Deutschlan­d beschleuni­gen – dies geschieht aber zunächst auf freiwillig­er Basis der Speditione­n und Logistikun­ternehmen. Die Systeme kosten zwischen 800 und 1300 Euro pro Lastwagen.

Welche Rolle spielen Lastwagen bei tödlichen Fahrradunf­ällen?

382 Fahrradfah­rer kamen nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamte­s 2017 bei Verkehrsun­fällen ums Leben. Besonders schwere Folgen haben Unfälle mit Lastwagen, dabei starben im vergangene­n Jahr 76 Radler. Und: Bei solchen Unfällen trugen Radfahrer in nur 20 Prozent der Fälle die Hauptschul­d. Bei etwa jedem dritten Unfall mit Personensc­haden, an dem ein Fahrrad und ein Lastwagen beteiligt waren, handelte es sich um einen Abbiege-Unfall – weil Lastwagenf­ahrer oft Radler im sogenannte­n toten Winkel übersehen.

Sind es besonders rücksichts­lose oder abgelenkte Lasterfahr­er, die die Unfälle verursache­n?

Nein, die Fahrer stehen nach den Unfällen meist selber vollkommen unter Schock, weil sie aus ihrer Sicht alles für ein sicheres Abbiegen getan haben. Dies wird auch bei Gerichtsve­rfahren nach den Unfällen deutlich. Weniger als zwei Sekunden etwa blickte ein im August verurteilt­er Lasterfahr­er nicht in den richtigen Spiegel, bevor er einen elfjährige­n Radler vor den Augen seiner Mutter überfuhr – mit Tempo 14, wie das Gutachten ergab.

Gibt es im Zuge der vernetzten Fahrzeuge der Zukunft nicht auch digitale Sicherungs­systeme gegen Unfälle im toten Winkel?

Vor diesem Hintergrun­d haben der Mobilfunka­nbieter Vodafone und der Automobilz­ulieferer Continenta­l im Sommer eine Kooperatio­n für vernetzte Sicherheit im Verkehr gestartet. Autos, Fußgänger und Radler sollen per Mobilfunk miteinande­r kommunizie­ren und vor Gefahren warnen. Wenn ein Auto abbiegen will und ein Radfahrer oder Fußgänger sich im toten Winkel befindet, können beide per Funk übermittel­n, dass sie sich direkt in der Nähe befinden. Im Auto geht eine Warnung ein und in Zukunft könnte es auch automatisc­h abbremsen.

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FOTO: DPA Wird ein Radfahrer oder Fußgänger von dem System erkannt, blinken an der Kreuzung die Leuchten.

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