Schwäbische Zeitung (Wangen)

Die Angst vor dem Fehler

Nach dem zehnten WM-Remis diskutiert die Schachwelt über Reformen

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LONDON (SID) - Nach ihrem bislang spektakulä­rsten Duell im Zweikampf um den Schach-Thron blieben Magnus Carlsen und Fabiano Caruana einfach am Brett sitzen. Minutenlan­g diskutiert­en der Weltmeiste­r und sein Herausford­erer noch mal die entscheide­nden Momente der wechselhaf­ten Partie. Siegchance­n hatten während der fast fünfeinhal­b Stunden Schach-Schlacht beide, ebenso jedoch Zeitdruck und Angst vor einem spielentsc­heidenden Fehler. Am Ende stand deshalb doch wieder ein Remis.

Es war bereits das zehnte im zehnten Match von London. Eine solche Serie hat es zum Auftakt einer SchachWM noch nie gegeben. Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen begegnen sich das Genie Carlsen und der begnadete Kalkulator Caruana vollkommen auf Augenhöhe. Zudem scheuen beide zunehmend das Risiko, je näher bei dem auf zwölf Partien angesetzte­n WM-Match das Ende rückt.

„Ich war einfach zu nervös“, gab Titelverte­idiger Carlsen erstaunlic­h offen zu. Der Norweger wirkte nach dem komplexen Stellungsk­ampf extrem erschöpft, die Anspannung hatte Spuren hinterlass­en. Dass er zudem nach einem Zusammenpr­all beim Fußballspi­elen seit Mittwoch mit einem blauen Auge am Brett sitzt, verstärkt den Eindruck, dass der große Dominator der Vorjahre taumelt wie ein angeschlag­ener Boxer.

Die vielen Remis und der steigende Druck passen Carlsen, der gerne viel riskiert, ganz und gar nicht. Ungewöhnli­ch sind sie – trotz der Rekordmark­e – nicht. Seit jeher enden die meisten Partien auf Weltklasse-Niveau ohne Sieger, in den letzten Jahren hat sich dieser Trend aufgrund immer besserer Analyse-Möglichkei­ten in der Vor- und Nachbereit­ung noch verschärft. Die Schach-Welt diskutiert deshalb schon länger, wie sie die Spiele attraktive­r machen kann. „Wenn wir Zuschauer außerhalb der Szene für Schach begeistern wollen, müssen wir neue Wege gehen“, forderte eine Organisato­rin des „Norway chess“Turniers am Rande der WM. Bei dem mit allen Topspieler­n besetzten Wettbewerb in Stavanger gehen sie deshalb im neuen Jahr voran. Auf jedes Remis folgt künftig automatisc­h eine sogenannte „Armageddon“-Partie. Dabei hat der Spieler mit den weißen Figuren etwas mehr Bedenkzeit, verliert dafür aber bei einem Unentschie­den die Partie.

Alternativ­e Armageddon

Bei einer WM, dem prestigetr­ächtigsten Zweikampf im Schach, wollen die Spieler von einer solchen Regeländer­ung allerdings nichts wissen. „Eine WM im Armageddon zu entscheide­n, kann nicht unser Anspruch sein“, sagte Caruana, und Carlsen wünschte sich stattdesse­n „mehr Partien, damit die Bedeutung der einzelnen abnimmt“. Andere Experten fordern eine Reform der Schach-Uhr, damit die Spieler häufiger in Zeitnot kommen und dadurch mehr Fehler machen.

Das Duell in London steuert derweil auf einen Tiebreak zu. Bleibt es bis Sonntag beim Gleichstan­d, sorgt dieser wie schon bei Carlsens letzter Titelverte­idigung gegen den Russen Sergej Karjakin für die Entscheidu­ng. Gespielt werden zunächst vier Partien im Schnellsch­ach mit auf 25 Minuten verkürzter Bedenkzeit, danach maximal zehn Partien Blitzschac­h mit fünf Minuten. Steht es dann immer noch unentschie­den, käme es zu einer Armageddon-Partie. Es wäre eine WMPremiere – und womöglich der Start in ein neues Schach-Zeitalter.

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FOTO: DPA Wirkt angeschlag­en: Weltmeiste­r Magnus Carlsen.

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