Schwäbische Zeitung (Wangen)

Der Drachenbän­diger

Für Bernhard Dingwerth haben Drachen nicht nur im Herbst Saison – Was er in die Lüfte steigen lässt, ist weit mehr als ein Kinderspie­lzeug

- Von Florian Riesterer

Ein kräftiger Wind, ein Rütteln an der Schnur – Drachen steigen zu lassen, ist für viele die Erinnerung an ein Vergnügen aus der fernen Kindheit. Aber nicht für alle.

Riesenhaft flattern sie im Wind. Ein Seehund, ein Leguan, Fisch Nemo stehen hoch am Himmel, wackeln, rütteln an langen Leinen. Da, wo die Schnüre fest am Boden verankert sind, sieht man in den Augen von Bernhard Dingwerth pures Glück. Und er ist der Kindheit schon sichtbar entwachsen. Der Konstrukte­ur und Tüftler aus Kassel ist in der Szene nur als „Drachenber­nhard“unterwegs. Er ist dreimalige­r deutscher Meister im Bauen stabloser Drachen, hat bereits unzählige Exemplare konstruier­t. Seine Spezialitä­t sind luftgefüll­te Drachen, die viele Meter lang sind und mit Hilfe von sogenannte­n Liftern, Drachenseg­eln, in der Luft stehen. Seine Leidenscha­ft ist auch nicht auf den Herbst begrenzt. Für Bernhard Dingwerth haben Drachen das ganze Jahr über Saison.

Bis es soweit ist, erzählt der frühere Sozialpäda­goge, muss er lange tüfteln. Gummi- und Stofftiere, Plastikfig­uren oder Bilder sind seine Inspiratio­n. Aus Papier baut er dann Modelle, die er anschließe­nd auf seine Schnittmus­ter hochrechne­t. Aus einer acht Zentimeter großen Salamander­figur wird so ein 20 Meter großer und gut 25 Kilogramm schwerer Drachen. 300 Quadratmet­er Spinnaker-Nylon vernäht er mit zehn Kilometern Garn, ein gutes halbes Jahr verbringt er dafür im Keller seines Hauses.

Mit Nadel und Faden

Anfang der 1980er-Jahre sind es sogenannte Acro-Racer, Lenkdrache­n, die den damaligen Studenten Dingwerth so fasziniere­n, dass er irgendwann die 50 D-Mark „für ein Kinderspie­lzeug“ausgibt, wie er heute sagt. Aus einem Drachen werden schließlic­h 20. Und irgendwann beginnt der gebürtige Westfale selbst zu nähen, ohne Maschine, mit Nadel und Faden. 1984 hält er seinen ersten eigenen Einleiner-Drachen als zweidimens­ionalen Stern in den Händen. Zu dieser Zeit sind größere, luftgefüll­te Drachen, wie er sie heute baut, noch sehr selten. Lediglich am anderen Ende der Welt beschäftig­t sich der Neuseeländ­er Peter Lynn – heute Unternehme­r und Erfinder des KiteBuggys – mit Großdrache­n.

Im Jahr 1994, erinnert sich Dingwerth, fasste er den Plan, ein 13 Meter langes Krokodil zu konstruier­en. „Ich wollte in die Vollen gehen, keiner konnte mir aber sagen, ob das funktionie­rt.“Doch schließlic­h schwebt Kroko am Himmel. Und Kroko hat Kinder bekommen. Längst gibt Dingwerth sein Wissen an andere Drachenfre­unde weiter.

Veranstalt­ete er anfangs noch Drachenbau-Workshops, entschied er sich wegen des großen Zeitaufwan­ds irgendwann dazu, seine Baupläne zu veröffentl­ichen. Kostenlos, zur privaten Nutzung. „Das hat bis auf ein unschönes Mal ganz gut funktionie­rt“, sagt er. Damals habe eine deutsche Firma seinen Frosch kopiert. Er kündigte daraufhin unter Drachenfre­unden an, keine Baupläne mehr zu veröffentl­ichen, sollte dies Schule machen. Das Unternehme­n ließ davon ab.

Jetzt freut sich Dingwerth, der ursprüngli­ch Künstler werden wollte, wenn er am Himmel einen seiner Drachen entdeckt – weil er weiß, dass es wieder einen Gleichgesi­nnten gibt. Auch wenn in Deutschlan­d die Hoch-Zeit der Drachensze­ne vorüber sei, gebe es doch wieder junge, engagierte Drachenbau­er, die gerne Zeit und Geld in ihre Modelle investiert­en, sagt Dingwerth. Sogar in Vietnam sah er seine Robben am Himmel stehen – aus Anorakstof­f hergestell­t, weil kein Nylon aufzutreib­en war.

Drachenfre­unde in aller Welt

Wegen behördlich­er Auflagen hätten Drachenver­eine es in Deutschlan­d allerdings deutlich schwerer als anderswo, Festivals zu organisier­en. Vor allem in Asien spielten Drachen traditione­ll eine viel wichtigere Rolle, sagt Dingwerth. Die Festivals sind für den Drachenbau­er das Salz in der Suppe, eine Bühne um den Fans all das zu zeigen, was er mit viel Mühe gebaut hat. Taiwan, Australien, Indien, Kanada oder Südafrika: Dingwerth ist dabei, häufig als offizielle­r deutscher Vertreter mit Deutschlan­dfähnchen an der Drachenlei­ne. Er bekommt Flug, Unterkunft und Verpflegun­g bezahlt von Veranstalt­ern, die damit den Tourismus vor Ort beleben. Der Drachenbas­tler wiederum hat so Freunde in aller Welt und in vielen Kulturen gefunden.

„Wenn ich in Singapur aus dem Flugzeug steige, ruft immer jemand „Bernhard“– das passiert mir am Bahnhof Kassel nicht.“Zwölf Länder und sogar mehr in einem Jahr sind nicht selten. Und „Drachenber­nhard“denkt nichts ans Aufhören. Vier Nähmaschin­en stehen mittlerwei­le im Keller, seit März ist der 62Jährige in Rente. Herausford­erungen gibt es noch genug.

Veranstalt­er aus Malaysia hätten sich einen typisch deutschen Drachen gewünscht, sagt er. Das Bild habe er schon im Kopf. „Eine Bratwurst im Brötchen, mit einem Klecks Ketchup auf der einen Seite und einem Klecks Senf auf der anderen.“Und bei Dingwerth kann man sicher sein: Auch die Wurst wird irgendwann am Himmel stehen. (epd)

 ?? FOTO: ANDREAS FISCHER ?? Der Hobby-Drachenbau­er Bernhard Dingwerth liebt und bastelt fantasievo­lle Modelle.
FOTO: ANDREAS FISCHER Der Hobby-Drachenbau­er Bernhard Dingwerth liebt und bastelt fantasievo­lle Modelle.
 ?? FOTOS: ANDREAS FISCHER ?? Bevor der Drache im Wind flattert, gilt es für Bernhard Dingwerth ein halbes Jahr im Keller seines Hauses zu tüfteln und vor allem: zu nähen. Für 300 Quadratmet­er Spinnaker-Nylon vernäht Dingwerth zehn Kilometer Garn.
FOTOS: ANDREAS FISCHER Bevor der Drache im Wind flattert, gilt es für Bernhard Dingwerth ein halbes Jahr im Keller seines Hauses zu tüfteln und vor allem: zu nähen. Für 300 Quadratmet­er Spinnaker-Nylon vernäht Dingwerth zehn Kilometer Garn.

Newspapers in German

Newspapers from Germany