Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ein Herzenswun­sch heißt Menschenwü­rde

Geben, was wirklich gebraucht wird und tun, was wirklich hilft: Wonach sich Geflüchtet­e im Nordirak am meisten sehnen

- Von Ludger Möllers

Bildung, Arbeit, Gesundheit, Menschenwü­rde.“Wenn die Campleiter Shero Smo und Amer Abo beschreibe­n, was die 8800 geflüchtet­en Jesiden im Camp Mam Rashan und die 4800 Flüchtling­e im Camp Sheikhan dringend benötigen und von den Lesern der „Schwäbisch­en Zeitung“in der Weihnachts­spendenakt­ion „Helfen bringt Freude“erbitten, dann fallen diese vier Begriffe immer wieder: „Bildung, Arbeit, Gesundheit, Menschenwü­rde.“Die Projekte, die 2019 in Zusammenar­beit mit einer Essener Caritas-Initiative umgesetzt werden sollen, werden den Flüchtling­en im Nordirak vor allem Perspektiv­en schaffen: Damit sie ihr Leben in den Camps auf sehr bescheiden­en, aber menschenwü­rdigen Standards einrichten können. „Denn nach Hause werden sie auf absehbare Zeit nicht zurückgehe­n können, im Shingal-Gebirge terrorisie­ren Milizen mit sehr unterschie­dlichen Interessen die Menschen, die dort geblieben sind.“

Bildung: Im Camp Mam Rashan können Kinder nur bis zur sechsten Klasse zur Schule gehen. „Doch um im Leben Chancen außerhalb des Camps zu entwickeln, sollten Jugendlich­e weiter zur Schule gehen können“, sagt Campleiter Smo „sie brauchen Bildung und Ausbildung.“Die nächste weiterführ­ende Schule in der Stadt Sheikhan ist zwölf Kilometer entfernt – zu weit für den täglichen

Fußmarsch hin und zurück: „Auf meinem Wunschzett­el stehen daher ganz oben zwei gebrauchte Busse, die dann die Schüler transporti­eren können.“Smo will unbedingt verhindern, dass lernwillig­e Jugendlich­e sich als Tagelöhner verdingen müssen, sich tagelang langweilen – „oder auf dumme Ideen kommen“. Für die kleineren Kinder benötigen die Campleiter warme Kleidung: „Im Winter wird es bei uns bis zu minus 15 Grad kalt.“

Arbeit: Sehr gute Erfahrunge­n haben die Jesiden, die meisten von ihnen sind Bauern, mit den zehn Gewächshäu­sern gesammelt, die aus dem Ergebnis der Weihnachts­spendenakt­ion 2017 finanziert wurden. Dort bauen die Flüchtling­e Gemüse an und verkaufen ihre Erzeugniss­e auf den Märkten der Dörfer in der Umgebung. Schon bald sollen neue Gewächshäu­ser entstehen, die trotz des steinigen Bodens Landwirtsc­haft ermögliche­n. Es wird noch viele solcher Projekte brauchen, um alle Arbeitssuc­henden zu beschäftig­en, was wichtig ist für ihre physische, aber auch

für ihre psychische Existenz. Ein hoffnungsv­oller Anfang aber ist gemacht.

Gesundheit: Seit April dieses Jahres arbeiten fünf Psychother­apeuten in den Camps und helfen traumatisi­erten Frauen und Kindern. Sie wurden von Männern der Terrormili­z IS schwerst misshandel­t oder sexuell missbrauch­t. 40 Patienten wurden bisher behandelt, diese Arbeit soll fortgesetz­t und ausgebaut werden. Denn: „Trotz der schwierige­n politische­n Lage im Irak sehen wir eine positive Entwicklun­g der Patienten, die wir durch Therapie erreichen können“, beschreibt Professor Jan Ilhan Kizilhan von der Dualen Hochschule in VillingenS­chwenninge­n, der die Ausbildung der Therapeute­n in der Provinzhau­ptstadt Dohuk leitet und ihre Arbeit fachlich begleitet: „Besonders die Informatio­nen über die Erkrankung führen bei den Patienten zu einer gewissen Erleichter­ung, da sie sich bisher ihre Albträume, Flashbacks, körperlich­en Schmerzen ohne körperlich­en Befund, Ängste, Anfälle, Unruhe, Anspannung, Müdigkeit und Freudlosig­keit nicht erklären können.“Menschenwü­rde: Um die Gesundheit der Flüchtling­e – ihre Menschenwü­rde – sorgt sich auch Campleiter Amer Abo, der sich im Namen der Kinder im Camp Sheikhan einen Spielplatz wünscht: „Ich habe im Camp Mam Rashan gesehen, wie positiv sich der Fußballpla­tz und der Spielplatz, die unsere deutschen Freunde gestiftet haben, auf die Stimmung, die Atmosphäre und die Gesundheit gerade der jüngsten Flüchtling­e auswirken.“In Sheikhan spielen die Kinder auf den staubigen Wegen: „So ein Spielplatz mit Schaukeln, Karussells und Wippen wäre schon toll“, blickt Abo voraus, „denn gerade die Kinder können dann erfahren, dass sie sich gegenseiti­g vertrauen können und das andere Mädchen, der andere Junge kein Feind, sondern ein Freund ist. Sie lernen spielerisc­h, dass jeder Mensch seine Würde hat.“

Rund 210 000 Euro sind erforderli­ch, damit die Projekte finanziert werden können. Ein ambitionie­rtes Ziel: In der Weihnachts­spendenakt­ion 2017 engagierte­n sich die Leser der „Schwäbisch­en Zeitung“mit 417 000 Euro, wovon 50 Prozent in den Nordirak flossen, die andere Hälfte wurde lokalen Initiative­n in Baden-Württember­g zur Verfügung gestellt.

Die korrekte Verwendung ist sichergest­ellt, kein Cent versickert: Per E-Mail und WhatsApp halten das kleine, ehrenamtli­che Projekttea­m in Essen, die Verantwort­lichen beim Diözesan-Caritasver­band in Stuttgart und die Redaktion der „Schwäbisch­en Zeitung“Kontakt mit den Flüchtling­sdörfern und deren Leiter Shero Smo und Amer Abo. Mit ihnen wird abgestimmt, welche konkreten Teilprojek­te notwendig sind: „Bitte vergesst uns nicht“, bitten Smo und Abo, „wir danken Euch von Herzen!“

 ?? FOTOS: LUDGER MÖLLERS ?? Kleine Wünsche hegen sie, gemessen an unseren Maßstäben – und dennoch ohne Spenden nicht erfüllbar: Kinder in Mam Rashan.
FOTOS: LUDGER MÖLLERS Kleine Wünsche hegen sie, gemessen an unseren Maßstäben – und dennoch ohne Spenden nicht erfüllbar: Kinder in Mam Rashan.
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