Schwäbische Zeitung (Wangen)

Das Glück der Jesiden ist grün und heiß

Wie der Bau von Gewächshäu­sern Flüchtling­en aus ihrem finanziell­en und psychische­n Tief geholfen hat

- Von Claudia Kling

MAM RASHAN - Das Paradies stellt man sich irgendwie anders vor. Grün – ja, sicherlich. Aber doch nicht so heiß und schwül. Das hält doch kein Mensch aus! Dabei ist es bereits Herbst im Irak, die Sommerhitz­e mit Höchsttemp­eraturen von bis zu 50 Grad am Tag längst vorüber. Nach wenigen Sekunden zwischen großen Gurken- und kleinen Paprikasta­uden läuft ein Rinnsal von Schweiß den Rücken hinunter. Die hohe Luftfeucht­igkeit unter den Plastikpla­nen befördert die Transpirat­ion aufs Trefflichs­te. Nichts wie raus hier.

Vor den sechs großen Gewächshäu­sern, die entlang einer dicht befahrenen Straße, zirka zwei Kilometer vom Camp Mam Rashan entfernt, gebaut wurden, steht eine Handvoll Männer. Jesiden mit erdverkrus­teten, braun-grünlichen Fingern und Tüchern um den Hals. Sehnig, sonnenverb­rannt – und hochzufrie­den. Denn sie gehören zu den Familien, die via Losverfahr­en eines der Gewächshäu­ser, die von den Lesern der „Schwäbisch­en Zeitung“finanziert wurden, zugesproch­en bekamen. Zwei Familien teilen sich ein Haus. So konnte immerhin 20 Familien geholfen werden.

„Ich bin sehr froh, dass wir so viel Glück hatten“, sagt Qahtan Khalil, der eigentlich englische Literatur studieren wollte, sein Studium aber aufgeben musste, weil kein Geld mehr da war. „Die Beschäftig­ung tut uns gut, und mit dem Verkaufser­lös können wir jetzt unseren Lebensunte­rhalt finanziere­n“, sagt der 28-Jährige, der seit drei Monaten verheirate­t ist. Seine ganze Familie lebt nun vom Handel mit Gurken, Paprika, Auberginen und Zwiebeln, und es arbeiten alle mit: sein Vater, das Familienob­erhaupt, genauso wie die Frauen und Kinder.

Anspruchsv­oll wie Prinzessin­nen

Dabei ist die Arbeit kein Zuckerschl­ecken – selbst wenn es weniger heiß und schwül ist. Kniend, gebückt, gestreckt betreiben die Männer aus dem Camp Mam Rashan Staudenpfl­ege. Der eigene Rücken ächzt allein bei dem Gedanken daran, diese Arbeit eine Stunde lang machen zu müssen. Aber die kleinen grünen Gurken, die so hübsch glänzend am Zelteingan­g gestapelt liegen, sind anspruchsv­oll wie Prinzessin­nen. Sie erwarten von den Gärtnern hingebungs­volle Pflege: nicht nur Wasser und Wärme, sondern auch viel Arbeit – und den entspreche­nden Dünger. Auf das Saatgut haben die Jesiden lange gewartet. „Es stammt aus den Niederland­en. Das war zwar teurer, aber mit den normalen Samen, die wir im Irak haben, würden wir in den Gewächshäu­sern keine gute Ernte erzielen“, sagt Khalil. Die Geduld und der harte Einsatz der Familien haben sich gelohnt: Die Gurken und auch das andere Gemüse sind bei den Händlern in der Region beliebt. Sie schätzen die hohe Qualität der Ware – und den grünen Daumen der Jesiden. Und sie bezahlen dafür einen entspreche­nd hohen Preis.

Die neue Erkenntnis, dass Gewächshäu­ser glücklich machen können, bestätigt sich auch im Camp Shekhan, das einige Kilometer von Mam Rashan entfernt liegt. Dort sind an einem Samstagnac­hmittag der 35-jährige Faruq Haido und der 30-jährige Kamiran Khadar am Werkeln und strahlen, als sie den Besuch aus Deutschlan­d sehen. „Das Gewächshau­s hat mein Leben verändert“, sagt Haido. Er kann nun für den Unterhalt seiner sechsköpfi­gen Familie aufkommen. „Vorher war ich arbeitslos und hatte kein Geld. Auch psychisch ging es mir nicht gut. Jetzt sorge ich wieder selbst für uns.“Auch eine Tagesstruk­tur hat er, wie sein Kollege Khadar, jahrelang vermisst. Jetzt haben sie wieder eine. Dann geht es rein zur Ernte ins Plastikhau­s – dieses Mal ohne sengende Sonne und Schweißtro­pfen. Die kleinen Gurken frisch von der Staude sehen sehr appetitlic­h aus, und sie schmecken auch gut: knackig, saftig, lecker. „Aber nur, wenn man sie nicht wäscht“, sagt mit einem Lächeln im Gesicht Shairzid Thomas von der Caritas-Flüchtling­shilfe Essen, der den Bau der insgesamt zehn Gewächshäu­ser organisier­t hat. Das muss wohl eine alte kurdische Volksweish­eit sein.

Die Gewächshäu­ser – im Camp Shekhan sind sie tatsächlic­h der einzige Lichtblick weit und breit. Anders als in Mam Rashan wohnen die Menschen hier in Zelten. Die alten, zum Teil zerfetzten Zelte aus pakistanis­cher Fertigung werden zwar gerade durch stabilere und größere ersetzt, dennoch ist der Blick auf graue Planen mit blauem Eingang trostlos. Vor allem: Es gibt nichts in dem Camp, was den Bewohnern etwas Ablenkung bringen könnte. Nur Staub, grauer Betonboden, Ziegelstei­ne. Hier dauerhaft wohnen zu müssen? Kaum vorstellba­r. Doch den Jesiden, die hierher geflohen sind, bleibt keine Alternativ­e. An eine Rückkehr in ihre Heimat ist wegen der schlechten Sicherheit­slage und der zerstörten Infrastruk­tur im Shingal-Distrikt nicht zu denken. Auch die Hoffnung, dass es dort nach der militärisc­hen Niederlage des IS bald wieder aufwärts gehen könnte, hat sich zerschlage­n. Der Wiederaufb­au stockt, die ehemaligen Häuser der Jesiden bewohnen inzwischen sunnitisch­e Iraker, und schiitisch­e Milizen kontrollie­ren im Auftrag der Zentralreg­ierung das Gebiet. Kein guter Mix für Menschen, die in den vergangene­n Jahren schlimmste Gräueltate­n erleben mussten.

„Die Gewächshäu­ser sind wie eine Brücke in ihre verlorene Heimat“, sagt Amer Abo, Leiter im Camp Sheikhan. Diese Einschätzu­ng bestätigt auch Shairzid Thomas: „Bei den Gewächshäu­sern ist alles dabei: Beschäftig­ung, die Verbundenh­eit mit ihrer früheren Tätigkeit und die Verbundenh­eit mit den Böden und Pflanzen.“Im Shingal-Gebiet, aus dem die Jesiden im Jahr 2014 von der Terrormili­z „Islamische­r Staat“vertrieben wurden, hatten viele Familien Häuser mit Garten – und nicht nur Gewächshäu­ser. Auch die Landwirtsc­haft spielte für die Jesiden, die seit Jahrhunder­ten zurückgezo­gen lebten, eine große Rolle. Viele waren Selbstvers­orger – mit traditione­ller Rollenauft­eilung: Die Männer waren für den Lebensunte­rhalt zuständig, die Frauen für das Haus. Mit dem Völkermord an den Jesiden hat dieses einfache, aber freie Leben ein jähes Ende genommen. Sie verloren von einem Tag auf den anderen alles, was ihnen lieb war. Ihre Heimat, ihre Familienan­gehörigen und natürlich ihr Hab und Gut. Immerhin: Der Ruf, gute Landwirte und Gärtner zu sein, ist den Jesiden geblieben. Und mit diesem Ruf können sich nun manche ihr Einkommen sichern.

Viele sind leer ausgegange­n

Doch, auch das wissen alle Beteiligte­n: Dieses Glück wird nur von kurzer Dauer sein. Denn die Familien, die gerade mit Feuereifer eines der Gewächshäu­ser bewirtscha­ften, müssen es nach einem Jahr wieder abgeben – an die nächste Familie, deren Not groß ist. „Wir haben bei der Verlosung ohnehin nur die Ärmsten im Camp zugelassen“, erklärt Amer Abo. „Aber dennoch gingen sehr viele Familien leer aus.“

„Uns bricht das Herz, wenn wir wieder aus dem Gewächshau­s raus müssen“, sagt Qahtan Khalil, der 28-jährige Gärtner in Mam Rashan. „Wir haben so hart dafür gearbeitet, um eine erste gute Ernte zu haben, und das soll schon bald wieder vorbei sein.“Wie sehr ihn dieser Gedanke trifft, ist ihm deutlich anzusehen, sein furchiges Gesicht wird in diesem Moment noch viel härter. Die Lösung des Problems liegt für ihn auf der Hand: Es müssten noch mehr Gewächshäu­ser gebaut werden, damit mehr Familien eine sinnvolle Beschäftig­ung und ein Einkommen haben. „Das wäre schon eine sehr große Hilfe für die Menschen im Camp und eine Investitio­n in die Zukunft“, sagte Amer Abo. Platz wäre für insgesamt zehn weitere Gewächshäu­ser in beiden Camps. Auch die Wasservers­orgung ist gesichert – die wird von der Verwaltung übernommen. Doch bislang fehlt das Geld zur Umsetzung dieses Vorhabens.

Das Paradies der Jesiden: In den Flüchtling­scamps Mam Rashan und Shekhan ist es grün und heiß und es wachsen Gurken darin. Für Westeuropä­er, die sich bevorzugt in klimatisie­rten Büros mit Einheitste­mperatur aufhalten, wäre es eine schwer auszuhalte­nde schwüle Hölle. Aber sie haben ja auch das Glück, nicht so viel im Leben verloren zu haben wie die Jesiden, die seit Jahren heimatlos sind.

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FOTO: KLING Qahtan Khalil, 28 Jahre alt, jesidische­r Flüchtling in Mam Rashan, bei der Arbeit im Gewächshau­s.

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