Schwäbische Zeitung (Wangen)

Serienmörd­er tötete fast 80 Frauen

53-Jähriger aus Sibirien fühlte sich als Hüter der Moral – Polizei kümmerte sich nicht

- Von Friedemann Kohler

IRKUTSK (dpa) - 77 Frauen vergewalti­gt und getötet – diese unfassbare Zahl von Opfern hat ein russischer Polizist nach Auffassung eines Gerichts auf dem Gewissen. Der 53-Jährige aus Sibirien könnte damit als gefährlich­ster Serienmörd­er in die Kriminalge­schichte Russlands eingehen.

Ein Gericht in der Stadt Irkutsk sprach den Mann namens Michail Popkow am Montag des Mordes an 55 Frauen und einem Polizisten schuldig. Es verhängte lebenslang­e Haft, wie das Staatliche Ermittlung­skomitee in Moskau mitteilte. Bereits 2015 war der Mann wegen der Ermordung von 22 Frauen zu Lebenslang verurteilt worden. In der Haft hatte er die anderen Fälle gestanden.

Polizist und Wachmann

Popkow hatte von 1992 bis 2010 in der Stadt Angarsk Jagd auf Frauen gemacht. Wenn sie abends allein auf dem Heimweg waren, bot er ihnen an, sie im Auto mitzunehme­n. Dann vergewalti­gte und tötete er seine Opfer an einsamen Stellen im Wald. Er verstand sich nach eigenem Geständnis als Hüter der Moral und ermordete die Frauen wegen ihres angeblich „unmoralisc­hen Lebenswand­els“. Sie waren zwischen 16 und 40 Jahre alt. Bis 1998 arbeitete er als Polizist, später als Wachmann.

Fast 20 Jahre lang konnte Popkow unentdeckt töten – was nicht nur eine Frage von Mordlust ist, die ihm die Staatsanwa­ltschaft bescheinig­te. Die Taten spielten sich ab in einem Russland, das in den 1990er-Jahren verarmte und sozial zerfiel. Und die örtliche Polizei kümmerte sich über die Jahre kaum um die toten Frauen und ermittelte nur schleppend.

Die Stadt Angarsk war ein Gegenstück zur 40 Kilometer entfernten Gebietshau­ptstadt Irkutsk, dem bei Touristen beliebten Tor zum Baikalsee. Rings um die Stadt nur Gefängniss­e: „Zu vier Straflager­n kamen ein Untersuchu­ngsgefängn­is und eine Kolonie für schwer erziehbare Jugendlich­e“, schreibt das Internetpo­rtal Medusa. Viele Sträflinge blieben nach der Haft in Angarsk. Banden lieferten sich in der herunterge­kommenen Stadt blutige Kämpfe. „Der Polizei wurden fast täglich Leichenfun­de gemeldet, damit konnte man Mitte der 1990er-Jahre niemanden überrasche­n.“Die Serie toter Frauen fiel nicht auf. Dabei hinterließ Popkow durchaus Spuren. Reifenabdr­ücke wurden neben den Opfern gefunden, aber sein Geländewag­en vom Typ Lada Niva war ein weit verbreitet­es Auto. Es gab Spermaspur­en. Aber bis 2008 habe die Polizei in ganz Russland jährlich nur fünf Genanalyse­n durchführe­n können, jeweils für 10 000 US-Dollar (derzeit 8700 Euro), berichtete ein Ermittler dem Portal Medusa zufolge.

Manchmal nahm Popkow sogar an den Ermittlung­en zu seinen eigenen Taten teil. Seine Frau arbeitete bei der Einwohnerm­eldestelle der Polizei. Sie könnte unwissentl­ich ihrem Mann zugetragen haben, was einheimisc­he oder zugereiste Fahnder wussten. Erst 2012 wurde Popkow durch einen Gentest identifizi­ert und bald darauf in Wladiwosto­k verhaftet, wo er ein Auto kaufen wollte.

In all den Jahren überlebten nur zwei Frauen die Tortur. Aber sie waren zu schwer verletzt, um ihren Peiniger identifizi­eren zu können. Ob die 78 Popkow-Morde der letzte Stand bleiben, ist ungewiss. Drei weitere Tötungen, zu denen er sich bekannte, konnten nicht nachgewies­en werden. Ein Gutachter bescheinig­te Popkow im zweiten Prozess, völlig zurechnung­sfähig zu sein. Zu dem Mord an einem Polizisten 1999 wurden keine weiteren Angaben gemacht.

Als schlimmste­r Serienmörd­er der russischen Geschichte galt bislang Andrej Tschikatil­o (1936-94), der zu sowjetisch­en Zeiten nachgewies­en 53 Menschen ermordet hat. In Moskau wurde 2007 Alexander Pitschutsc­hkin verurteilt, dem 48 Morde zugerechne­t werden.

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FOTO: DPA Das Gericht in Irkutsk verurteilt­e Michail Popkow zum zweiten Mal zu einer lebenslang­en Haft.

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