Schwäbische Zeitung (Wangen)

Terror im Advent weckt schlimme Erinnerung­en

2016 starben in Berlin bei einem islamistis­chen Anschlag zwölf Menschen - Streit um die richtigen Schlüsse

- Von Sabine Lennartz

BERLIN - Mobile Poller, Gitterkörb­e, Betonwände – mit einem Aufwand von 2,5 Millionen Euro ist der Weihnachts­markt am Berliner Breitschei­dplatz in ein Bollwerk gegen Terror verwandelt worden. Das Attentat von Straßburg macht die Erinnerung an den Anschlag vom 19. Dezember 2016 wieder lebendig. Zwölf Tote und 70 Verletzte waren die Bilanz des ersten großen islamistis­chen Anschlags in Deutschlan­d, bei dem der Tunesier Anis Amri an einem kalten Adventsabe­nd einen riesigen Sattelschl­epper mitten in die Menschen auf dem Weihnachts­markt an der Gedächtnis­kirche steuerte.

Jetzt, zwei Jahre später, ist der Markt wieder gut besucht. Zimtsterne und Musik, Spielzeug und Schmuck werden verkauft. An der Gedächtnis­kirche erinnert ein Denkmal an die Toten, doch die Besucher, die hier ihren Glühwein trinken oder ihre Würstchen essen, denken nicht mehr jeden Moment an die Katastroph­e von 2016. Berlins Innensenat­or Andreas Geisel (SPD) sagt, der Anschlag von Straßburg zeige, dass die Terrorgefa­hr unveränder­t hoch sei. Auch in Berlin. Doch die Menschen auf dem Markt verlassen sich darauf, dass sie beschützt werden. Polizeiwag­en sind in der Nähe, Polizisten patrouilli­eren zwischen den Buden.

Parallelen zu Straßburg

Auch in Straßburg gehen die Ermittler von einem terroristi­schen Hintergrun­d aus. Grünen-Chef Robert Habeck fordert Konsequenz­en. „Die Tat aus Straßburg zeigt erneut, dass es zwingend sicherheit­spolitisch­er Reformen im Umgang mit Gefährdern bedarf: Wie bei allen vergleichb­aren Taten der letzten Jahre und Monate war der Täter seit langem auf dem Radar der Sicherheit­sbehörden. Trotzdem wurde auch diese Tat nicht verhindert.“

So ähnlich sehen es auch die Hinterblie­benen der Opfer vom Breitschei­dplatz. Schon im letzten Jahr warfen sie Kanzlerin Angela Merkel in einem öffentlich­en Brief Versagen vor. Schließlic­h sei ein Top-Gefährder wie Anis Amri in Berlin nur an Werktagen observiert worden. „Zwölf Menschen könnten noch leben, 70 Verletzte unversehrt sein, wenn Behörden, allen voran NRW und Berlin, ihren Hintern hoch bekommen hätten“, zitieren die Angehörige­n einen Kommentar von Claus Kleber. Sie sind wütend, wenn sie an den Trauergott­esdienst mit Politikern auf dem Breitschei­dplatz denken. Unmittelba­r nach dem Attentat, zu einem Zeitpunkt, als sie selbst noch gar keine Gewissheit über den Tod ihrer Angehörige­n hatten. Und sie warfen der Kanzlerin vor, ihnen nicht einmal kondoliert zu haben. Angela Merkel holte dies anlässlich des ersten Jahrestage­s des Attentats nach. Als „Tag der Trauer, aber auch als Tag des Willens, das, was nicht gut gelaufen ist, in Zukunft besser zu machen“, hat die Bundeskanz­lerin da den 19. Dezember 2016 bezeichnet. Doch die Frage, ob der Anschlag hätte verhindert werden können, ist bis jetzt nicht geklärt.

Seit einem halben Jahr befasst sich ein Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s mit dem Attentat. Doch FDP-Obmann Benjamin Strasser aus Ravensburg sagt, dass er vom bisherigen Verlauf des Untersuchu­ngsausschu­sses sehr ernüchtert sei. „Zu Beginn des Verfahrens wussten wir bei Anis Amri von einem VMann, jetzt von acht“, so Strasser.

Kein Vertrauen wiederherg­estellt

Dabei biete nach dem NSU-Ausschuss doch gerade der Breitschei­dAusschuss die Chance, Vertrauen wiederherz­ustellen. Doch bis jetzt sei dies nicht gelungen. Schließlic­h stand der Attentäter Anis Amri schon länger unter Beobachtun­g.

Der frühere Verfassung­sschutzprä­sident Hans-Georg Maaßen hatte zunächst immer bestritten, dass man eine Quelle im Umfeld von Anis Amri hatte. Das hat sich als falsch herausgest­ellt. Denn der Verfassung­sschutz hatte eine Quelle in einer radikalen Berliner Moschee, die Amri als erstes in Berlin aufsuchte, dort verkehrte er auch regelmäßig. Wie nahe der Verfassung­sschutz dem Terroriste­n kam, will die Opposition im Untersuchu­ngsausschu­ss aufklären. Deshalb will sie den V-Mann-Führer vernehmen. Defizite bei der Überwachun­g, Zusammenar­beit und Informatio­nsweiterga­be innerhalb Deutschlan­ds und der Europäisch­en Union seien bis heute nicht abgestellt worden“, sagt Robert Habeck.

Schon vorangekom­men

Während FDP, Grüne und Linke höchst unzufriede­n sind, werten die Abgeordnet­en der Unionsfrak­tion die Arbeit anders. Obmann Volker Ullrich (CSU) meint, man käme recht ordentlich voran. Man habe den Weg des Attentäter­s in Deutschlan­d von der Einreise über BadenWürtt­emberg und Nordrhein-Westfalen bis Berlin nachvollzo­gen und das Verhalten des Verfassung­sschutzes genau geprüft. Dabei habe sich gezeigt, dass man Verbesseru­ngsbedarf in Ausländerb­ehörden und auch im gemeinsame­n Terrorabwe­hrzentrum habe sowie Abstimmung­sbedarf mit den europäisch­en Nachbarn. Da sei auch schon viel geschehen.

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FOTO: AFP Für zweieinhal­b Millionen Euro ist der Weihnachts­markt am Berliner Breitschei­dplatz in ein Bollwerk verwandelt worden.

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