Schwäbische Zeitung (Wangen)

Augenzeugi­n: Flugzeugab­sturz belastet Familie bis heute

Zum Jahrestag erzählt eine Landwirtin oberhalb von Sieberatsr­eute, wie sie die Tragödie von Waldburg erlebte

- Von Jasmin Amend

WALDBURG - Gegen 18 Uhr ein plötzliche­r Knall. Dann rast ein Flugzeug knapp über den Hof. Es liegt auf der Seite und streift im Sinkflug eine Eibe. Ein Stück Holz splittert ab und fliegt in hohem Bogen davon. Bereits jetzt verliert der Flieger vermutlich einen Teil seines Kerosins. Er fliegt an einer Stromleitu­ng entlang, beschreibt eine leichte Kurve über Sieberatsr­eute und stürzt dann in den Wald. Karl Niedermaie­r ist gerade draußen am Silo und will Futter für seine Tiere holen. Über den Knall erschrickt sich der 50-Jährige derart, dass er sich reflexarti­g in den Schnee wirft. So beginnt die Geschichte der Familie Niedermaie­r, welche den Absturz der Cessna 510 Citation Mustang nahe Waldburg hautnah miterlebte. Auch ein Jahr später lässt sie dieses Erlebnis nicht los. Am 14. Dezember 2017 stürzte der Privatjet beim Landeanflu­g auf den Flughafen Friedrichs­hafen ab. Alle Insassen starben: „Thermenkön­ig“Josef Wund sowie der Pilot und Geschäftsf­ührer des Bregenzer Fluguntern­ehmens Skytaxi und sein Co-Pilot aus Wien. Die Absturzurs­ache ist bis heute nicht vollständi­g geklärt. Vermutlich gab es Probleme, weil Tragfläche­n des Flugzeugs vereist waren.

Ramona und Karl Niedermaie­r interessie­ren sich nicht für solche Details. Sie betreiben oberhalb von Sieberatsr­eute eine Landwirtsc­haft mit Kühen. Auch seine Mutter und ihre beiden Kinder leben dort. „Im Schnee liegend hat mein Mann beobachtet, wie der Flieger über dem Wald runterkam“, erinnert sich die 44-Jährige. Zwei Tage lang sei er anschließe­nd unter Schock gestanden.

Kein Autounfall und kein Feuerwerk

Die Geschichte rekonstrui­ert sie aus Erzählunge­n ihres Mannes, ihrer Nachbarn und ihres Hoftierarz­tes – und aus ihren eigenen Beobachtun­gen. Sie selbst sei gerade im Stall beim Melken gewesen, als sie zuerst einen lauten Knall hörte. „Ich dachte zuerst, mein Schwager hätte einen Autounfall gehabt“, erzählt die Landwirtin.

Dann aber habe sie durch das Milchkamme­rfenster das rote Positionsl­icht der Flugzeugtr­agfläche entdeckt. In dieser Sekunde ändert sich ihr Verdacht. „Unser Nachbar hat am 15. Dezember Geburtstag. Ich dachte, er hätte ein Feuerwerk abgefeuert.“Dann aber tritt sie auf den Hof und beobachtet, wie das Flugzeug mit voller Schubstärk­e über ihr Haus fliegt und bei Sieberatsr­eute einschlägt. Dann riecht sie den Sprit. Kurze Zeit später ist das Tal erfüllt mit blauen Lichtern: Rettungskr­äfte und Polizei.

Eine Kerze für die Verstorben­en angezündet

Die Niedermaie­rs bleiben ruhig, arbeiten weiter. Dann gehen sie ins Haus und schauen Nachrichte­n. Sehen dort die Bilder der Rettungsak­tion und des Wracks, das nur wenige Hundert Meter von ihnen entfernt im Wald liegt. Das Telefon geht einige Male an diesem Abend, auch an der Haustür klingelt es. Nachbarn, Familie und Freunde erkundigen sich nach ihnen.

Bis heute wirkt der Absturz nach. Ihr Wohn- und Arbeitsort Frankenber­g liege direkt in der Flugschnei­se nach Friedrichs­hafen. „Bei jedem Flugzeug, das tiefer kommt oder einen anderen Ton hat als sonst, zucken wir zusammen“, sagt Niedermaie­r. Und nicht nur das: „Man denkt eigentlich das ganze Jahr über daran“, so die Landwirtin. Am Donnerstag­abend, dem Jahrestag des Absturzes, zündete sie deshalb mit ihrer Familie eine Kerze für die Verstorben­en an. Dass der Flieger im Wald abstürzte, ist für die 44-Jährige Glück im Unglück. „Sonst hätte er wahrschein­lich ganz Sieberatsr­eute ausgelösch­t.“

Kerosin an den Bäumen, zusammenge­tragene Wrackteile und zersplitte­rtes Holz: Wie die Absturzste­lle heute aussieht, zeigt eine Bildergale­rie auf www.schwäbisch­e.de/ein-jahr-absturz

Was damals passierte und wie der aktuelle Ermittlung­sstand ist, sehen Sie in einem Multimedia­Storytelli­ng auf www.schwäbisch­e.de/absturz-waldburg

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FOTOS: ELKE OBSER Ein Jahr nach dem tödlichen Flugzeugab­sturz: So sieht die Stelle im Wald heute aus.
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Immer noch sind Kerosinspu­ren an den Bäumen zu sehen.

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