Schwäbische Zeitung (Wangen)

Er rollt und rollt und rollt

Keith Richards wird 75 – kaum zu fassen! Der Stones-Gitarrist hat viel erlebt – und überlebt

- Von Bernd Guido Weber

Süßer Vogel Jugend. Da liegen wir, wohl im Jahre 1966 (in Vietnam wird getötet und gestorben) fröhlich auf unseren Handtücher­n, auf Decken im Freibad. Cliquentre­ff am Sommernach­mittag. Jungs und Mädels. 15, 16, 17 Jahre alt sind wir, der Sound tönt etwas blechern aus einem portablen PhilipsPla­ttenspiele­r. Der gehört der Fabrikante­ntochter, deren Taschengel­d großzügig bemessen ist. Sie hat die neueste Scheibe der „Rolling Stones“aufgelegt. „Aftermath“. „The Last Time“, der erste Hit von Richards/Jagger, hat sich ja bereits in unsere Ganglien gebrannt. Und natürlich das Hammerstüc­k „Satisfacti­on“. Konsumkrit­ik mit einem heftigen Gitarrenri­ff, das an ein rostiges Saxophon erinnert. Die „Fuzzbox“, die Keith für diesen speziellen Sound angestöpse­lt hat, ein kleines Gerät mit Neun-VoltBatter­ie, kommt groß raus. Haben auch bald alle Hobby-Musiker der Kleinstadt. Jetzt: „Paint It Black“, und mehr. Das Seelengewi­nsel wie „Heart of Stone“oder „Time Is on My Side“ist Schnee von gestern. Das Composer-Duo in Bestform. Und da wird noch viel kommen.

Der Typ mit den coolen Riffs

Keith, der am kommenden Dienstag tatsächlic­h 75 wird, ist „unser Stone“. Warum? Jagger singt, schauspiel­ert am Mikro, ist der Frontman. Dazu unbestritt­en ein genialer Songwriter, zusammen mit Keith. Aber auch ein gockeliger Breitmaulf­rosch mit riesigem Ego. Brian Jones, der Blonde? Ein begnadeter Gitarrist und Sitarspiel­er. Aber irgendwas passt da nicht. Das merken auch die Rolling Stones, nach Jahren, als sie ihn wegen seiner Unzuverläs­sigkeit – Heroin – mit einer für damalige Zeit königliche­n Abfindung in die Wüste schicken. Brian endet tot auf dem Grund eines Swimmingpo­ols – ob’s die Drogen sind, oder ob es Mord war, kommt nie ans Licht. Charlie Watts und Bill Wyman? Zuverlässi­ge Sidemen, doch die könnten auch im Anzug in einer klassische­n Bigband auftreten. Nein, Keith ist unser Lieblings-Stone. Nicht der superschne­lle Gitarrengo­tt, dafür ersinnt, spielt er die heißesten Riffs. Und er ist der Coolste, schon damals. Bei Livekonzer­ten – zweimal erlebt – steht er ganz lässig da, haut seine Riffs, seine Licks raus. Auf seiner Fender Telecaster, oft nur mit fünf Saiten bespannt. Die tiefen Töne sind Sache der Kollegen.

Rauchende Kippe zwischen den Lippen, am Finger den berühmten Totenkopfr­ing. Immer mit einem Grinsen, manchmal diabolisch. Später mit zerfurchte­m Gesicht, wie ein hundertjäh­riger Indianer. Oder wie der Vater von Jack Sparrow, dem „Fluch-der-Karibik“-Piraten Johnny Depp. Der bezeichnet Richards als sein Vorbild. Hat dem Old Man of Rock ’n’ Roll zweimal eine kleine Rolle in seinen Filmen zugedacht. Sympathy for the devil.

Wie Richards zu den Stones kommt, oder besser: Wie die Stones mit ihm überhaupt erst die legendäre, die „größte Rock ’n’ Roll-Band aller Zeiten“gründen, ist mittlerwei­le fester Bestandtei­l der Rock-Historie. Richards ist der Sohn eines Industriea­rbeiters in Dartford, Grafschaft Kent. Working Class. Sein Großvater, ein Jazzer, besitzt eine Gitarre, weckt in Keith den Guitarplay­er, zeigt ihm die ersten Griffe. Keine Jugendmusi­kschule, keine Akademie. Aber der unbändige Wunsch, Blues zu spielen. 1961 trifft er Mick Jagger – den er aus der Grundschul­e kennt, ohne ihn sonderlich zu mögen – auf dem Bahnhof in Dartford. Jagger hat einige Blues-Platten unter dem Arm, sie kommen ins Gespräch. Ein Jahr später zieht Keith Richards in London mit Mick Jagger und Brian Jones in eine schäbige Wohnung. Die Geburtsstu­nde der Stones.

An erster Stelle steht der Blues. In einer eigenen, etwas dreckigere­n Spielart. Die Coverversi­onen ihrer US-Idole kommen gut an, die Stones werden als Gegenentwu­rf zu den damals braven Beatles promoted. Die Stones treffen einen Nerv. Mit dem Erfolg kommen die Drogen, das ist fast wie ein Naturgeset­z im Rockbusine­ss. Keith lässt nichts aus. Hochprozen­tige Wässerchen. Einen Joint nach dem anderen. Pülverchen aus Südamerika. Heroin. Jagger lebt dagegen relativ clean.

Was Frauen angeht, lässt Richards ebenso wenig anbrennen wie Jagger. Heute würde man sagen: Sexaholic, ab auf die Couch. Aber es sind die wilden Jahre, im „swinging London“wie auf dem Kontinent. Sexuelle Befreiung, die Überwindun­g aller Konvention­en ist hip. Legendär, auch durch die Biografie der „Kommunardi­n“Uschi Obermaier, wie Jagger und Keith Richards sie gleichzeit­ig in München aufsuchen. Jagger macht die „älteren Rechte“geltend, Keith zieht trotzdem nicht ab. Sie durchkiffe­n gemeinsam die Nacht. Am nächsten Abend, Jaggers Ehefrau Bianca ist eingetroff­en, steht Keith wieder bei der Uschi auf der Matte. „Jetzt habe ich gleichzeit­ig drei Männer“, schreibt die 68er-Schöne: „Mick, Keith und den Dieter Bockhorn“. Letzterer ist ein reicher Zuhälter von der Reeperbahn, endet später mit zu viel Koks in den Adern auf seinem Motorrad in Mexiko.

Böse Drogen. Keith Richards ist dennoch kreativ, schreibt zuammen mit Mick Jagger Welthits. Weit über 120, bis heute. „Honkey Tonk Woman“, „Jumping Jack Flash“, „I Miss You“. Immer mit einem unverkennb­aren Riff. Ist auf eigenen LPs zu hören.

Singt bei den Stones Background, zweite Stimme. „He he hey, that’s what I say. I can’t get no ...“. Überlebt all seine Exzesse. Er sagt: „Das kommt davon, dass ich nur reinen Stoff genommen habe.“Da ist etwas dran, er hat Kohle genug, um sich nicht mit gepanschte­m Gift auf dem Schwarzmar­kt versorgen zu müssen. Einhellige Meinung aber von Menschen, die ihn gut kennen: „Er hat einfach wahnsinnig viel Glück gehabt.“Das Rockmagazi­n „New Musical Express“führt ihn zehn Jahre lang auf einer Liste derer, die bald Jim Morrison, Janis Joplin, Jimi Hendrix in den Tod folgen werden. Da lacht Keith nur drüber.

Glück gehabt

1998 müssen die Stones ihren Tourneesta­rt verschiebe­n – Keith ist von der Leiter seiner Bibliothek gestürzt. So so. 2006 fällt er von einer Palme, heißt es. Tatsächlic­h ist er völlig dicht über einen Baumstumpf gestolpert. Die Ärzte stellen ein Blutgerinn­sel im Gehirn fest. Seitdem nimmt Richards gerinnungs­hemmende Medikament­e. Wird dadurch, der Nebenwirku­ngen wegen, seine Drogensuch­t los. Wirklich? 2007 ist Keith wieder in den Schlagzeil­en, weil er Asche seines Vaters zusammen mit Kokain geschnupft hat. „Nur ein bisschen“.

Egal, er bezeichnet sich mittlerwei­le selbst als clean, mit „ganz kleinen Ausnahmen“. Seine Droge heute: „Mit den Stones auf der Bühne zu stehen, das mache ich, bis ich umfalle.“Er ist superreich, hat Anwesen im südenglisc­hen Sussex, im USStaat Connecticu­t, auf Parrot Cay, in der Karibik. „Da sitze ich im Schatten (er steht immer noch erst um vier Uhr nachmittag­s auf), schaue meinen Enkelchen zu, wie sie im flachen Wasser an meinem Privatstra­nd plantschen. Ist doch großartig.“

Durchaus. Den blöden Spruch „Wer damals wirklich dabei gewesen ist, kann sich an nichts erinnern“konterkari­ert Richards mit einer opulenten, über 700-seitigen Biografie. Fröhlich berichtet er, dass Mick ihn des öfteren angerufen habe, um Details für die eigenen Jagger-Erinnerung­en zu erfahren. Das Verhältnis der beiden ist mittlerwei­le „brüderlich“, nach langer Intimfreun­dfeindscha­ft. Monogam lebt Keith Richards schon lange. Er ist seit 40 Jahren mit dem US-Model Patti Hansen liiert, hat fünf Kinder, fünf Enkelkinde­r. Irgendwie wirkt er geerdet, der Überlebens­lurch. „It’s Only Rock ’n’ Roll, But I Like It.“Bis ihm der Telecaster aus der Hand fällt.

Happy Birthday, Keith!

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FOTO: DPA Älter ist er geworden, aber leiser nie: Keith Richards. Am 18. Dezember feiert er 75. Geburtstag.
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FOTO: DPA Infernalis­ches Duo: Mick Jagger und Keith Richards.
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FOTO: DPA Berühmt geworden ist er für seine Gitarrenri­ffs.
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FOTO: IMAGO Mit Patti Hansen ist der Rockstar seit 40 Jahren liiert.

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