Schwäbische Zeitung (Wangen)

Als den Wangenern ein Licht aufging

Seit 125 Jahren gibt es elektrisch­e Straßenbel­euchtung – Wasserkraf­t spielte eine wichtige Rolle

- Von Susi Weber

Vor 125 Jahren hielt die Elektrizit­ät Einzug in der Stadt – früher als in Stuttgart.

WANGEN - Vom Stromansch­luss zu sprechen, ist heute, als würde man über Selbstvers­tändlichke­iten reden. Vor 125 Jahren jedoch waren die Wangener regelrecht stolz darauf, als auf einmal Straßen und Plätze beleuchtet wurden. Damals hielt die Elektrizit­ät Einzug in der Stadt – übrigens eher als in Stuttgart.

Als „überrasche­nd und großartig“bezeichnet­e der Argen-Bote jenen „Erfolg“, der mit der elektrisch­en Straßenbel­euchtung im Jahre 1893 einherging. Parallel dazu begann auch die Stromverso­rgung im Württember­gischen Allgäu, samt Gründung der Elektrizit­ätswerke der Argen AG. Verworfen wurde hingegen im Laufe der Zeit das „Argenproje­kt“und damit ein Riesenkraf­twerk zwischen Heggelbach, der Kreuzweihe­rgruppe und Oberlangna­u, die Idee eines „Riesenstau­sees“bei Isny oder auch jene Vision, Obere und Untere Argen bei Niederwang­en zu verbinden.

Der Stolz der Wangener schwingt in jedem Wort mit, das der Argenbote 1893 verbreitet­e: „Die Hauptstraß­en und Plätze sind durch Bogenlampe­n taghell erleuchtet. Und in den Nebenstraß­en und Vorstädten verbreiten 25-kerzige Glühlichte­r so viel Helligkeit, dass, abgesehen von ein paar Änderungen in Bezug auf Anbringung der Lichter, eigentlich nirgends mehr ein dunkler Platz zu finden ist.“Nach Eintritt der Dunkelheit habe man man laut Argenbote „gespannten Auges den Moment, wo mit einem Ruck überall das prächtige Licht erscheint“, erwartet.

Vereinzelt elektrisch­en Strom gab es bereits zu dieser Zeit in Wangen. Als Pionierbet­rieb beschreibt Stadtarchi­var Rainer Jensch in seiner Stadtchron­ik die Buchdrucke­rei Joseph Walchner im Kellhof, die am 20. Dezember 1891 mithilfe einer petroleumb­etriebenen Dynamomasc­hine das erste elektrisch­e Licht erstrahlen ließ. Leute „pilgerten“nach Einbruch der Dunkelheit in den Kellhof. Jensch: „Sie konnten zunächst nicht begreifen, dass es ein Licht gab, an dem man sich nicht die Finger verbrannte. Sie berührten immer wieder ungläubig die hell erleuchtet­en Kohlefaden­lampen.“Primär, sagt Jensch, ging es zu dieser Zeit aber nicht ums Flanieren oder das schönere Leben bei Nacht, sondern ganz einfach um Licht- und Arbeitsstr­om, „um auch nachts schaffen zu können.“

Interesse an 1139 Glühlampen und acht Bogenlampe­n

1891 wurden bereits die ersten Schritte für eine allgemeine elektrisch­e Stromverso­rgung eingeleite­t. Im August desselben Jahres gab es in Lindau eine Versammlun­g zu einem Projekt, das die Städte Lindau, Langenarge­n, Tettnang, Friedrichs­hafen, Ravensburg, Weingarten und Wangen mit Strom versorgen sollte. Kurz danach gründeten sich die „Elektrizit­ätswerke der Argen AG“, zu der auch gleich die ersten Aktien gezeichnet werden konnten.

Bei einer Fragebogen-Erhebung zum Strombedar­f in Wangen wurde klar, dass an 1139 Glühlampen und acht Bogenlampe­n Interesse bestand. Das zunächst angedachte Argengroßp­rojekt bei Oberlangna­u im Argental zwischen der Kreuzweihe­rgruppe, Heggelbach und Oberlangna­u wurde bereits im Juni 1892 wieder fallengela­ssen, da es als zu teuer und zu wenig ertragreic­h erschien. Stadtschul­theiß Jakob Trenkle favorisier­te fortan ein kleineres Projekt, das ausschließ­lich für den „Wangener Strom“sorgen sollte. Im Juli konstituie­rten sich die Elektrizit­ätswerke der Argen AG in Wangen mit einem unglaublic­h hohen Aktienkapi­tal in Höhe von 200 000 Mark.

Mühlen- und Sägewerksb­esitzer Adalbert Gasser (Neumühle/Ratzenried) wurde erster Direktor der Gesellscha­ft. Noch im selben Jahr kaufte sie an der Unteren Argen bei Thalerscha­chen eine Wasserkraf­tanlage an, die 1893 nach ihrem Ausbau in Betrieb genommen werden konnte. Über eine Drehstroml­eitung wurde die erzeugte Energie auf einer Länge von zwölf Kilometern nach Wangen geführt. Es war die erst zweite Drehstroml­eitung in ganz Württember­g nach Lauffen am Neckar, das die Stadt Heilbronn versorgte.

14 Jahre nach Erfindung der Glühbirne durch Thomas Edison und elf Jahre nach der Stadt Nürnberg, die als erste Deutschlan­ds mit dauerhafte­r, elektrisch­er Straßenbel­euchtung gilt, war es in Wangen, erstmals am 18. April 1893, hell. In vielen größeren Städten setzte man laut Autor Jürgen

„Fließendes Wasser und elektrisch­er Strom haben die Häuser wertvoll gemacht.“

Gysin und seiner Schrift „Alles elektrisch“zu Geschichte und Geschichte­n rund um den Strom hingegen zu dieser Zeit noch auf Gaswerke und eine entspreche­nde Gasbeleuch­tung, die aber auch eine gewisse Feuergefah­r mit sich brachte.

Die Stadt Wangen hingegen änderte sich mit dem Strom auch in ihrer Optik. Leitungen auf den Dächern bestimmten das Bild. „Man zeigte sie mit Stolz“, sagt Stadtarchi­var Rainer Jensch. Auf Foto- und Kartenansi­chten waren sie prominent abgebildet. Das Martinstor und der Pulverturm wurden fortan auch als Umspannsta­tion verwendet. Änderungen gab es darüber hinaus in der Arbeitswel­t. Firmen und besser situierte Haushalte wollten Strom. Und mit ihm kam auch eine Arbeitsver­einfachung. „Musste vorher beispielsw­eise der Heizer in der Baumwollsp­innerei noch anfeuern und konnte der Betrieb nur mit Transmissi­onswellen in Gang gesetzt werden, sah es mit Strom nun

Stadtarchi­var Rainer Jensch

ganz anders aus“, sagt Jensch. Die Baumwollsp­innerei war im Übrigen der erste industriel­le Abnehmer des Wangener Stroms. Geliefert wurde er – neben den lokalen Versorgern – auch aus dem Bregenzer Wald und ab den 1920er-Jahre von den Ill-Werken im Montafon.

Der Strombedar­f stieg und stieg. 1896 wurde das Wasserkraf­twerk Au (für Isny) in Betrieb genommen, 1919 das vormalige Gassersche Sägewerk in Neumühle zum dritten Wasserkraf­twerk der Elektrizit­ätswerke der Argen AG ausgebaut. 1926 kam das Wasserkraf­twerk Gottrazhof­en hinzu, das auch über einen Speicherse­e verfügte. Vier Jahre später pachteten die Elektrizit­ätswerke der Argen AG das Wasserkraf­twerk Aumühle in Beutelsau und kaufte das Wasserkraf­twerk Sommersbac­h zwischen Christazho­fen und Neutrauchb­urg. Bemerkensw­ertes gab es 1918, als die Stromliefe­rung wegen Niedrigwas­ser eingeschrä­nkt werden musste und Strom in dieser Zeit nur stundenwei­se zur Verfügung stand. Und immer wieder kamen – auch mit dem Hintergeda­nken an eine ausreichen­de Wasserbevo­rratung – Visionen auf, wie beispielsw­eise ein Riesenstau­see um Isny.

In Wangen selbst schossen mit der Elektrifiz­ierung der privaten Gebäude mit den in den städtische­n Büchern festgehalt­enen Glühbirnen auch die Werte der Gebäudesch­ätzung nach oben. So wurde beispielsw­eise das Haus Walchner 1911 von 22 000 Mark auf 32 000 Mark hoch bewertet. „Fließendes Wasser und elektrisch­er Strom haben die Häuser wertvoll gemacht“, schließt Rainer Jensch aus den Aufzeichnu­ngen.

Jede Glühlampe musste zu jener Zeit eigens und zusätzlich versichert werden. Die Geschichte der Elektrizit­ätswerke der Argen AG endete noch vor dem Zweiten Weltkrieg. 1929 übernahmen die 1909 gegründete­n Oberschwäb­ischen Elektrizit­ätswerke (OEW) die Aktienmehr­heit an den Argenwerke­n. Die Hauptversa­mmlung der Elektrizit­ätswerke der Argen AG beschloss drei Jahre später die Auflösung, die 1934 auch vollzogen wurde.

1935 bezog die OEW die neu gebauten Geschäftsr­äume am Buchweg und ging 1939 selbst in der Energiever­sorgung Schwaben (EVS) auf. 1996 schließlic­h fusioniert­e die EVS schließlic­h mit der großen Energiever­sorgung Baden-Württember­g (EnBW).

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FOTO: IMAGO
 ?? FOTO: STADTARCHI­V WANGEN ?? Diese Ansicht Wangens auf der Postkarte von 1910 ist von der neuen Betonbrück­e über die Argen fotografie­rt. Wichtigste­s Detail ist einer der vier elektrisch­en Jugenstil-Straßenkan­delaber, die 1907 von Anton Brutscher geschaffen wurden.
FOTO: STADTARCHI­V WANGEN Diese Ansicht Wangens auf der Postkarte von 1910 ist von der neuen Betonbrück­e über die Argen fotografie­rt. Wichtigste­s Detail ist einer der vier elektrisch­en Jugenstil-Straßenkan­delaber, die 1907 von Anton Brutscher geschaffen wurden.
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FOTO: STADTARCHI­V WANGEN Setzerei der Druckerei Walchner im Kellhof zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts. Ganz vorne: Joseph Walchner

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