Vom Leben und Leiden der „letzten Hexe“
Stele in Kempten erinnert an Anna Maria Schwegelin – und daran, wie sie wirklich gestorben ist
KEMPTEN (li) - Anna Maria Schwegelin gilt als die letzte Hexe Deutschlands und wurde im Jahr 1775 im Stift Kempten verurteilt. Mehr als 160 Jahre lang wurde behauptet, dass sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden sei. Doch dann entdeckte der Historiker Dr. Wolfgang Petz, dass Schwegelin sechs Jahre nach dem Urteil im Kemptener „Stockhaus“an der Weiherstraße eines natürlichen Todes gestorben war.
Bereits seit 2002 erinnert der Schwegelinbrunnen vor der Residenz an das Schicksal dieser Frau aus dem Unterallgäu. Nun können sich Interessierte auf einer Stele über Schwegelin informieren.
Das Leben und Leiden von Anna Maria Schwegelin ist Inhalt der Beschreibung auf der Stele am Residenzplatz. Erklärt wird auch das Verfahren vor dem Landgericht des Fürststifts Kempten und die Zeit der Hexenprozesse.
Die Texte stammen von Petz und Birgit Kata vom Stadtarchiv Kempten. Beide sind Mitglied im internationalen Arbeitskreis für interdisziplinäre Hexenforschung. Während Kata ihren Schwerpunkt auf den Allgäuer Verfolgungen hat, befasst sich Petz mit einzelnen Prozessen der Spätzeit und den Einflüssen der Aufklärung. Er studierte für die Landesaustellung in Kempten die Quellen zum Prozess und entdeckte im Sterbebuch der Pfarrei St. Lorenz den Eintrag von 1781 zum Todestag der Anna Maria Schwegelin. „Damit korrigierte er einen seit 1830 bestehenden Irrtum der Geschichtsschreibung“, sagt Oberbürgermeister Thomas Kiechle – und Kempten habe den Makel verloren, dass hier das letzte Todesurteil wegen Hexerei im späteren Deutschland vollstreckt worden sei. Am Leidensweg der Anna Maria Schwegelin ändert das nichts.
Die neue Stele reiht sich ein in eine große Zahl von Kemptener „Täfele“, die an Gebäuden der Stadt an berühmte Persönlichkeiten und Ereignisse erinnern. „Sie knüpfen ein Netz der Erinnerung, das Schicksale und biografsche Daten mit Orten und Schauplätzen verbindet“, sagt Petz. Ausgespart wurden diejenigen, die nicht vom Scheinwerfer der Geschichtsschreibung erfasst wurden. Petz erinnerte da an den 1845 verstorbenen bayerischen Landrichter Johann Georg Henne, dessen Porträt seit Kurzem im Besitz der Kemptener Museumsfreunde ist. Henne war mit der Tochter des stiftskemptischen Hofrats Leiner verheiratet. Jener Hofrat, der seine Unterschrift unter die Ausfertigung des „Skandalurteils“gesetzt hatte. Er hatte den Akt aus dem Archiv des Fürststifts an sich genommen und so ist das Papier bis heute im Privatbesitz seiner Nachkommen erhalten. Es waren vor allem engagierte Frauen aus Kempten, die vor 30 Jahren damit begannen, das Schicksal der „letzten Hexe“öffentlich zu machen. Aber erst die intensive Auswertung der Quellen, vor allem der vollständig zugänglichen Verhörprotokolle, erlaubte es Petz, das Lebensbild von einer einfachen Frau zu schreiben. 2007 ist die Geschichte der Anna Maria Schwegelin als Buch erschienen.