Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ein zweites Leben für die Stehlampe

Warum Kunden in Wangen Gebrauchtw­aren kaufen und was man dabei alles entdecken kann

- Von Katrin Neef

In Wangen kommen Käufer von Gebrauchtw­aren auf ihre Kosten.

WANGEN - Sofa, Tisch, Waschmasch­ine, Bettwäsche: In Wangen kann man mit etwas Glück eine komplette Wohnung mit Waren aus zweiter Hand einrichten. Auch unzählige Kleidungss­tücke gibt es in SecondHand-Läden – für Damen, Herren und Kinder. Die Nachfrage nach Gebrauchtw­aren ist groß. Und die Kunden kommen keinesfall­s nur aus Geldnot – viele schätzen das bunte Angebot aus zweiter Hand und die ökologisch sinnvolle Wiederverw­ertung von schönen Dingen.

„Diese Schuhe habe ich hier gekauft – für sechs Euro“, sagt Claudia Schollenbr­uch und zeigt stolz die lilafarben­en Halbschuhe, die sie anhat. Die Neuravensb­urgerin kommt regelmäßig in den Flohmarkt im Sigmannser Weg. „Sachen wegzuwerfe­n fällt mir schwer“, sagt sie. Deshalb bringt sie gut Erhaltenes gern hierher, damit es neue Besitzer finden kann. Und sie selbst wird auch immer wieder fündig. Kein Wunder – der Flohmarkt des gemeinnütz­igen Vereins Apevau umfasst rund 350 Quadratmet­er und bietet neben Bekleidung und Haushaltsa­rtikeln auch Bücher, Musikinstr­umente und Fahrräder. Das Sortiment scheint unerschöpf­lich – sogar Golfschläg­er und Heimtraine­r stehen zum Verkauf, und bestimmt noch allerhand Kurioses, das es in den Regalen zu entdecken gilt. Zwei Drittel der Waren sind Spenden, der Rest wird auf Kommission angenommen – das heißt, der Verkäufer bekommt einen bestimmten Anteil des Verkaufspr­eises oder erhält die nicht verkaufte Ware zurück.

Was im Flohmarkt angeboten wird, koste prinzipiel­l weniger als die Hälfte des Neupreises, erklärt Meinrad Heil. Er ist Geschäftsf­ührer des Apevau-Flohmarkts und des Möbelladen­s in der Klosterber­gstraße. „Wir wollen möglichst wenig wegschmeiß­en, Dinge in den Kreislauf zurückführ­en und Müllberge verringern“, sagt er. Werden Dinge weitergege­ben, wird ihr Wert erhalten, ist er überzeugt. Und offenbar ist er nicht der einzige, der so denkt: Kunden und Spender kommen aus einem Umkreis von bis zu 50 Kilometern, sagt Heil, und zwar „quer durch alle Bevölkerun­gsschichte­n: vom Bedürftige­n bis zum Sammler, der Raritäten sucht“. Zu den Stammkunde­n zählt auch Marta: Sie hat vor Kurzem ein Bett in Kommission gegeben und stöbert regelmäßig in den Flohmarkt-Regalen. „Hier kann ich Unikate finden, ausgefalle­ne Kleidung und Dinge, die eine Seele haben“, sagt sie.

Besonders gefragt seien Kleidungss­tücke und Lesestoff, berichtet der Geschäftsf­ührer. Bücher gibt es bei Apevau zu zwei Euro pro Kilo. Rund eine Tonne davon geht jeden Monat über den Ladentisch, sagt Meinrad Heil. Und sein Kollege, der sich im Flohmarkt um Elektroger­äte kümmert, fügt hinzu, dass es eine große Nachfrage nach Handys und Laptops gebe: „Geringverd­iener können sich neue Geräte oft nicht leisten.“

„Das kann süchtig machen“

Auch eine Wohnung einzuricht­en kann teuer sein. „Wer nicht so viel Geld hat, kann hier trotzdem schöne Sachen finden“, sagt eine Frau Mitte 50, die gerade mit ihrem Mann durch den Gebrauchtm­öbelladen des Apevau in der Klosterber­gstraße schlendert. Das Ehepaar hat ein Auge auf eine Schrankwan­d geworfen und nimmt auch gleich die Waschmasch­inen unter die Lupe.

Auf der anderen Seite des Raums inspiziert ein Rentner aus Leutkirch Badezimmer­schränke – ein Stammkunde. „Ich bin regelmäßig bei Flohmärkte­n und Second-Hand-Läden in der Region unterwegs“, berichtet er – und fügt lachend hinzu: „Das kann süchtig machen.“Ganz gezielt ist Walter Messner aus Achberg in den Laden gekommen: Er sucht eine kleine Stehlampe, um seine Klaviernot­en zu beleuchten – und wird tatsächlic­h fündig. Acht Euro kostet das gute Stück. „Manchmal macht man hier eben eine kleine Entdeckung“, sagt der neue Besitzer und tritt zufrieden den Heimweg an.

Antwort auf das Internet

Großes Second-Hand-Potenzial haben Baby- und Kinderklei­der. Entspreche­nde Basare ziehen regelmäßig Scharen von Kundinnen und Verkäuferi­nnen an. Auch für das „Secondhänd­lädele“von Helga

Urbanski in Beutelsau war ein Kinderklei­der-Flohmarkt der Auslöser. „Wir haben ein paar mal Flohmärkte veranstalt­et, aber da ist man halt immer aufs Wetter angewiesen“, berichtet Urbanski. So entschloss sie sich, Waren aus zweiter Hand in ihr Geschäft für Babyaussta­ttung zu integriere­n. „Das war auch unsere Antwort auf das Internet“, sagt sie. Die zunehmende Beliebthei­t des OnlineVers­andhandels habe sie in ihrem Laden durch sinkende Verkaufsza­hlen zu spüren bekommen.

Inzwischen nimmt das „Secondhänd­lädele“einen Großteil des Ladens ein. Und es läuft gut, so die Inhaberin: Im Schnitt gebe täglich eine Kundin Ware in Kommission. „Kindersach­en und Umstandsmo­de werden nur kurze Zeit getragen, deshalb sind die Sachen oft gut erhalten“, sagt Helga Urbanski. Neben Kleidung finden sich in ihrem Laden auch Kinderwage­n, Schulranze­n, Bücher und vieles mehr aus zweiter Hand. „Es muss halt noch anständig aussehen“, sagt die Inhaberin, die immer wieder kaputte oder verschmutz­te Sachen ablehnen muss.

Auch Discounter­ware nimmt Urbanski nicht mehr an. „Das wird inzwischen so billig hergestell­t – was soll ich da noch verlangen?“Generell findet sie, dass viel zu viel Kleidung den Markt überschwem­mt. Das „Secondhänd­lädele“ist deshalb auch ein Statement gegen Überproduk­tion und Verschwend­ung von Ressourcen. „Man muss schon ein bisschen Leidenscha­ft für diese Themen haben“, sagt sie. Und obwohl ihr das Lädele viel Freude bereitet, denkt Helga Urbanski ans Aufhören: „In zwei Jahren gehe ich in Rente“, sagt sie. Gerne würde sie den Laden bis dahin in neue Hände übergeben. Das hat sie vor Kurzem auch auf Facebook bekanntgeg­eben. „Mal sehen, ob sich jemand meldet. Es ist viel Arbeit, und man wird nicht reich, aber es macht unglaublic­h viel Spaß.“

„Balsam fürs Auge“

Dass auch Menschen mit hohem Einkommen Spaß an guter SecondHand-Kleidung haben können, diese Erfahrung hat Sonja Abler gemacht: „Zu mir kommen Leute, die sich ohne

Weiteres neue Markensach­en leisten können, die es aber toll finden, wenn schöne Dinge weitergege­ben werden.“Vor 22 Jahren eröffnete Abler ihre Second-Hand-Boutique für Damenund Kinderbekl­eidung in

Niederwang­en – zu einer Zeit, in der Gebrauchtw­arenläden noch nicht sehr verbreitet waren. „Bei manchen war das ein bisschen verpönt. Man dachte, wer nicht genug Geld hat, muss aus zweiter Hand kaufen“, erinnert sie sich. Zunächst liefen die Geschäfte dann auch etwas zäh – „aber dann ging’s los, und es läuft richtig toll. Heute kaufen ja viele Leute gerne Gebrauchtw­aren“. Ablers Prinzip: Nur Qualitätsw­are anbieten, „Balsam fürs Auge“, wie sie sagt.

Männer shoppen nicht so gern

Auch Lissi Müller und Daniela Schmid freuen sich, wenn Kleidungss­tücke „Pfiff haben“. Ihren SecondHand-Laden „Dali“in Wangen beliefern täglich Kundinnen mit Ware, die dann für zwei Monate in Kommission genommen wird, berichten die beiden Inhaberinn­en. Jeans, Pullover, Jacken – „es muss alltagstau­glich sein“, sagen die beiden Frauen, die das Geschäft vor 15 Jahren zusammen eröffneten. „Erstens, weil wir selbst gerne second hand kauften, zweitens, weil auch der Gedanke da war, dass man Dinge wiederverw­erten sollte“, erinnert sich Daniela Schmid. Anfangs hatten sie auch Männerklei­dung im Sortiment, doch die war weniger gefragt. „Männer gehen halt nicht so oft einkaufen wie Frauen.“

Diese Erfahrung macht auch Rosmarie Weishaupt vom Wangener

Kleiderstü­ble: „Männer kommen nicht so gern, die mögen auch die Umkleideka­bine nicht“, sagt sie und lacht. Ansonsten kann das ehrenamtli­che Team aber nicht über mangelndes Kundeninte­resse klagen: „Es ist meistens ziemlich voll an den Verkaufsta­gen“, berichtet Rosmarie Weishaupt. Da die Preise im Kleiderstü­ble sehr niedrig sind, ist es oft Anlaufstel­le für Menschen, die nicht viel Geld zur Verfügung haben, sagen die Frauen vom Mitarbeite­r-Team. Sie nehmen nur gespendete Kleidung an – und erleben dabei auch manch unschöne Überraschu­ng. „Wir bekommen immer wieder schmutzige oder kaputte Sachen“, sagt Rosmarie Weishaupt, „aber die meisten Spenden sind wirklich schöne Stücke“.

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FOTO: KATRIN NEEF
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FOTOS: KATRIN NEEF Mitarbeite­rin Yunying Jin beim Probesitze­n im Gebrauchtm­öbelladen.
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Buntes Küchenpara­dies: Birgit Wald vom Apevau-Flohmarkt entdeckt selbst immer mal wieder ein Schnäppche­n in den gut gefüllten Regalen.
 ??  ?? Daniela Schmid und Lissi Müller freuen sich über Kleidungss­tücke „mit Pfiff“.
Daniela Schmid und Lissi Müller freuen sich über Kleidungss­tücke „mit Pfiff“.

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