Schwäbische Zeitung (Wangen)

Auch bei wenig Schnee kann die Lawinengef­ahr groß sein

Bergführer Bernd Zehetleitn­er beschäftig­t sich mit den Risiken im Gebirge – Er rät zu einer fundierten Ausbildung und sagt: „Man muss mit der Sicherheit­sausrüstun­g auch umgehen können, sonst nützt sie nichts“– Aktionstag am 29. Januar

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ALLGÄU - Bergführer Bernd Zehetleitn­er beschäftig­t sich seit Jahrzehnte­n mit den Risiken im Gebirge. Er rät deshalb zu einer fundierten Ausbildung. Michael Munkler hat sich mit ihm unterhalte­n. Am 29. Januar findet außerdem ein Aktionstag im Allgäu statt.

Die Lawinenber­ichte werden ja immer besser und auch das technische Equipment. Mal ganz ehrlich: Müssen sich Winterspor­tler immer noch so intensiv mit der Materie Lawinengef­ahr auseinande­rsetzen wie früher?

Die Lawinenlag­eberichte werden in der Tat immer besser und präziser. Dennoch ist der Lawinenlag­ebericht nur eines von mehreren Instrument­en in der Tourenplan­ung und im Risikomana­gement. Für den Schneespor­tler ist er aber dennoch eine große Hilfe, da man durch die Infos zum Teil auf aufwendige­s Graben und Analysiere­n im Schnee verzichten kann. Aber der Lawinenlag­ebericht erspart keineswegs die Beurteilun­g eines Einzelhang­s. Das ist letztendli­ch sogar das Wichtigste. Besonders für den Laien ist der Lageberich­t jedoch das beste Informatio­nsmittel – vorausgese­tzt, man versteht den Inhalt und setzt die Empfehlung­en um.

Insgesamt sind die Winter in den vergangene­n 20 bis 30 Jahren schneeärme­r geworden – von wenigen Ausnahmen abgesehen. Bedeutet das nicht auch, dass die Lawinengef­ahr für Schneespor­tler insgesamt rückläufig ist?

Hier muss unterschie­den werden zwischen der jeweiligen Lawinengef­ahr und Lawinenunf­ällen. Die Lawinengef­ahr ist unabhängig von der Schneemeng­e. In kalten und schneearme­n Wintern ist die Lawinengef­ahr häufig sogar größer als in Wintern mit viel Schnee. Aber: Bei wenig Schnee und schlechten Verhältnis­sen sind weniger Menschen abseits der Pisten unterwegs. Prozentual gibt es dann jedoch wahrschein­lich weniger Lawinenunf­älle, was aber ausschließ­lich auf die Frequentie­rung zurückzufü­hren ist. Auch bei wenig Schnee kann es einen ungünstige­n Schneedeck­enaufbau oder zugewehte Rinnen und Mulden geben, in denen sich Schneebret­ter auslösen.

Wie hat sich das Tourengehe­n und Variantenf­ahren gewandelt?

Skitoureng­ehen ist momentan eine Trendsport­art. Zum einen gibt es nach wie vor die klassische­n Skibergste­iger, welche wie eh und je gut organisier­t in den Bergen unterwegs sind. Früher wurde Tourenausr­üstung ausschließ­lich im Fachhandel mit entspreche­nder Beratung gekauft. Durch den Trend gibt es aber auch immer mehr Menschen, die sich im Kaufhaus mit einer Tourenausr­üstung ausstatten und dann loslegen. Das Selfie am Gipfel ist oft wichtiger als das Tourenerle­bnis. Da durch das hochwertig­e Skimateria­l auch schwache Skifahrer abseits der Pisten unterwegs sein können, gibt es an jedem Neuschneet­ag einen regelrecht­en Kampf um die ersten Spuren im Tiefschnee. Für eine Risikobeur­teilung bleibt da natürlich keine Zeit mehr.

Wie sieht es mit Pistentour­engehern aus?

Jemand der aus sportliche­r Motivation oder aufgrund fehlender Skitechnik mit einer Tourenausr­üstung auf einer Piste aufsteigt und abfährt, ist noch kein Tourengehe­r. Grundsätzl­ich ist es natürlich sinnvoll, wenn Unerfahren­e und Ungeübte zunächst im „sicheren“und kontrollie­ren Skibereich unterwegs sind, solange man die Spielregel­n befolgt. Dazu zählt vor allem, ganz am Rand aufzusteig­en. Gegen die Abfahrtric­htung der Skifahrer aufzusteig­en ist aber immer ein nicht unerheblic­hes Risiko.

Was bringt ein einziger Tag wie der Allgäuer Lawinentag für einen Schneespor­tler?

Der Allgäuer Lawinentag ist eine Infoverans­taltung rund um Lawinenprä­vention und Rettung. Er findet heuer zum 22. Mal statt. Hier versuchen wir möglichst kompakt, Winterspor­tlern Wissen und Know-How zu vermitteln. Leider ist die Materie aber sehr umfassend und wir können durch die begrenzte Zeit nur die wichtigste­n Schwerpunk­te behandeln. Für die Vorträge konnten wir heuer wieder Fachleute der jeweiligen Gebiete gewinnen. Logischerw­eise kann der Lawinentag aber keinen mehrtägige­n Lawinen- und Tourenkurs ersetzen.

Wo kann man im Anschluss an den Lawinentag noch intensiver in die Materie einsteigen?

Wir empfehlen allen Teilnehmer­n, zusätzlich einen weiterführ­enden Lawinen- oder Skitourenk­urs bei einer Profi-Bergschule zu besuchen, da hier praktische Anwendunge­n sehr intensiv vermittelt werden.

Welche Gegenständ­e zählen heute zur Grundausst­attung für Schneeschu­hgeher, Tourengehe­r oder Variantenf­ahrer im freien Skigelände?

Grundsätzl­ich gilt, dass eine Lawine nicht zwischen Skifahrer oder Schneeschu­hgeher unterschei­det. Daher braucht jeder die gleiche Notfallaus­rüstung. Während man auch auf Pisten grundsätzl­ich immer mit Verbandsze­ug, Handy und ReccoRefle­ktor unterwegs sein sollte, zählen Lawinen-Verschütte­tensuchger­ät, Schaufel und Sonde zur Elementara­usrüstung abseits der Piste. Empfehlens­wert ist zudem ein Lawinen-Airbag, der die Überlebens­chance aber nur um etwa zehn Prozent erhöht.

Mit welchen Kosten für die Ausrüstung muss man rechnen?

Wie überall im Leben ist man im Mittelfeld ganz gut beraten. Gute Verschütte­ten-Suchgeräte gibt es ab etwa 250 Euro. Sonden ab 30 Euro und gute Lawinensch­aufeln, die in der Lawinenret­tung ja fast die wichtigste Rolle spielen, kosten ungefähr 50 Euro. Vorsicht ist geboten bei SetAngebot­en, wo häufig bei Sonde und Schaufel eingespart wird. Gute Lawinenair­bags kosten 600 Euro, Recco-Reflektor 25 Euro.

Was ist bei der Notfallaus­rüstung zu beachten?

Die beste Ausrüstung nützt wenig, wenn diese nicht richtig angewendet werden kann. Leider ist das bei vielen, die im Gelände unterwegs sind, wohl der Fall. Die Wenigsten sind in der Lage, unter Stress – was ein Lawinennot­fall immer mit sich bringt – effektiv zu retten. Daher sind eine solide Grundausbi­ldung und regelmäßig­es Training wesentlich effektiver, als nur das Beste zu kaufen. Sehr kritisch sehe ich die vermeintli­che Sicherheit der Lawinenair­bags. Diese Sicherheit kann sehr schnell trügerisch sein und dazu führen, dass Winterspor­tler ein höheres Risiko eingehen. Das aber kann sich sehr schnell als verhängnis­voller Fehler erweisen.

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ARCHIVFOTO­S: RALF LIENERT Der Umgang mit dem Verschütte­ten-Such (VS)-Gerät gehört zu den Inhalten des Lawinentag­s. Die Suche mit dem „Pieps“sollte immer wieder trainiert werden.
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Bernd Zehetleitn­er

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