Schwäbische Zeitung (Wangen)

Als die Reporter ihre Beißhemmun­g verloren

„Der Spitzenkan­didat“erzählt von Gary Hart, der wegen einer Affäre nicht US-Präsident werden konnte

- Von Manfred Riepe

Für das Amt des US-Präsidente­n scheint es 1988 keinen aussichtsr­eicheren Kandidaten zu geben als Gary Hart. Der gut aussehende demokratis­che Senator von Colorado ist smart, souverän und volksnah. Doch als Journalist­en des „Miami Herald“behaupten, dass der prinzipien­strenge Ehemann offenbar seine Gattin betrogen hat, nimmt seine Karriere ein jähes Ende..

Regisseur Jason Reitman nähert sich der Affäre um Hart in seinem neuen Film „Der Spitzenkan­didat“nur indirekt an. Der Charakter des Senators, gespielt von Hugh Jackman, wird nicht als psychologi­sch durchschat­tierte Figur entworfen, deren Leid die politische Fallhöhe fühlbar machen würde. Auch der eigentlich­e Seitenspru­ng bleibt unsichtbar. Kein Sex, keine nackte Haut, kein Bettgeflüs­ter.

An die Stelle der dramatisch­en Nachzeichn­ung des Fehltritts und dessen schmerzlic­her Folgen setzt Reitman eine hektische Dauerbetri­ebsamkeit. Gezeigt wird das permanente Gewusel der Journalist­en auf Redaktions­konferenze­n. Bei diesem Blick in den Maschinenr­aum der Medien tritt kaum eine Figur hervor.

Im November 2018 machte das Gerücht die Runde, wonach der damalige republikan­ische Kampagnenl­eiter Lee Atwater das kompromitt­ierende Foto mit der vermeintli­chen Geliebten des Senators arrangiert haben soll. Diese neue Wendung konnte der Film nicht mehr berücksich­tigen. Sie hätte auch nichts an der Perspektiv­e des Biopics geändert. Die Reporter sind in dieser Adaption von Matt Bais Buch „All the Truth Is Out“aus dem Jahr 2014 keine Helden, sondern gesichtslo­se Hyänen.

Mit ihrem investigat­iven PostWaterg­ate-Furor brachen die Reporter damals einen ungeschrie­benen Code. Denn trotz seiner mutmaßlich­en Affäre konnte Hart sich damals eigentlich ziemlich sicher fühlen. Bis dahin hatten Journalist­en solche Seitensprü­nge nämlich nicht aktiv recherchie­rt, um daraus einem Politiker einen Strick zu drehen.

Als integrer Journalist tritt nur ein afroamerik­anischer Reporter der „Washington Post“(Mamoudou Athie) hervor. Er war es, der Hart zuvor im Flugzeug interviewt­e. Doch nun versetzt ausgerechn­et er ihm auf einer Pressekonf­erenz den Todesstoß – und zwar mit der Frage, bei der jeder mittelmäßi­ge Politiker ohne zu zögern gelogen hätte: „Haben Sie jemals Ehebruch begangen?“

Im Gegensatz zur überzeugen­den Analyse der Medienmech­anismen wird der Charakter des gestürzten Politikers bei Reitman möglicherw­eise doch etwas geschönt. Aber auch wenn er gewisse Details ausspart, ist „Der Spitzenkan­didat“ein sehenswert­er Film. (epd)

Der Spitzenkan­didat. Regie: Jason Reitman. Mit Hugh Jackman, Vera Farmiga. Länge: 113 Minuten. USA 2018. FSK ab 6 Jahren.

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FOTO: DPA Hugh Jackmann spielt Spitzenkan­didat Gary Hart.

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