Ravensburg sieht noch Chance für Neubaugebiet
Trotz VGH-Urteils will Bauamt Brachwiese III in Schmalegg noch nicht aufgeben
RAVENSBURG - Obwohl die Stadt Ravensburg den Prozess vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim (VGH) um das Schmalegger Neubaugebiet „Brachwiese III“mit Pauken und Trompeten verloren hat, will sie die Hoffnung nicht ganz aufgeben, es irgendwann doch noch zu verwirklichen. Zwei Wochen nach Erhalt des Urteils hat sie nun öffentlich Stellung bezogen.
Wie mehrfach berichtet, hatte ein Obstbauer gegen das Neubaugebiet geklagt. Der Landwirt baut südlich der geplanten Wohnhäuser auf 25 Hektar Äpfel und Kirschen an und muss diese mehrmals im Jahr auch nachts spritzen, was großen Lärm verursacht. Er fürchtet, die zukünftigen Bewohner der Brachwiese III könnten sich daran stören und ihm das Leben schwer machen, weil gerade im Frühling und Sommer so gut wie niemand bei geschlossenem Fenster schläft. In einem Normenkontrollantrag führte sein Anwalt eine ganze Batterie von Gründen an, die gegen den Bebauungsplan sprechen. Unter anderem rügte er, dass die Stadt bei ihren Annahmen ein falsches Spritzgerät zugrunde gelegt hatte.
Der VGH gab dem Bauern recht und erklärte den Bebauungsplan für unwirksam, eine Revision wurde nicht zugelassen. Er verstößt nach Auffassung der höchsten Verwaltungsrichter im Land „in beachtlicher Weise“gegen das im Baugesetzbuch verankerte Abwägungsverbot. „Ob er darüber hinaus an weiteren materiellen Mängeln leidet, kann offenbleiben“, heißt es im Urteil. Heißt konkret: Die Abwägungsmängel sind so gravierend, dass mögliche andere Fehler gar nicht mehr untersucht werden mussten.
Falsch abgewogen wurde demnach das Interesse des Landwirts, seiner Arbeit nachzugehen, und das Ruhebedürfnis der Anwohner. Zu den Belangen der Landwirtschaft, die bei der Aufstellung eines Bebauungsplans berücksichtigt werden müssen, „gehört auch das Interesse eines Landwirts, von dem Heranrücken einer schutzbedürftigen Bebauung verschont zu bleiben, die die derzeitige oder zukünftige Betriebsführung gefährden könnten“, zitiert der VGH ein höchstrichterliches Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes. Das beinhalte sogar die Erweiterung oder die Modernisierung seiner Anlagen, die im Rahmen einer normalen Betriebsentwicklung liegen und oft zur Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit notwendig seien.
„Schließlich ist nach der Planung bei (teilweise) geöffneten Fenstern von einem Lärmniveau auszugehen, das einen gesunden Nachtschlaf nicht mehr ermöglicht und damit auch keine gesunden Wohnverhältnisse gewährleistet.“Die Stadt sei aber einfach davon ausgegangen, dass die zukünftigen Bewohner die Fenster geschlossen halten. Zudem habe die Stadt zu hohe Lärmemissionen bei ihrer Planung zugrunde gelegt. Obwohl das Urteil für die Stadt schlecht ist, will sie immer noch nicht aufgeben. Sie liest aus dem Urteil heraus, dass die Lautstärke bereits heute unzulässig ist – für die bestehende Bebauung an der Brachwiese II.
Im Kern geht es laut Stadtverwaltung also vielmehr um die Klärung der Frage: „Was darf die Sprühmaschine überhaupt an Lärm emittieren, damit die Intensivobstanlage bereits heute rechtssicher gegenüber der bestehenden Bebauung – die im Übrigen schon vor der zwischenzeitlich erweiterten Intensivobstanlage vorhanden war – betrieben werden kann?“In der Pressemitteilung heißt es weiter, das Kapitel Brachwiese III sei noch nicht abgeschlossen, obwohl die Stadt das Urteil akzeptieren und keine weiteren Rechtsmittel einlegen will.
Nach dem Ergebnis ihres Gutachtens wären nicht nur im Neubaugebiet, sondern wahrscheinlich auch in den jetzt schon stehenden Häusern, etwa an der Ritter-Heinrich-Straße, während der Obstsaison und besonders nachts die gesetzlichen Grenzwerte überschritten. Der Rest der Pressemitteilung liest sich wie eine Drohung gegen den Bauern: „Man muss deshalb genau prüfen, wie viel Lärm der Landwirt bei der Bewirtschaftung machen darf, ohne dabei bereits bestehende Wohngebiete unzulässig zu stören“, wird Baubürgermeister Dirk Bastin darin zitiert. Die Werte aus dem Gutachten seien jedenfalls zu hoch gewesen. „Der Landwirt muss bei der Bewirtschaftung der Obstanlage auf die bestehende Wohnlage Rücksicht nehmen und dazu geeignete Maßnahmen ergreifen.“Dazu gehöre zum Beispiel die Verwendung einer leiseren Maschine und/oder eine Anpassung der Betriebszeiten. „Dadurch wäre vielleicht auch ein neuer Anlauf zu Brachwiese III denkbar“, heißt es weiter in der Pressemitteilung.
„Wir haben einen enormen Bedarf an Wohnraum in ganz Ravensburg“, so Bastin. Brachwiese III sei „ein gut geplantes Wohngebiet, das bis heute an einem wenn auch durchaus wichtigen Planungsdetail scheiterte“. Auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“drückt sich Bastin jedoch vorsichtiger aus. „Ich schätze den Landwirt sehr, wir wollen ihm nicht drohen, sondern wieder mit ihm ins Gespräch kommen.“Möglicherweise könnte das Baugebiet – etwas verändert und mit einem neuen Bebauungsplan – dann doch noch verwirklicht werden.
Aber warum verbeißt sich die Stadt so in die Brachwiese? Hintergrund dürfte neben der Schaffung von Wohnraum auch ein finanzieller Aspekt sein. Die Stadt hat das Gelände schon vor Jahren in ihren Besitz gebracht und kann mit den Grundstücksverkäufen ein paar Millionen Euro verdienen. Setzt man einen Grundstückswert von 300 Euro pro Quadratmeter an, wären das bei drei Hektar, von denen geschätzt mindestens 1,5 Hektar verkauft werden – der Rest werden Grünflächen, Erschließungsstraßen, Bürgersteige etc., 4,5 Millionen Euro. Bleibt die Brachwiese brachliegen, ist das Grundstück so gut wie nichts mehr wert.
Der Landwirt jedenfalls ist auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“froh über das Urteil. Pflanzenschutzmaßnahmen seien im Obstbau unumgänglich, um den Baumbestand und das Obst vor Schädlingen und Krankheiten zu schützen. Zum Schutz von Bienen müsse das Spritzen auch nachts erfolgen. „Unser Begehren hat sich nie gegen die Entstehung von neuem Wohnraum allgemein gerichtet. Es trifft uns nach wie vor sehr, dass wir diesen Schritt gehen mussten, um unsere Lebensgrundlage zu sichern. Diese berechtigte Gefahr hat die Stadt bis zum Schluss billigend in Kauf genommen“, so der Landwirt.