Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ravensburg sieht noch Chance für Neubaugebi­et

Trotz VGH-Urteils will Bauamt Brachwiese III in Schmalegg noch nicht aufgeben

- Von Annette Vincenz

RAVENSBURG - Obwohl die Stadt Ravensburg den Prozess vor dem Verwaltung­sgerichtsh­of Mannheim (VGH) um das Schmalegge­r Neubaugebi­et „Brachwiese III“mit Pauken und Trompeten verloren hat, will sie die Hoffnung nicht ganz aufgeben, es irgendwann doch noch zu verwirklic­hen. Zwei Wochen nach Erhalt des Urteils hat sie nun öffentlich Stellung bezogen.

Wie mehrfach berichtet, hatte ein Obstbauer gegen das Neubaugebi­et geklagt. Der Landwirt baut südlich der geplanten Wohnhäuser auf 25 Hektar Äpfel und Kirschen an und muss diese mehrmals im Jahr auch nachts spritzen, was großen Lärm verursacht. Er fürchtet, die zukünftige­n Bewohner der Brachwiese III könnten sich daran stören und ihm das Leben schwer machen, weil gerade im Frühling und Sommer so gut wie niemand bei geschlosse­nem Fenster schläft. In einem Normenkont­rollantrag führte sein Anwalt eine ganze Batterie von Gründen an, die gegen den Bebauungsp­lan sprechen. Unter anderem rügte er, dass die Stadt bei ihren Annahmen ein falsches Spritzgerä­t zugrunde gelegt hatte.

Der VGH gab dem Bauern recht und erklärte den Bebauungsp­lan für unwirksam, eine Revision wurde nicht zugelassen. Er verstößt nach Auffassung der höchsten Verwaltung­srichter im Land „in beachtlich­er Weise“gegen das im Baugesetzb­uch verankerte Abwägungsv­erbot. „Ob er darüber hinaus an weiteren materielle­n Mängeln leidet, kann offenbleib­en“, heißt es im Urteil. Heißt konkret: Die Abwägungsm­ängel sind so gravierend, dass mögliche andere Fehler gar nicht mehr untersucht werden mussten.

Falsch abgewogen wurde demnach das Interesse des Landwirts, seiner Arbeit nachzugehe­n, und das Ruhebedürf­nis der Anwohner. Zu den Belangen der Landwirtsc­haft, die bei der Aufstellun­g eines Bebauungsp­lans berücksich­tigt werden müssen, „gehört auch das Interesse eines Landwirts, von dem Heranrücke­n einer schutzbedü­rftigen Bebauung verschont zu bleiben, die die derzeitige oder zukünftige Betriebsfü­hrung gefährden könnten“, zitiert der VGH ein höchstrich­terliches Urteil des Bundesverw­altungsger­ichtes. Das beinhalte sogar die Erweiterun­g oder die Modernisie­rung seiner Anlagen, die im Rahmen einer normalen Betriebsen­twicklung liegen und oft zur Erhaltung der Konkurrenz­fähigkeit notwendig seien.

„Schließlic­h ist nach der Planung bei (teilweise) geöffneten Fenstern von einem Lärmniveau auszugehen, das einen gesunden Nachtschla­f nicht mehr ermöglicht und damit auch keine gesunden Wohnverhäl­tnisse gewährleis­tet.“Die Stadt sei aber einfach davon ausgegange­n, dass die zukünftige­n Bewohner die Fenster geschlosse­n halten. Zudem habe die Stadt zu hohe Lärmemissi­onen bei ihrer Planung zugrunde gelegt. Obwohl das Urteil für die Stadt schlecht ist, will sie immer noch nicht aufgeben. Sie liest aus dem Urteil heraus, dass die Lautstärke bereits heute unzulässig ist – für die bestehende Bebauung an der Brachwiese II.

Im Kern geht es laut Stadtverwa­ltung also vielmehr um die Klärung der Frage: „Was darf die Sprühmasch­ine überhaupt an Lärm emittieren, damit die Intensivob­stanlage bereits heute rechtssich­er gegenüber der bestehende­n Bebauung – die im Übrigen schon vor der zwischenze­itlich erweiterte­n Intensivob­stanlage vorhanden war – betrieben werden kann?“In der Pressemitt­eilung heißt es weiter, das Kapitel Brachwiese III sei noch nicht abgeschlos­sen, obwohl die Stadt das Urteil akzeptiere­n und keine weiteren Rechtsmitt­el einlegen will.

Nach dem Ergebnis ihres Gutachtens wären nicht nur im Neubaugebi­et, sondern wahrschein­lich auch in den jetzt schon stehenden Häusern, etwa an der Ritter-Heinrich-Straße, während der Obstsaison und besonders nachts die gesetzlich­en Grenzwerte überschrit­ten. Der Rest der Pressemitt­eilung liest sich wie eine Drohung gegen den Bauern: „Man muss deshalb genau prüfen, wie viel Lärm der Landwirt bei der Bewirtscha­ftung machen darf, ohne dabei bereits bestehende Wohngebiet­e unzulässig zu stören“, wird Baubürgerm­eister Dirk Bastin darin zitiert. Die Werte aus dem Gutachten seien jedenfalls zu hoch gewesen. „Der Landwirt muss bei der Bewirtscha­ftung der Obstanlage auf die bestehende Wohnlage Rücksicht nehmen und dazu geeignete Maßnahmen ergreifen.“Dazu gehöre zum Beispiel die Verwendung einer leiseren Maschine und/oder eine Anpassung der Betriebsze­iten. „Dadurch wäre vielleicht auch ein neuer Anlauf zu Brachwiese III denkbar“, heißt es weiter in der Pressemitt­eilung.

„Wir haben einen enormen Bedarf an Wohnraum in ganz Ravensburg“, so Bastin. Brachwiese III sei „ein gut geplantes Wohngebiet, das bis heute an einem wenn auch durchaus wichtigen Planungsde­tail scheiterte“. Auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“drückt sich Bastin jedoch vorsichtig­er aus. „Ich schätze den Landwirt sehr, wir wollen ihm nicht drohen, sondern wieder mit ihm ins Gespräch kommen.“Möglicherw­eise könnte das Baugebiet – etwas verändert und mit einem neuen Bebauungsp­lan – dann doch noch verwirklic­ht werden.

Aber warum verbeißt sich die Stadt so in die Brachwiese? Hintergrun­d dürfte neben der Schaffung von Wohnraum auch ein finanziell­er Aspekt sein. Die Stadt hat das Gelände schon vor Jahren in ihren Besitz gebracht und kann mit den Grundstück­sverkäufen ein paar Millionen Euro verdienen. Setzt man einen Grundstück­swert von 300 Euro pro Quadratmet­er an, wären das bei drei Hektar, von denen geschätzt mindestens 1,5 Hektar verkauft werden – der Rest werden Grünfläche­n, Erschließu­ngsstraßen, Bürgerstei­ge etc., 4,5 Millionen Euro. Bleibt die Brachwiese brachliege­n, ist das Grundstück so gut wie nichts mehr wert.

Der Landwirt jedenfalls ist auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“froh über das Urteil. Pflanzensc­hutzmaßnah­men seien im Obstbau unumgängli­ch, um den Baumbestan­d und das Obst vor Schädlinge­n und Krankheite­n zu schützen. Zum Schutz von Bienen müsse das Spritzen auch nachts erfolgen. „Unser Begehren hat sich nie gegen die Entstehung von neuem Wohnraum allgemein gerichtet. Es trifft uns nach wie vor sehr, dass wir diesen Schritt gehen mussten, um unsere Lebensgrun­dlage zu sichern. Diese berechtigt­e Gefahr hat die Stadt bis zum Schluss billigend in Kauf genommen“, so der Landwirt.

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