Ungewöhnlicher Besuch am Schwäbischen Meer
511 Exemplare der bedrohten Spezies Großer Brachvogel haben Quartier am Bodensee bezogen
WASSERBURG - Er ist vom Aussterben bedroht: der Große Brachvogel. Umso mehr freuen sich nicht nur Vogelkundler, dass derzeit Zählungen zufolge 511 der prächtigen, langschnäbligen und langbeinigen Tiere aus dem Osten in der Bodenseeregion überwintern. Wo genau sie herkommen, ist nicht klar. Die heimischen 25 Brutpaare aus dem Oberrheintal bei Bühl/Offenburg und die knapp 500 bayerischen Brutpaare überwintern derweil in Spanien, Portugal oder gar Marokko.
Angekommen sind die Gäste, die zur Familie der Schnepfen gehören, im Herbst, bleiben werden sie voraussichtlich bis April. Seit rund 40 Jahren nehmen sie die lange Reise auf sich, um in milderen Gefilden zu überwintern. Und jedes Mal ist es ein Naturschauspiel, wenn sich ein Trupp der Großen Brachvögel niederlässt: Elegant stolzierend suchen die Vögel nach Nahrung, gehen dabei fast systematisch vor, indem sie sich langsam von einem zum anderen Ende der feuchten Wiese oder des Streuobstbestands vorarbeiten. Mit ihren langen Schnäbeln suchen sie im Boden, in Erdlöchern oder im Flachwasser nach Nahrung wie Regenwürmern, Asseln oder beispielsweise Kohlschnakenlarven. Dabei sind die Tiere extrem scheu: Nimmt eines mit seinen Augen Gefahr wahr, stößt es einen schrillen Schrei aus. Sofort hebt der ganze Trupp ab.
Ende April steht die Abreise an – wohl in Gefilde, wo es später Frühling wird. Der Aufbruch könnte sich mit der Ankunft der heimischen Großen Brachvögel überlappen: Üblicherweise treffen diese Mitte März ein. Im April legen die Großen Brachvögel ihre Eier, meist sind es vier. Nach einer Brutzeit von 30 Tagen schlüpfen die Kleinen. 38 Tage sind sie von ihren Eltern abhängig, dann löst sich der Familienverband auf. Haben die Eltern Nachwuchs aufgezogen, fliegen sie erst im August Richtung Süden, sonst bereits im Juli.
Zehn Tiere haben Sender
Weil zehn Tiere aus dem Oberrheintal mit Sendern ausgestattet wurden, weiß Wolfgang Fiedler vom MaxPlanck-Institut für Ornithologie in Radolfzell am Bodensee um den Zugweg der Tiere: In nur zwei Tagen legen sie den Weg nach Südspanien in Küstenregionen um Cádiz zurück, manche schaffen es sogar nach Marokko. „Sie fliegen etliche Hundert Kilometer am Stück“, sagt der Experte. Wenn die Großen Brachvögel zurückkommen, soll es weitere Daten geben: Dann werden die Sender abgerufen. Auch zehn bayerische Tiere sind im Rahmen eines Projektes mit Sendern ausgestattet. Bis 2023 – so lange läuft das Projekt – sollen es 31 sein. Von den Ergebnissen erhoffen sich die Wissenschaftler Erkenntnisse für einen besseren Schutz der bedrohten Tiere.
Doch warum fliegen „unsere“Großen Brachvögel in den sonnigen Süden, während Vögel aus dem Osten, die etwas robuster und größer sind, zum Bodensee kommen? Auf diese Frage hat Fiedler keine wissenschaftlich belegbare Antwort. „Vielleicht aus Tradition“, mutmaßt er. Über den Großen Brachvogel, der von Irland über Nord- und Mitteleuropa bis in die Mandschurei verbreitet ist, ist nur wenig bekannt. Auch über die Gruppendynamik weiß man nur wenig. Immerhin wissen die Vogelkundler, dass sich die Überwinterungsgäste von ihrem Schlafplatz an der Rheinmündung in kleineren oder größeren Trupps aufmachen und auf der Suche nach Nahrung die näheren Gebiete durchstreifen.
Schlecht bestellt ist es bei uns um den Brachvogelbestand aufgrund der Intensivierung der Wiesennutzung. Besonders ungünstig sind nach Angaben des LBV frühe und häufige Mahden, weil sie den Verlust des Geleges nach sich ziehen, sowie Düngung mit der Folge einer ungünstigeren Vegetationsstruktur. Um den Großen Brachvogel zu schützen, bekommen Bauern im Oberrheintal Ausgleichszahlungen, wenn sie nur zu bestimmten Zeiten mähen beziehungsweise Bereiche um die Nester herum stehen lassen. Zudem wird dort der Bereich des BrachvogelNestes – er ist ein Bodenbrüter – im Abstand von 50 Metern mit einem Zaun umgeben: So soll verhindert werden, dass sich Füchse über die Eier hermachen.
Wiesenbrütergebiete sind bedroht
Viele Wiesenbrütergebiete sind auch durch Infrastrukturmaßnahmen wie Straßen, Wege, Gewerbegebiete bedroht. Nachteilig sei auch die Zerschneidung und Verkleinerung von offenen Landschaftsräumen. „In vielen wichtigen Lebensräumen haben Störungen durch Freizeitbetrieb von März bis Juni an den Brutplätzen sowie an Rast- und Nahrungsflächen ein alarmierendes Ausmaß erreicht.“
In Bayern hat der Bestand des Großen Brachvogels zwischen 1980 und 2005 um rund 60 Prozent abgenommen. Am Bodensee gab es vor rund hundert Jahren noch hundert Brutpaare. Auch diese Zahl ist drastisch zurückgegangen. „Das Verschwinden des Brachvogels aus der Bodenseeregion als Brutvogel dürfte nicht mehr lange dauern“, sagt Gerhard Knötzsch, Vorsitzender der Nabu-Gruppe Friedrichshafen-Tettnang. „Im vergangenen Frühjahr hielten sich noch zehn Paare im Rheintal auf, die aber leider keinen Bruterfolg hatten.“