Sturz ins Leere: „Es war ein explosionsartiger Schmerz“
Bei einem Unfall in einer Oberallgäuer Kletterhalle wurde ein 48-Jähriger schwer verletzt – Jetzt wird die Leiterin des Kurses angeklagt, aber am Ende freigesprochen
SONTHOFEN (mang) - Als sie den Moment beschreibt, in dem sich das Seil löst, bricht die 30-Jährige in Tränen aus. Sie sitzt im Zeugenstand des Amtsgerichts Sonthofen. Gegenstand der Verhandlung ist ein Unfall in einer Oberallgäuer Kletterhalle im Februar 2018. Dabei war ein 48-Jähriger aus vier Metern Höhe abgestürzt und schwer verletzt worden. Trotz mehrerer Operationen leidet der Mann bis heute unter den Folgen.
Beim Klettern sichern sollte ihn die 30-Jährige. Doch nicht sie ist angeklagt. Vor Gericht steht die KletterTrainerin – wegen fahrlässiger Körperverletzung. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, die Kursteilnehmer nicht ausreichend gesichert und den Klettervorgang nicht genügend überwacht zu haben. Der Unfall hätte „durch die erforderliche Sorgfalt verhindert werden können“, sagt die Staatsanwältin zum Prozessauftakt. Das Unglück mit den Verletzungsfolgen sei für die 47-Jährige vorhersehbar gewesen. Die Frau hatte Einspruch gegen einen Strafbefehl von 1600 Euro eingelegt. Am Ende der Verhandlung wird die Angeklagte freigesprochen.
Zu dem Unfall kam es im Februar 2018 in einer Kletterhalle. Dort betreute die Angeklagte als Trainerin einen Kletter-Schnupperkurs mit sechs Kindern im Alter von 10 bis 14 Jahren und zwei Betreuern. Die Angeklagte erklärt, sich nicht für die erwachsenen Betreuer verantwortlich gefühlt zu haben. „Das Programm galt nur den Kindern.“Der Verunglückte sagt hingegen aus, auch die Betreuer angemeldet zu haben. „Ich war Teil des Kurses. Es war nicht ausgeschlossen, dass die Erwachsenen klettern“, erklärt er vor Gericht. „Wir haben uns angemeldet und die Klettererfahrung der Betreuer angegeben.“
Die Gruppe kletterte im sogenannten „Toprope-Verfahren“an vier vorab angebrachten Seilen. Als die Kinder die Lust am Klettern längst verloren hatten, kam es zu dem Unfall: Der 48-Jährige, der selbst Kletterausrüstung mitgebracht hatte, beschloss, gemeinsam mit einer Kollegin selbst die Wand der Kletterhalle zu erklimmen. Als ihn die 30-Jährige abseilen wollte, passierte das Unglück. Weil sie ein anderer Betreuer ablenkte, löste sie das Sicherungssystem, das Seil rutschte durch und der 48-Jährige stürzte auf den Hallenboden. „Erst ging es geregelt abwärts, dann hat das Seil gestoppt und ich bin gefallen.“
Der Mann erlitt einen Berstungsspaltbruch am ersten Lendenwirbelkörper, der auch zu einer Verengung des Wirbelkanals führte. „Es war ein explosionsartiger Schmerz“, erzählt der 48-Jährige im Zeugenstand. Er musste fünfmal operiert werden, war fast ein halbes Jahr arbeitsunfähig. „Es bestand die Gefahr einer Querschnitt-Lähmung“, sagte der 48-Jährige. Er habe noch immer eine motorische Störung. Auf die Frage der Staatsanwältin, wem der Mann die Schuld an dem Unglück gebe, antwortet er: „Wenn nicht erwünscht ist, dass die Betreuer mitklettern, sollten sie keine Ausrüstung bekommen. Wenn meine Kollegin beim Sichern abgelenkt wurde, wäre es gut gewesen, wenn eine Aufsichtsperson das gesehen hätte.“
Wie genau es zu dem Unglück kam, kann die Verhandlung nicht vollständig aufklären. Vermutlich war das Seil durch einen falschen Handgriff durch das halbautomatische Sicherungsgerät gerutscht. Das vermutete ein Polizist im Zeugenstand. „Es war eine Fehlbedienung des Systems, sonst wäre es nicht passiert.“Auch der große Gewichstunterschied zwischen dem 48-Jährigen, der etwa 110 Kilogramm wiegt, und seiner Kollegin mit 60 Kilogramm könnte eine Rolle gespielt haben, sagt die Staatsanwältin.
Aber für sie steht am Ende ebenso wie für Richterin Brigitte GramatteDresse fest: Die Angeklagte wird freigesprochen. „Ich weiß nicht, welchen Sorgfaltspflichtverstoß ich der Angeklagten vorwerfen soll“, sagte die Staatsanwältin. „Es ist ein tragischer Unfall“, sagte die Richterin. „Aber ich weiß nicht, wie die Angeklagte ihn hätte verhindern sollen. Es gibt bei vielen Sportarten ein Restrisiko. Beim Klettern hängt das Leben davon ab, wer sichert.“Das Urteil ist rechtskräftig.