Der Machtverlust bekommt der CSU in Bayern gut
Die 100-Tage-Bilanz der neuen Regierung: Die Menschen sind so zufrieden, wie sie es mit der Alleinherrschaft der Christsozialen schon lange nicht mehr waren
MÜNCHEN - Seit 100 Tagen regiert eine neue Koalition im Münchner Landtag. Bayern geht es trotzdem ziemlich gut. Und laut Demoskopie sind die Menschen so zufrieden, wie sie es mit der CSU-Alleinherrschaft schon lange nicht mehr waren. Sogar die große Schwester CDU bekommt was ab vom neuen Glücksgefühl.
Eben hat Bayerns CSU-Innenminister den Freunden von der CDU versichert, dass die Zeit des Streits vorbei sei. Bayern, sagte Joachim Herrmann, werde schließlich mittlerweile eingebunden in das Ringen um die Flüchtlingspolitik. So hätte der Mann noch vor einem Jahr wohl nicht geredet. Da ging es der CSU noch um jede Stimme, gerne auch auf Kosten des Friedens unter den Unionsparteien.
Heute ist der konservative Alleinvertretungsanspruch Geschichte, zumindest bis auf Weiteres. Die CSU hat in Markus Söder einen Ministerpräsidenten, dem das Wahlvolk mehrheitlich die große bundespolitische Kompetenz abspricht – und der zugleich der Koalitionsregierung mit den Freien Wählern Zufriedenheitswerte beschert, von denen sie in der CSU lange nicht einmal mehr träumen konnten.
Viel erinnert an die ersten Nachkriegsjahre. Da gab es noch die Bayernpartei als nennenswerte Konkurrenz um Stimmen aus dem bürgerlichen Lager. Ländlich orientiert, nicht ganz so klerikal wie der erzkatholisch orientierte Flügel in der CSU. Den wies dann Franz Josef Strauß in seine Schranken. Und der Bayernpartei entledigte sich die CSU mit nicht immer christlichen Methoden.
Es gibt die Bayernpartei noch, als Splitterpartei, aber ihre Rolle haben nun die Freien Wähler eingenommen. Tief verwurzelt auf dem flachen Land, allzeit kampfbereit für bäuerliche Interessen – und so bayerisch, wie es die CSU lange nicht sein durfte im Sinne ihres bundespolitischen Anspruchs. Gäbe es die Freien Wähler nicht, ließe sich spotten, dann hätte die CSU sie erfinden müssen. Auch um Wähler im Lager zu halten, die mit den Avancen ans grün-liberale Großstadtpublikum nichts anfangen können.
Und ein wenig auch, um den Bayerntraum vom kleinen Glück zu pflegen, den Märchenkönig Ludwig II. dem großdeutschen Zeitgeist opfern musste. Gegen Bares aus Berlin, nebenbei bemerkt. Da muss es kein Zufall sein, dass Ministerpräsident Söder in einer ersten lauten Wortmeldung zur Bundespolitik mehr Eigenständigkeit für die Länder verlangt. Zumal dann, wenn der Bund Geldzuwendungen mit erweiterter Einmischung verbinden will.
Mit Geld sind diese Bayern ohnehin kaum zu disziplinieren, sie haben im Ländervergleich genug davon. Und es gibt die Theorie, dass Söder als Finanzminister so eisern sparte, um nun mit Wahlgeschenken aus dem Vollen zu schöpfen: 1000 Euro jährlich für schwer Pflegebedürftige und ihre Familien. Monatlich 250 Euro je Kind im Alter von 13 bis 36 Monaten. Und obendrauf 100 Euro monatlich für drei Kindergartenjahre.
Recht leise, aber doch bestimmt, hat die Münchner Staatsregierung im Fall der Wohltaten mit dem Bund gestritten, der die familienpolitischen Extras gern auf Sozialhilfeleistungen angerechnet hätte. „Deutschland ist so erfolgreich, weil es uns Bayern gibt“, sagt Söder. Da könne ihm Berlin doch nicht verbieten, dass die Menschen im Freistaat das auch am eigenen Geldbeutel spüren. Sogar die Hartz-IV-Empfänger.
Viele in der CSU haben dem neuen Ministerpräsidenten lange nicht verziehen, dass er schon in früheren Jahren im Zweifel auf Volkes Stimme hörte. Zum Beispiel, als er als Umweltminister die Pläne für einen gigantischen Ausbau der Donau in die Schubladen verbannte.
Der Schwarze Peter wird geteilt
Auch bei solch umstrittenen Entscheidungen kommt Söder nun gelegen, dass er mit einer Koalition regiert. Bei der Denkpause zum Bau einer dritten Startbahn für den Münchner Flughafen ebenso wie beim zumindest vorläufigen Verzicht auf riesige Flutpolder an der Donau: Daran sind nun die Freien Wähler schuld. Im eigenen Lager bringt ihnen dies Stimmen und stärkt somit Söders Regierung.
Spannend ist, dass den Preis für solche Synergieeffekte vor allem Bayerns Sozialdemokraten zahlen. Derzeit liegt die SPD in Umfragen noch bei sechs Prozent. Sogar das Publikum der Ärmsten macht ihnen diese Staatsregierung streitig mit einer Stiftung zur Obdachlosenhilfe. Die hatte Söder schon vergangenes Jahr bei einer Audienz dem Papst versprochen: „Das ist ein unglaublich reiches Land. Aber auch hier gibt es Armut vor der Tür.“
Auch was die Barmherzigkeit angeht, überrascht Bayerns neuer Premier mit bisher eher unbekannten Wesenszügen. Im eigenen Umfeld gilt er nämlich als harter Brocken. Nach seiner Wiederwahl hat Söder ziemlich gnadenlos sein Kabinett bereinigt. Sogar Schulminister Ludwig Spaenle, der offen wie kaum ein Zweiter die Ablösung des Söder-Vorgängers Horst Seehofer betrieb, musste gehen.
Mit Milde dürfen eher Obdachlose rechnen – und die Schwesterpartei. Bei aller Priorität bayerischer Interessen, sagte Söder kürzlich in einem Interview, liege ihm an „Profil mit Stil“. Also daran, beim Durchsetzen solcher Interessen zu zeigen, „dass man das in einem bürgerlichen Umgangston machen kann.“
Vorgänger Seehofer, der sich mitunter im Ton vergriff, ist angesichts solchen Wandels schon so gut wie Geschichte: Bei einer Umfrage, ob er Bundesinnenminister bleiben soll, bekam er klare Mehrheiten nur noch von den AfD-Anhängern. Aber auch die werden deutlich weniger in Bayern, seit die CSU dort nicht mehr allein regiert.