Amri-Komplize wurde abgeschoben
Innenministerium ordnete Rückführung eines Breitscheidplatz-Terrorverdächtigen nach Tunesien an
BERLIN - Mit Empörung haben die Oppositionsparteien im Bundestag auf eine neue Enthüllung im Fall Anis Amri reagiert. Wie sich jetzt herausstellte, wurde ein Komplize des tunesischen Attentäters vom Berliner Breitscheidplatz wenige Wochen nach der Tat auf ausdrücklichen Wunsch des Bundesinnenministeriums abgeschoben, obwohl es Hinweise dafür gab, dass er aktiv an der Tat mitgewirkt haben soll. Allerdings soll der radikale Islamist Bilel A. zugleich als Informant des marokkanischen Geheimdienstes DGST gearbeitet haben, wie das Magazin „Focus“berichtet. Der Dienst hatte Deutschland mehrfach vor der Gefahr durch Anis Amri gewarnt.
Dem Untersuchungsausschuss des Bundestages war bereits bekannt, dass A. regelmäßig Kontakt mit Amri hatte. Die beiden trafen sich noch am Abend vor dem Attentat, bei dem Amri zwölf Menschen tötete. Wie der „Focus“nun unter Berufung auf geheime Ermittlungsdokumente berichtet, gibt es eine bisher geheim gehaltene Filmsequenz von den Sekunden, nachdem der Terrorist Amri den Sattelzug in die Menschenmenge auf dem Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gelenkt hatte. Darauf ist demnach ein Mann zu erkennen, der A. ähnelt. Nachdem Amri aus dem Führerhaus ausgestiegen ist, ermöglicht der Mann ihm die Flucht: Mit einem Kantholz schlägt er einen Passanten, der Amri aufhalten will, gegen den Kopf. Der Getroffene stürzt zu Boden. Dem Bericht zufolge liegt er bis heute im Koma. Zwei Stunden nach dem Attentat habe A. die Szenerie des Tatortes fotografiert und die Bilder an eine unbekannte Rufnummer geschickt.
Schutz vor Strafverfolgung
Den Unterlagen zufolge wurde bereits neun Tage nach der Tat im Bundesinnenministerium beschlossen, dass A. Deutschland verlassen muss, um ihn vor Strafverfolgung zu schützen. „Seitens der Sicherheitsbehörden und des Bundesinnenministeriums besteht ein erhebliches Interesse daran, dass die Abschiebung erfolgreich verlaufen soll“, zitiert der „Focus“eine E-Mail an die Bundespolizei vom 28. Dezember 2016. Am 1. Februar 2017 wurde er per Flugzeug nach Tunesien gebracht.
Die Opposition im Bundestag fordert schnell Klarheit über den Vorfall. „Wir erwarten umfassende Aufklärung“, erklärte der Ravensburger Innenpolitiker Benjamin Strasser, der für die FDP im Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz sitzt. Die Bundesregierung gehe nach dem Motto „Tricksen, Täuschen, Tarnen“vor. Von ihr fordert Strasser, dass „in Kürze eine Vernehmung As. sichergestellt wird“. Der grüne Innenexperte Konstantin von Notz nannte den Vorgang „hoch dubios und maximal irritierend“. Bei A. handle es sich immerhin um eine zentrale Figur. Es sei der Dimension des Anschlags nicht angemessen, dass er nur einmal befragt und dann abgeschoben worden sei. Die Linken-Politikerin Martina Renner sprach von einem „großen Rätsel“und kritisierte die Abschiebung als „Nacht- und Nebelaktion“.