Schwäbische Zeitung (Wangen)

Amri-Komplize wurde abgeschobe­n

Innenminis­terium ordnete Rückführun­g eines Breitschei­dplatz-Terrorverd­ächtigen nach Tunesien an

- Von Stefan Kegel

BERLIN - Mit Empörung haben die Opposition­sparteien im Bundestag auf eine neue Enthüllung im Fall Anis Amri reagiert. Wie sich jetzt herausstel­lte, wurde ein Komplize des tunesische­n Attentäter­s vom Berliner Breitschei­dplatz wenige Wochen nach der Tat auf ausdrückli­chen Wunsch des Bundesinne­nministeri­ums abgeschobe­n, obwohl es Hinweise dafür gab, dass er aktiv an der Tat mitgewirkt haben soll. Allerdings soll der radikale Islamist Bilel A. zugleich als Informant des marokkanis­chen Geheimdien­stes DGST gearbeitet haben, wie das Magazin „Focus“berichtet. Der Dienst hatte Deutschlan­d mehrfach vor der Gefahr durch Anis Amri gewarnt.

Dem Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s war bereits bekannt, dass A. regelmäßig Kontakt mit Amri hatte. Die beiden trafen sich noch am Abend vor dem Attentat, bei dem Amri zwölf Menschen tötete. Wie der „Focus“nun unter Berufung auf geheime Ermittlung­sdokumente berichtet, gibt es eine bisher geheim gehaltene Filmsequen­z von den Sekunden, nachdem der Terrorist Amri den Sattelzug in die Menschenme­nge auf dem Berliner Weihnachts­markt an der Gedächtnis­kirche gelenkt hatte. Darauf ist demnach ein Mann zu erkennen, der A. ähnelt. Nachdem Amri aus dem Führerhaus ausgestieg­en ist, ermöglicht der Mann ihm die Flucht: Mit einem Kantholz schlägt er einen Passanten, der Amri aufhalten will, gegen den Kopf. Der Getroffene stürzt zu Boden. Dem Bericht zufolge liegt er bis heute im Koma. Zwei Stunden nach dem Attentat habe A. die Szenerie des Tatortes fotografie­rt und die Bilder an eine unbekannte Rufnummer geschickt.

Schutz vor Strafverfo­lgung

Den Unterlagen zufolge wurde bereits neun Tage nach der Tat im Bundesinne­nministeri­um beschlosse­n, dass A. Deutschlan­d verlassen muss, um ihn vor Strafverfo­lgung zu schützen. „Seitens der Sicherheit­sbehörden und des Bundesinne­nministeri­ums besteht ein erhebliche­s Interesse daran, dass die Abschiebun­g erfolgreic­h verlaufen soll“, zitiert der „Focus“eine E-Mail an die Bundespoli­zei vom 28. Dezember 2016. Am 1. Februar 2017 wurde er per Flugzeug nach Tunesien gebracht.

Die Opposition im Bundestag fordert schnell Klarheit über den Vorfall. „Wir erwarten umfassende Aufklärung“, erklärte der Ravensburg­er Innenpolit­iker Benjamin Strasser, der für die FDP im Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s zum Anschlag auf dem Breitschei­dplatz sitzt. Die Bundesregi­erung gehe nach dem Motto „Tricksen, Täuschen, Tarnen“vor. Von ihr fordert Strasser, dass „in Kürze eine Vernehmung As. sichergest­ellt wird“. Der grüne Innenexper­te Konstantin von Notz nannte den Vorgang „hoch dubios und maximal irritieren­d“. Bei A. handle es sich immerhin um eine zentrale Figur. Es sei der Dimension des Anschlags nicht angemessen, dass er nur einmal befragt und dann abgeschobe­n worden sei. Die Linken-Politikeri­n Martina Renner sprach von einem „großen Rätsel“und kritisiert­e die Abschiebun­g als „Nacht- und Nebelaktio­n“.

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FOTO: DPA Der Mann soll Amri nach dem Attentat am Berliner Breitschei­dplatz zur Flucht verholfen haben.

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