Harsche Kritik an der Bahn von allen Seiten
Rathauschefs, Ministerium und Pro Bahn äußern sich – Bahn verteidigt Einstellung des Zugverkehrs
RAUM WANGEN - Die Bahn erntet heftige Kritik für die kurzfristige Einstellung des kompletten Zugbetriebs im Württembergischen Allgäu. Am Montag meldeten sich die Rathauschefs der betroffenen Städte und Gemeinden zu Wort. Das Landesverkehrsministerium sprach von einem „neuen Tiefpunkt in der Qualitätsentwicklung des Schienenverkehrs in Südwürttemberg“. Es forderte die Bahn auf, bis Dienstagnachmittag Lösungen vorzulegen, wie der Schienenbetrieb kurzfristig wieder aufgenommen werden kann. Der Fahrgastverband Pro Bahn verwies auf still stehende Züge in anderen Regionen. Unterdessen bezeichnete die Deutsche Bahn das Aus für den Schienenverkehr bis voraussichtlich 11. April als „Vorsichtsmaßnahme“. Noch sei unklar, ob und welche Schäden an den 20 aus dem Verkehr gezogenen Triebwagen der Baureihe VT-650 vorliegen.
Rathauschefs: „Wir akzeptieren das nicht“
Die Bürger- und Oberbürgermeister von Leutkirch, Isny, Wangen, Kißlegg, Argenbühl, Amtzell und Aitrach sagten am Montag in einer gemeinsamen Erklärung: „Wir akzeptieren das nicht.“Die Mitteilung habe die betroffenen Kommunen am Freitagnachmittag vollkommen unvorbereitet so kurzfristig getroffen, dass sie nicht mehr reagieren konnten.
Weiter schreiben Hans-Jörg Henle, Rainer Magenreuter, Michael Lang, Dieter Krattenmacher, Roland Sauter, Clemens Moll und Thomas Kellenberger: Ihnen sei völlig unklar, weshalb die Bahn sich zu diesem Schritt entschlossen hat. „Sicher ist aber, dass die Umstellung auf Busse erhebliche Auswirkungen auf die Schüler- und Berufspendlerverkehre hat. Insbesondere die Schüler und Schülerinnen der Beruflichen Schulen in Leutkirch und Wangen sind davon betroffen. Denn die Busse brauchen länger als die Züge, weshalb es nicht sicher ist, dass sie pünktlich zum Unterricht erscheinen können.“
Nach Ansicht der Rathauschefs kommt die Stilllegung der DB-Züge gerade jetzt kurz vor den Haupttagen der Fasnet „völlig zur Unzeit“. Denn um Umzüge und andere fastnächtliche Veranstaltungen zu erreichen, nutzten Narrenzünfte und Zuschauer für gewöhnlich in sehr großer Zahl die Bahn. „Es ist daher absehbar, dass der Schienenersatzverkehr nicht ausreichen wird, um den Bedarf zu decken. Dies gilt nicht nur entlang der Strecke von Norden nach Süden und umgekehrt. Dies gilt auch für die Anbindung nach Oberschwaben. Denn auch die Verbindung von Kißlegg nach Aulendorf ist von der Einstellung des Schienenverkehrs durch die Bahn betroffen“, schreiben die Bürgermeister und Oberbürgermeister.
In ihrer Kritik nennen die Rathauschefs zudem einen weiteren Aspekt: Gerade jetzt, wo sich die Region auf eine halbjährige Einstellung des Bahnverkehrs ab 12. April wegen der Elektrifizierung einstellt, beschädige dieser Eingriff das Image des Öffentlichen Personennahverkehrs. „Die Bahn und der ÖPNV als Ganzes haben in der Bevölkerung im Württembergischen Allgäu schon lange kein hohes Ansehen. Solche Eingriffe bewirken die Bestätigung, dass man sich auf den ÖPNV nicht verlassen kann“, heißt es in der Pressemitteilung weiter.
Deshalb sei sehr zu hoffen, dass bei der bevorstehenden Elektrifizierung zwischen Leutkirch, Kißlegg, Wangen und Hergatz der Schienenersatzverkehr gut vorbereitet und kommuniziert werde, damit die Fahrgäste sicher befördert werden und das künftige elektrifizierte Angebot nicht mit einer noch größeren Hypothek starten müsse.
Was den am Montag eingetretenen Zustand angeht, heißt es abschließend: „Wir fordern die Deutsche Bahn auf, zumindest die wichtigsten Verkehrsverbindungen mit Zügen aufrechtzuerhalten und unverzüglich klarzustellen, warum und für wie lange die Einstellung des regulären Verkehrs erfolgt. Und wir fordern das Land auf, dafür zu sorgen, dass die Bahn die vom Land bestellten Verbindungen auch auf die Schiene bringt.“Hintergrund: Bislang rechnet die Bahn bis längstens 11. April mit dem Ausfall der Züge.
Ministerium: „Sehr schnell Abhilfe schaffen“
Das angesprochene Landesverkehrsministerium äußerte sich am Montag genau zu diesen Punkten: „Ein derart lang dauernder Wegfall des Bahnangebots in einer ganzen Region entspricht nicht den vertraglichen Vereinbarungen. Das ist ein neuer Tiefpunkt in der Qualitätsentwicklung des Schienenverkehrs in Südwürttemberg“, so Uwe Lahl, Amtschef des Verkehrsministeriums, in einer Mitteilung. Der Ersatzverkehr mit Bussen sei für die Fahrgäste mit „so vielen Nachteilen und deutlich längeren Fahrzeiten verbunden“, dass er nach Ansicht des Verkehrsministeriums auf sehr wenige Tage begrenzt bleiben muss.
Und: „Solche technischen Fahrzeugprobleme, die eine ganze Flotte betreffen, kann es immer geben, aber es muss nun sehr schnell Abhilfe geschaffen werden.“
Das Verkehrsministerium hat nach eigenen Angaben DB Regio am Wochenende aufgefordert, bis Dienstagnachmittag eine Lösung vorzulegen, wie der Schienenverkehr mit Ersatzfahrzeugen aus dem DB-Konzern oder von anderen Verkehrsunternehmen kurzfristig wieder aufgenommen werden kann.
Wenngleich auch das Ministerium am Freitagnachmittag von der Nachricht der Bahn zur Einstellung des Schienenverkehrs überrascht worden sei, habe das Unternehmen aber in einem Punkt richtig gehandelt – nämlich darin, dass es „den Hinweisen auf mögliche Schäden am Getriebe der Fahrzeuge sofort nachgeht und diese im Interesse der Sicherheit der Fahrgäste umgehend behebt“. Auch sei die kurzfristige Organisation eines ersatzweisen Busverkehrs anzuerkennen.
Pro Bahn: „Auf die Suche nach Zügen machen“
Den Busverkehr spricht auch der Fahrgastverband Pro Bahn in seiner Stellungnahme an – allerdings mit anderem Schwerpunkt. „Wer Busse organisieren kann, sollte sich auch auf die Suche nach Zügen machen können“, so Landesvorsitzender Stefan Buhl. Und er schlägt vor: „Wegen der Elektrifizierungsarbeiten für die Breisach-S-Bahn sollten dort beispielsweise zahlreiche Fahrzeuge arbeitslos herumstehen. Auch wenn aus verschiedenen Gründen vielleicht nicht alle Fahrzeuge unmittelbar betriebsbereit sind, sollte sich da die eine oder andere Reservegarnitur finden lassen können, auch wenn die Miete teurer wird als bei Bussen.“
Buhl äußert ebenso wie das Ministerium zwar teilweises Verständnis für technische Probleme und daraus folgende Einschränkungen der Bahnleistungen. Allerdings hält es überdies für unglaubwürdig, dass „bundesweit weder im eigenen Konzern noch bei anderen Verkehrsunternehmen wenigstens so viele Ersatzfahrzeuge aufgetrieben werden können, dass der Schienenverkehr weitestgehend aufrecht erhalten werden kann“.
VCD: „Situation ist ganz schlecht“
Walter Siedow, Kreisverbandsvorsitzender des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) sagte. „Die Situation ist ganz schlecht.“Den Bahn-Verantwortlichen sei es in den vergangenen Monaten gelungen, viele Berufspendler auf die Schiene zu bringen. „Und jetzt werden diese Leute wieder einmal enttäuscht“, so der Leutkircher. Die Bahn verspiele dadurch erneut Vertrauen, was die Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit der Züge betrifft.
Um sich zu beschweren und um Verbesserungen herbeizuführen, habe sich der VCD-Kreisverband am Wochenende schriftlich unter anderem an den Verkehrsverbund Bodo, an den Regionalverkehr Alb-Bodensee (RAB), an die Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg (NVBW) sowie an sämtliche Bürgerund Oberbürgermermeister der Region gewandt. „Es gibt Ersatzmöglichkeiten“, ist sich Siedow sicher. Seiner Einschätzung nach sollte es möglich sein, Schienenfahrzeuge von anderen Verkehrsgesellschaften zu besorgen.
Bahn: „Fahrzeuge untersuchen und reparieren“
Auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“erklärte sich am Montag die Deutsche Bahn erstmals vergleichsweise ausführlich zur Einstellung des Zugbetriebs: Die bereits in der Mitteilung vom Freitag angegebenen „Unregelmäßigkeiten“an 20 von 80 vorhandenen Triebwagen der Bauart Regio-Shuttle seien just am Freitag bei Routinekontrollen festgestellt worden. Während das Landesverkehrsministerium am Montag mögliche Schäden an den Getrieben der Fahrzeuge nannte, hielt sich ein Bahnsprecher bei der Angabe von Ursachen bedeckt: „Es geht jetzt darum, die Fahrzeuge zu untersuchen und, wenn nötig, zu reparieren.“Die Herausnahme der 20 Triebwagen sei „vorsorglich“und „spontan“geschehen, eine akute Gefahr habe aber nicht bestanden.
Dass der Verkehr im Württembergischen Allgäu komplett eingestellt wurde, während in anderen Regionen der Betrieb mit den noch vorhandenen Regio-Shuttles weiterläuft, begründete der Sprecher ebenfalls: An allen Stellen einzelne Züge herauszunehmen, hätte zu „überall problematischen Situationen“geführt.