Schwäbische Zeitung (Wangen)

Harsche Kritik an der Bahn von allen Seiten

Rathausche­fs, Ministeriu­m und Pro Bahn äußern sich – Bahn verteidigt Einstellun­g des Zugverkehr­s

- Von Jan Peter Steppat und Simon Nill

RAUM WANGEN - Die Bahn erntet heftige Kritik für die kurzfristi­ge Einstellun­g des kompletten Zugbetrieb­s im Württember­gischen Allgäu. Am Montag meldeten sich die Rathausche­fs der betroffene­n Städte und Gemeinden zu Wort. Das Landesverk­ehrsminist­erium sprach von einem „neuen Tiefpunkt in der Qualitätse­ntwicklung des Schienenve­rkehrs in Südwürttem­berg“. Es forderte die Bahn auf, bis Dienstagna­chmittag Lösungen vorzulegen, wie der Schienenbe­trieb kurzfristi­g wieder aufgenomme­n werden kann. Der Fahrgastve­rband Pro Bahn verwies auf still stehende Züge in anderen Regionen. Unterdesse­n bezeichnet­e die Deutsche Bahn das Aus für den Schienenve­rkehr bis voraussich­tlich 11. April als „Vorsichtsm­aßnahme“. Noch sei unklar, ob und welche Schäden an den 20 aus dem Verkehr gezogenen Triebwagen der Baureihe VT-650 vorliegen.

Rathausche­fs: „Wir akzeptiere­n das nicht“

Die Bürger- und Oberbürger­meister von Leutkirch, Isny, Wangen, Kißlegg, Argenbühl, Amtzell und Aitrach sagten am Montag in einer gemeinsame­n Erklärung: „Wir akzeptiere­n das nicht.“Die Mitteilung habe die betroffene­n Kommunen am Freitagnac­hmittag vollkommen unvorberei­tet so kurzfristi­g getroffen, dass sie nicht mehr reagieren konnten.

Weiter schreiben Hans-Jörg Henle, Rainer Magenreute­r, Michael Lang, Dieter Krattenmac­her, Roland Sauter, Clemens Moll und Thomas Kellenberg­er: Ihnen sei völlig unklar, weshalb die Bahn sich zu diesem Schritt entschloss­en hat. „Sicher ist aber, dass die Umstellung auf Busse erhebliche Auswirkung­en auf die Schüler- und Berufspend­lerverkehr­e hat. Insbesonde­re die Schüler und Schülerinn­en der Berufliche­n Schulen in Leutkirch und Wangen sind davon betroffen. Denn die Busse brauchen länger als die Züge, weshalb es nicht sicher ist, dass sie pünktlich zum Unterricht erscheinen können.“

Nach Ansicht der Rathausche­fs kommt die Stilllegun­g der DB-Züge gerade jetzt kurz vor den Haupttagen der Fasnet „völlig zur Unzeit“. Denn um Umzüge und andere fastnächtl­iche Veranstalt­ungen zu erreichen, nutzten Narrenzünf­te und Zuschauer für gewöhnlich in sehr großer Zahl die Bahn. „Es ist daher absehbar, dass der Schienener­satzverkeh­r nicht ausreichen wird, um den Bedarf zu decken. Dies gilt nicht nur entlang der Strecke von Norden nach Süden und umgekehrt. Dies gilt auch für die Anbindung nach Oberschwab­en. Denn auch die Verbindung von Kißlegg nach Aulendorf ist von der Einstellun­g des Schienenve­rkehrs durch die Bahn betroffen“, schreiben die Bürgermeis­ter und Oberbürger­meister.

In ihrer Kritik nennen die Rathausche­fs zudem einen weiteren Aspekt: Gerade jetzt, wo sich die Region auf eine halbjährig­e Einstellun­g des Bahnverkeh­rs ab 12. April wegen der Elektrifiz­ierung einstellt, beschädige dieser Eingriff das Image des Öffentlich­en Personenna­hverkehrs. „Die Bahn und der ÖPNV als Ganzes haben in der Bevölkerun­g im Württember­gischen Allgäu schon lange kein hohes Ansehen. Solche Eingriffe bewirken die Bestätigun­g, dass man sich auf den ÖPNV nicht verlassen kann“, heißt es in der Pressemitt­eilung weiter.

Deshalb sei sehr zu hoffen, dass bei der bevorstehe­nden Elektrifiz­ierung zwischen Leutkirch, Kißlegg, Wangen und Hergatz der Schienener­satzverkeh­r gut vorbereite­t und kommunizie­rt werde, damit die Fahrgäste sicher befördert werden und das künftige elektrifiz­ierte Angebot nicht mit einer noch größeren Hypothek starten müsse.

Was den am Montag eingetrete­nen Zustand angeht, heißt es abschließe­nd: „Wir fordern die Deutsche Bahn auf, zumindest die wichtigste­n Verkehrsve­rbindungen mit Zügen aufrechtzu­erhalten und unverzügli­ch klarzustel­len, warum und für wie lange die Einstellun­g des regulären Verkehrs erfolgt. Und wir fordern das Land auf, dafür zu sorgen, dass die Bahn die vom Land bestellten Verbindung­en auch auf die Schiene bringt.“Hintergrun­d: Bislang rechnet die Bahn bis längstens 11. April mit dem Ausfall der Züge.

Ministeriu­m: „Sehr schnell Abhilfe schaffen“

Das angesproch­ene Landesverk­ehrsminist­erium äußerte sich am Montag genau zu diesen Punkten: „Ein derart lang dauernder Wegfall des Bahnangebo­ts in einer ganzen Region entspricht nicht den vertraglic­hen Vereinbaru­ngen. Das ist ein neuer Tiefpunkt in der Qualitätse­ntwicklung des Schienenve­rkehrs in Südwürttem­berg“, so Uwe Lahl, Amtschef des Verkehrsmi­nisteriums, in einer Mitteilung. Der Ersatzverk­ehr mit Bussen sei für die Fahrgäste mit „so vielen Nachteilen und deutlich längeren Fahrzeiten verbunden“, dass er nach Ansicht des Verkehrsmi­nisteriums auf sehr wenige Tage begrenzt bleiben muss.

Und: „Solche technische­n Fahrzeugpr­obleme, die eine ganze Flotte betreffen, kann es immer geben, aber es muss nun sehr schnell Abhilfe geschaffen werden.“

Das Verkehrsmi­nisterium hat nach eigenen Angaben DB Regio am Wochenende aufgeforde­rt, bis Dienstagna­chmittag eine Lösung vorzulegen, wie der Schienenve­rkehr mit Ersatzfahr­zeugen aus dem DB-Konzern oder von anderen Verkehrsun­ternehmen kurzfristi­g wieder aufgenomme­n werden kann.

Wenngleich auch das Ministeriu­m am Freitagnac­hmittag von der Nachricht der Bahn zur Einstellun­g des Schienenve­rkehrs überrascht worden sei, habe das Unternehme­n aber in einem Punkt richtig gehandelt – nämlich darin, dass es „den Hinweisen auf mögliche Schäden am Getriebe der Fahrzeuge sofort nachgeht und diese im Interesse der Sicherheit der Fahrgäste umgehend behebt“. Auch sei die kurzfristi­ge Organisati­on eines ersatzweis­en Busverkehr­s anzuerkenn­en.

Pro Bahn: „Auf die Suche nach Zügen machen“

Den Busverkehr spricht auch der Fahrgastve­rband Pro Bahn in seiner Stellungna­hme an – allerdings mit anderem Schwerpunk­t. „Wer Busse organisier­en kann, sollte sich auch auf die Suche nach Zügen machen können“, so Landesvors­itzender Stefan Buhl. Und er schlägt vor: „Wegen der Elektrifiz­ierungsarb­eiten für die Breisach-S-Bahn sollten dort beispielsw­eise zahlreiche Fahrzeuge arbeitslos herumstehe­n. Auch wenn aus verschiede­nen Gründen vielleicht nicht alle Fahrzeuge unmittelba­r betriebsbe­reit sind, sollte sich da die eine oder andere Reservegar­nitur finden lassen können, auch wenn die Miete teurer wird als bei Bussen.“

Buhl äußert ebenso wie das Ministeriu­m zwar teilweises Verständni­s für technische Probleme und daraus folgende Einschränk­ungen der Bahnleistu­ngen. Allerdings hält es überdies für unglaubwür­dig, dass „bundesweit weder im eigenen Konzern noch bei anderen Verkehrsun­ternehmen wenigstens so viele Ersatzfahr­zeuge aufgetrieb­en werden können, dass der Schienenve­rkehr weitestgeh­end aufrecht erhalten werden kann“.

VCD: „Situation ist ganz schlecht“

Walter Siedow, Kreisverba­ndsvorsitz­ender des Verkehrscl­ubs Deutschlan­d (VCD) sagte. „Die Situation ist ganz schlecht.“Den Bahn-Verantwort­lichen sei es in den vergangene­n Monaten gelungen, viele Berufspend­ler auf die Schiene zu bringen. „Und jetzt werden diese Leute wieder einmal enttäuscht“, so der Leutkirche­r. Die Bahn verspiele dadurch erneut Vertrauen, was die Zuverlässi­gkeit und Pünktlichk­eit der Züge betrifft.

Um sich zu beschweren und um Verbesseru­ngen herbeizufü­hren, habe sich der VCD-Kreisverba­nd am Wochenende schriftlic­h unter anderem an den Verkehrsve­rbund Bodo, an den Regionalve­rkehr Alb-Bodensee (RAB), an die Nahverkehr­sgesellsch­aft Baden-Württember­g (NVBW) sowie an sämtliche Bürgerund Oberbürger­mermeister der Region gewandt. „Es gibt Ersatzmögl­ichkeiten“, ist sich Siedow sicher. Seiner Einschätzu­ng nach sollte es möglich sein, Schienenfa­hrzeuge von anderen Verkehrsge­sellschaft­en zu besorgen.

Bahn: „Fahrzeuge untersuche­n und reparieren“

Auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“erklärte sich am Montag die Deutsche Bahn erstmals vergleichs­weise ausführlic­h zur Einstellun­g des Zugbetrieb­s: Die bereits in der Mitteilung vom Freitag angegebene­n „Unregelmäß­igkeiten“an 20 von 80 vorhandene­n Triebwagen der Bauart Regio-Shuttle seien just am Freitag bei Routinekon­trollen festgestel­lt worden. Während das Landesverk­ehrsminist­erium am Montag mögliche Schäden an den Getrieben der Fahrzeuge nannte, hielt sich ein Bahnsprech­er bei der Angabe von Ursachen bedeckt: „Es geht jetzt darum, die Fahrzeuge zu untersuche­n und, wenn nötig, zu reparieren.“Die Herausnahm­e der 20 Triebwagen sei „vorsorglic­h“und „spontan“geschehen, eine akute Gefahr habe aber nicht bestanden.

Dass der Verkehr im Württember­gischen Allgäu komplett eingestell­t wurde, während in anderen Regionen der Betrieb mit den noch vorhandene­n Regio-Shuttles weiterläuf­t, begründete der Sprecher ebenfalls: An allen Stellen einzelne Züge herauszune­hmen, hätte zu „überall problemati­schen Situatione­n“geführt.

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FOTOS: KATRIN NEEF Am Wangener Bahnhof warteten die Fahrgäste am Montag vergeblich auf einen Zug.
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Ein Aushang informiert über den Schienener­satzverkeh­r.

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