Pedelecfahrer sind Sorgenkinder der Polizei
Zahl der Verkehrsunfälle steigt 2018 an – Innenminister Herrmanns Plan geht nicht auf
LINDAU - Vor gut einem halben Jahr ist es auf der B 12 vor Hergensweiler zu einem schweren Verkehrsunfall gekommen: Ein 76-jähriger Mann wollte mit seinem Pedelec die Fahrbahn überqueren und wurde von einem Auto erfasst. Der Radfahrer stürzte, eine Woche darauf erlag er seinen schweren Verletzungen. Insgesamt zählt das Polizeipräsidium Schwaben Süd/West, zu dem auch Lindau gehört, im vergangenen Jahr 240 Pedelec-Unfälle. Neben Motorradfahrern gehören die motorisierten Radler damit zu den Sorgenkindern der Beamten.
Seit 2013 erfasst die Polizei die Unfälle von Pedelec-Fahrer, seitdem hat sich die Zahl versechsfacht. „Ein Viertel der Fahrradfahrer hat mittlerweile Pedelecs“, sagt Polizeihauptkommissar Rainer Fuhrmann, als er am Montag mit Polizeivizepräsident Guido Limmer und Polizeioberrat Michael Hämmer die Verkehrsunfallstatistik des Präsidiums vorstellt.
Laut Statistik sind die meisten Pedelec-Fahrer eher älter. „Jetzt fahren Leute, die früher gar nicht aufs Fahrrad gestiegen wären, teilweise bis auf die höchsten Berghütten“, sagt Fuhrman. Auf der einen Seite sei das natürlich begrüßenswert, auf der anderen allerdings gefährlich. „Reaktionversmögen, Sehvermögen und Hörleistung lassen im Alter nach, auch Medikamente spielen eine Rolle“, so der Polizist. Außerdem falle älteren Menschen eine Umstellung – und sei sie nur in Form einer Umleitung – oft schwer.
„Die Unfälle mit Pedelecs nehmen definitiv zu“, sagt auch Lindaus Verkehrspolizist Daniel Stoll. Allein die Lindauer Polizeiinspektion zählt im vergangenen Jahr 34 Unfälle, 2013 waren es noch fünf. „Die meisten davon sind alleinbeteiligt“, erklärt Stoll. „Man fährt eben gleich mal schneller.“Auch Stoll sieht einen deutlichen Zusammenhang zum höheren Alter der Pedelec-Fahrer. In 22 der Unfälle des vergangenen Jahres waren Menschen über 60 Jahren verwickelt. Positiv: Die meisten von ihnen tragen einen Helm.
Das trägt wohl dazu bei, dass die Lindauer Polizeiinspektion unter das vergangenen Jahr eine positive Bilanz zieht. 2018 gab es in deren Bereich keinen einzigen Verkehrstoten. Im gesamten Landkreis waren es fünf, dazu zählt auch der PedelecFahrer aus Hergensweiler.
Wie in jedem Jahr überproportional stark vertreten in der Verkehrsunfallstatistik sind die Motorradfahrer. Sie waren im Landkreis Lindau im vergangenen Jahr in 50 Unfälle verwickelt, wobei ein Großteil davon im oberen Landkreis passierte, wo es mit dem Rohrach und der Alpenstraße mehr klassische Motorradtrecken gibt. Trotzdem hofft Verkehrspolizist Stoll, dass in diesem Jahr die sogenannten Kontrollgruppe Motorrad auch mal in den unteren Landkreis kommt. Die Gruppe, die aus vier Beamten der Kemptener Polizei besteht, startete im verganenen Jahr als Pilotprojekt. „Die Polizisten sind alle selbst passionierte Motorradfahrer“, sagt der Kemptener Polizist Michael Hämmer, der am Montag einige eindrückliche Fotos von schweren Verkehrsunfällen dabei hat. „Solche Bilder wollen wir nicht mehr sehen.“Die Kontrollgruppe Motorrad arbeitet im gesamten Verbreitungsgebiet des Präsidiums. Hauptsächlich zwischen April und Oktober sind die Beamten mit ihren Motorrädern unterwegs, kontrollieren und klären auf. „Sie alle haben selbst schon zig gefährliche Situationen erlebt“, erklärt Hämmer. Diese Erfahrung fungiere oft als Türöffner für Gespräche mit anderen Motorradfahrern. Was die Beamten bei ihren Kontrollen so alles finden, dafür hat der Polizist einige Beispiele dabei: Vom komplett selbst geschweisten Auspuff bis zum Motorrad, dessen Rahmen komplett gebrochen und nur notdürftig geflickt war. Bei fast der Hälfte aller kontrollierten Motorräder habe es etwas zu beanstanden gegeben. „Wir wollen, dass Motorradfahren ein sicheres Hobby ist“, so Hämmer.
Insgesamt folgt die Statistik des Präsidiums dem bayernweiten Trend: Zwar hat es weniger Verkehrstote gegeben, die Zahl der Unfälle und Verletzten ist aber angestiegen. Damit rückt das Ziel von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann in weite Ferne: Er wollte die Zahl der Verkehrstoten ausgehend von 2011 bis 2020 um 30 Prozent verringern. Polizievizepräsident Guido Limmer formuliert es am Montag so: „Realistisch ist das wohl nicht.“