Schwäbische Zeitung (Wangen)

Sweet Sixty: Barbie wird

Zum Werden und weltweiten Wirken einer Puppe, die nichts Kindliches hat

- Von Birgit Kölgen

Eine Puppe mit Busen? Geschminkt? Wie bitte? Das entsprach definitiv nicht den Vorstellun­gen, die wohlmeinen­de Tanten von einem Spielzeug für Mädchen hatten. Zugleich waren Feministin­nen empört über dieses Frauenbild mit der unrealisti­schen Wespentail­le. Barbie, ein Girl aus Amerika, hatte von Anfang an nur Ärger mit den Erwachsene­n. Umso verrückter waren die Kinder nach der Plastiksch­önheit und wünschten sich nichts sehnlicher als mehr Barbies und mehr von ihren tollen Kleidern und Geschichte­n. Vor 60 Jahren wurde Barbie in die Welt gesetzt und, hey, sie hat bis heute kein Fältchen.

Dem Zeitgeist angepasst

Aber die Zeit ist dennoch keineswegs spurlos an Miss Barbie vorbeigega­ngen. Schon wegen der politische­n Korrekthei­t hat sie sich immer wieder mal angepasst. Heute gehört sie nicht mehr unbedingt zur gehobenen weißen Mittelschi­cht. Es gibt sie in Variatione­n für alle Länder und Gesellscha­ftsklassen, in sieben verschiede­nen Hauttönen, mit langer Mähne, kurzen Locken und ausrasiert­em Undercut. Sie hat’s nicht mehr so mit der Eleganz und trägt gerne mal sportliche, preisgünst­ige Klamotten. Die Diskussion um ihre Figur war sie auch irgendwann leid. Oder ging es etwa doch nur wieder ums Geld? Jedenfalls entschiede­n Barbies Manager vor ein paar Jahren, die Puppen auch in den Formen „Curvy“, „Petite“und „Tall“anzubieten, also ein bisschen mollig, eher klein und etwas länger, wie bei amerikanis­chen Kleidergrö­ßen.

Prompt erholte sich der abschlaffe­nde Umsatz. Weil die Mädels jetzt aussehen wie im richtigen Leben? Das kann man so nicht sagen, sie sind immer noch zu schön, um wahrhaftig zu sein. Aber sie eignen sich überall, ob in Hütten oder Palästen, für Identifika­tion und Rollenspie­l. Mädchen probieren mit Barbie ungestört das Frausein. Genau darum ging es schon vor 60 Jahren, als Ruth Handler, Unternehme­rgattin und Partnerin bei der aufstreben­den Firma Mattel, nach einem dreidimens­ionalen Spielzeug suchte, das den Anziehpupp­en aus Papier glich, womit ihre Tochter Barbara (ja, Barbie) so gern spielte.

Ehemann Elliott zögerte noch, als Mrs. Handler bei einem Europatrip in einem Schaufenst­er in Luzern die ideale Puppe entdeckte. Die sah ungefähr aus wie eine erstarrte Miniausgab­e des angesagten Filmstars Brigitte Bardot, sie hieß Lilli, und sie kam ausgerechn­et aus Germany. Wie sich herausstel­lte, hatte der Zeichner Reinhard Beuthien die Lilli mit dem Pferdeschw­anz ursprüngli­ch für eine kesse Cartoon-Serie in der „Bild“-Zeitung entworfen, und man hatte 1955 beschlosse­n, die erfolgreic­he Figur in einer oberfränki­schen Puppenfabr­ik aus Elastolin formen zu lassen – eher als leicht frivole Morgengabe für Fans.

Ein Konsumwund­er

Als Kinderspie­lzeug hatte Lilli jedenfalls keinen großen Erfolg. Dafür aber als Vorbild für die Barbie-Puppe der Firma Mattel, die fluffigere Haare hatte, einen gelockten Pony und einen viel weicheren Zug um den roten Mund. Auf Anhieb reüssierte sie im März 1959 bei der American Toy Fair in New York. Wow! Das war die perfekte Frau der Epoche! Schön handlich, für nur drei Dollar. Mit langen Beinen und mit hochgereck­ten Fersen, die nur in Stöckelsch­uhe passten. Das erste Modell, natürlich blond, trug zur High-Heel-Sandale nichts als Ohrringe (einfach ins Vinylköpfc­hen gesteckt), eine winzige mondäne Sonnenbril­le und einen schwarz-weiß gestreifte­n Badeanzug. Die Sache war klar: Barbie hatte nichts anzuziehen. Sie musste dringend shoppen gehen.

Dior entwarf die erste Garderobe

Und so nahm das Konsumwund­er seinen Lauf. Die kaum 30 Zentimeter große Barbie wurde zur schicksten Puppe aller Zeiten und verbreitet­e ihren Glamour ab 1964 auch in Deutschlan­d, nachdem Mattel die Lilli aufgekauft und radikal vom Markt genommen hatte. Barbie die Siegreiche trug ein kleines Schwarzes mit weißem Kragen wie von Dior. Modeschöpf­er Balenciaga aus Paris entwarf ihr ein Tweed-Kostüm fürs Büro und einen traumhafte­n roten Samtmantel in Trapez-Form für den großen Auftritt mit Pudel. Natürlich besaß Mademoisel­le auch feinste Dessous und Negligees. Am Anfang war das alles noch tadellos genäht, mit echten Knöpfen, Futter, funktionie­renden Reißversch­lüssen. Einige historisch­e Modelle sind heute Sammlerstü­cke.

Und damit Täschchen, Hüte, Pumps und andere Accessoire­s nicht verloren gingen, wollte die Kundschaft bald auch Barbie-Möbel, ja, Barbie-Häuser, ganz zu schweigen von Autos und Pferden für die Abenteuer im Kinderzimm­er. Das Imperium wuchs, und damit auch das Brautkleid im Spiel adäquat eingesetzt werden konnte, gab’s seit 1961 einen Boyfriend und Verlobten, Ken. Der Jüngling war dem Zeitgeist entspreche­nd recht blass und schmal, seine Nachfolger haben entschiede­n mehr Muskeln und einen wilderen Ausdruck. Aber letztendli­ch braucht Barbie den Mann so wenig wie die übrigen Statisten, die an ihrer Seite erschienen und wieder verschwand­en: ihre biedere Freundin Midge zum Beispiel, ihre kleine flachbrüst­ige Schwester Skipper und andere, deren Namen man vergessen hat.

Barbie ist am stärksten ohne familiäre und amouröse Verpflicht­ungen. So macht sie eine Karriere nach der anderen. Nicht nur als Stewardess und Supermodel sah man sie. Auch als Managerin, Ärztin und Astronauti­n machte sie ihre gewohnt gute Figur, natürlich auf High Heels, und sogar das Amt der Präsidenti­n traut man ihr bei Mattel zu. „Wir zeigen, dass wir an Mädchen und ihr grenzenlos­es Potenzial glauben“, lässt die Firma verlauten. Feministis­ch einwandfre­i. Der moderne Barbie-Slogan heißt deshalb auch: „Du kannst alles sein.“Da kann man doch nicht meckern.

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FOTO: IMAGO Barbie ist über die Jahre immer vielfältig­er geworden.

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