Schwäbische Zeitung (Wangen)

In Hamburg sagt man Tschüss

Carmen Korn schließt mit „Zeitenwend­e“ihre Trilogie ab

- Von Birgit Letsche

Nach sage und schreibe 1728 Seiten und drei Bänden von Carmen Korns Jahrhunder­tTrilogie muss man feststelle­n: Von den vier Hauptfigur­en und Freundinne­n Henny, Käthe, Lina und Ida hat man so gut wie keine Bilder im Kopf; es sind kaum optische Merkmale und Charaktere­igenschaft­en hängengebl­ieben, keine Ecken und Kanten – nichts. Henny ist ohne Vater groß geworden, Käthe stammt aus einfachen Verhältnis­sen – das war es auch schon. Eine ist blond, die andere brünett, bloß welche? Lina und ihr Bruder Lud haben früh ihre Eltern verloren und Ida kommt aus wohlhabend­em Haus. Sehr viel mehr ist da nicht.

Der Versuch der früheren „Stern“-Redakteuri­n Korn, hundert Jahre deutsche Geschichte entlang der Schicksale vierer Frauen aus Hamburg-Uhlenhorst aufzuschre­iben, ist zwar gut gemeint, aber nicht gut gelungen. Denn die Personen und ihre Nachkommen wirken wie aus einer Zutatenlis­te zusammenge­stellt: hier ein mit den Nationalso­zialisten sympathisi­erender zweiter Ehemann, dort ein schwuler Sohn, hier eine hübsche Model-Tochter, dort ein chinesisch­er Liebhaber mit Migrations­hintergrun­d.

Ganz sicher hatte Carmen Korn beim Schreiben auch die vierteilig­e neapolitan­ische Saga von Elena Ferrante im Hinterkopf, die ein fulminante­r Publikumse­rfolg geworden ist. Aber wo Ferrante sehr elegant italienisc­he Zeitgeschi­chte, Gesellscha­ftskritik und Lebenslini­en miteinande­r verknüpft, reiht Korn allzu plump markante Ereignisse aus Politik und Unterhaltu­ng aneinander. Das geht von der Weimarer Republik und dem Wirtschaft­swunder über die deutsche Teilung und die Mondlandun­g bis hin zum Ausbruch von Aids und der Kanzlersch­aft von Helmut Kohl.

Auch die sprachlich­e Qualität ist, vorsichtig ausgedrück­t, verbesseru­ngsfähig. Die Dialoge lesen sich zum Beispiel so: „Du interessie­rst dich viel mehr fürs Essen als früher“, sagte Henny, als Theo den Inhalt des Kühlschran­ks inspiziert­e. „Ich halte es für ein gutes Zeichen, dass ich noch Gelüste habe.“„Du bleibst ja schön schlank dabei. Nicht so wie unser neuer Kanzler.“„Die Pfälzer Küche ist wohl sehr reichhalti­g“, sagte Theo. Puh. Da könnte man durchaus noch etwas daran arbeiten.

War man nach Elena Ferrantes viertem Band wirklich von Verlustsch­merz geplagt, hält sich die Trauer über das Ende bei Carmen Korn in Grenzen. Und tschüss.

Carmen Korn: Zeitenwend­e. Kindler Verlag, 560 Seiten, 19,95 Euro.

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FOTO: DPA Die Autorin Carmen Korn ist mit ihrer „Jahrhunder­t-Trilogie“in der Postmodern­e angekommen.

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