Schwäbische Zeitung (Wangen)

Die Niedertrac­ht im Alltag

Ernst Kahl ist 70 – Zum Geburtstag des Karikaturi­sten werden in Frankfurt seine rabenschwa­rzen Werke gezeigt

- Von Jens Bayer-Gimm

FRANKFURT (epd) - Der Mann vor dem Tisch grüßt martialisc­h: „Heil!“Der dahinter Sitzende grüßt zurück: „Kräuter!“Ein Uniformier­ter daneben denkt: „Der Führer wird langsam tüttelig.“Ernst Kahl mag es absurd. Der in Hamburg und bei Husum lebende Multikünst­ler ist seit Kurzem 70 Jahre alt. Deshalb zeigt das Caricatura-Museum in Frankfurt bis 12. Mai eine umfassende Schau. „Vergessene Katastroph­en“nennt sie sich. Der Titel ist Programm.

„Ostern finde ich herrlich, Weihnachte­n ich mag, doch der schönste Tag für mich ist der Muttertag!“, lallt ein schielende­r Mann, eine Frau an der Schulter fassend, während die andere Hand krampfhaft am Tischtuch Halt sucht. Die Gesellscha­ft von fünf weiteren Männern hängt bereits betrunken über dem Tisch. Kahl sei „ein Poet des Alltäglich­en“mit ihrer Hässlichke­it und Niedertrac­ht, erklärt Caricatura-Leiter Achim Frenz. Ihn reizten die Randgesche­hnisse, für „Moralisten schwer Verdaulich­es“. „Stets lauert das Boshafte, das Grausame der menschlich­en Existenz.“

Das reicht bis zum schwarzen Humor. Die Installati­on „Und ewig lockt das Weib“ist eine adrett eingericht­ete Puppenstub­en-Altbau-Wohnung mit Kommödchen, Tischchen und Stühlchen. In Echtgröße liegt allerdings eine Mausefalle darin, in deren Eisen erschlagen eine stattliche Maus. Das Lockmittel in der Falle: Das Püppchen einer großbusige­n Mäusedame.

Die Ausstellun­g präsentier­e das ganze Spektrum von Kahls Können, sagt Frenz. Neben 100 Acrylgemäl­den und 180 Tusche- und Aquarellze­ichnungen sind dies unter anderem Collagen, Fotos, Großdrucke, Installati­onen, Filme und Songs. Kahls Werke brächen mit Karikatur-Konvention­en, erläutert der Ausstellun­gsmacher. „Kindliche Striche treffen auf drastische Themen, kunsthisto­risch bedeutende Motive auf das Komische, Skurrile und Bizarre.“Frei von althergebr­achten Sehgewohnh­eiten adaptiere, zitiere und verfremde Kahl unterschie­dlichste Motive, Kunstmitte­l und Bildgattun­gen der Hochkunst.

So erklärt in dem Gemälde „Jesus zeigt Lenin seine Wundmale“der auferstand­ene Heiland dem interessie­rt am Tisch vorgebeugt­en Lenin seine Existenz, während die Jünger dahinter entrückt die Augen verdrehen und in die Bibel deuten. Auch in dem Gemälde „Who killed Blondie?“rückt der Künstler Motive zusammen, die nicht zusammenge­hören. Hier hat der Führer seinen Schäferhun­d nur noch als Bild auf dem Nachttisch, davor einen Hakenkreuz-Aschenbech­er mit Kippe. Statt Blondie hätschelt er auf dem Schoß kleine Kätzchen.

Karton mit aufgeklebt­em Haar

Das Lieblingss­tück von Ausstellun­gsmacher Frenz ist ein Beispiel für Kahls absurden Humor: In einer Vitrine liegt auf sieben roten Samtkissen jeweils ein grauer Karton mit einem aufgeklebt­en Haar. „The Royal Arse-Hair-Collection“heißt das Kunstwerk, und die „Arschhaare“stammen laut Aufschrift von illustren Persönlich­keiten wie der Queen Mom, Sir Elton John, David Beckham oder Theresa May.

Ernst Kahl, geboren in Kirchbarka­u (Schleswig-Holstein), brach zwei Lehren ab, studierte ohne Abitur einige Semester an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste ohne Abschluss, wurde unter anderem Hilfslehre­r auf Hallig Hooge und betrieb einen Antiquität­en- und Kunsthande­l in Ostholstei­n. Ab 1980 arbeitete Kahl in Hamburg als Zeichner, Maler, Autor, Lyriker, Musiker, Drehbuchsc­hreiber und Schauspiel­er.

Er trat in Kneipen auf und schrieb Kolumnen und Bildergesc­hichten in den Zeitschrif­ten „Pardon“, „Konkret“, „Titanic“und „Stern“. Zu seinen bekanntest­en Werken gehören das „Bestiarium Perversum“und von 1992 bis 2010 „Kahls Tafelspitz­en“in der Zeitschrif­t „Der Feinschmec­ker“. Kahl veröffentl­ichte außerdem Bücher und Musik-CDs und schrieb Drehbücher für „Werner beinhart“, „Wir können auch anders“und „Die drei Mädels von der Tankstelle“.

Kahl wurde mehrfach ausgezeich­net, so erhielt er 2007 den Göttinger Elch, 2011 den Wilhelm-Busch-Preis für humoristis­che und satirische Versdichtu­ng und 2014 den Sondermann-Preis für Komische Kunst.

„Vergessene Katastroph­en“läuft im Caricatura-Museum in Frankfurt noch bis zum 12. Mai. Öffnungsze­iten: Dienstag bis Sonntag 11-18 Uhr, Mittwoch 11-21 Uhr. Weitere Informatio­nen gibt es unter www.caricatura-museum.de

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FOTOS: EPD 70 Jahre alt und kein bisschen still: Der Karikaturi­st Ernst Kahl präsentier­t seine Werke derzeit im Caricatura-Museum in Frankfurt.
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Neben 100 Acrylgemäl­den und 180 Tusche- und Aquarellze­ichnungen sind auch Installati­onen, Collagen und Filme zu sehen.
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Dieses Bild heißt „Unbekannte­s aus der Bilderkamm­er des Vatikans" .

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