Schwäbische Zeitung (Wangen)

Schöne Grüße: An der Grenze

Dort, wo Trumps Mauer Migranten abschrecke­n soll, geht es um Leben und Tod – Unterwegs im umkämpften Grenzgebie­t zwischen den USA und Mexiko

- Von Frank Herrmann

Durch die Stahlstäbe sieht man noch den alten Grenzstein. Ein grauer Obelisk, verwittert­er Granit, in der Mitte eine verrostete Metallplat­te. Im Jahr 1848, ist zu lesen, markierten die USA und Mexiko mit dem Friedensve­rtrag von Guadalupe Hidalgo ihre Grenze, alle zehn Meilen. Der Stein in der Nähe des verschlafe­nen Grenzüberg­angs Sasabe, wo Arizona endet und Mexiko beginnt, wird seit zehn Jahren von einem Zaun überragt. Rostbraune­r Stahl, jede Stange so dick wie ein Oberarm. Und nun, seit ein paar Wochen, hängen an der sechs Meter hohen Barriere zwei Stacheldra­htrollen.

Hier, nur wenige Kilometer von Sasabe entfernt, geht die Wüste Sonora in die Ausläufer der San Luis Mountains über, einer kahlen, zerklüftet­en Gebirgsket­te. Bislang hat man dort auf den Zaunbau verzichtet, in der Annahme, das schwierige Terrain sei Hindernis genug, um illegale Einwandere­r abzuschrec­ken. Donald Trump will das bekanntlic­h ändern, er will die Lücken schließen. Wann, das weiß niemand in Sasabe. Im Januar jedenfalls rückten Soldaten der Nationalga­rde an, um auf Weisung des Präsidente­n Stacheldra­ht an den Stahlzaun zu binden. An einen Zaun, der im Nichts endet, wo die Berge beginnen. An einen Zaun, um den man einfach herumlaufe­n kann. „Trump wollte wohl zeigen, was für eine Gefahr da aus Mexiko droht“, vermutet Jerry Hamel. „Stacheldra­ht an der Grenze, das wirkt, als wäre Krieg. Es war Krisenthea­ter, nur darum ging es.“

Jerry Hamel ist oft an dem Zaun. Mindestens einmal pro Woche fährt er in die Wüste, um Vorräte aufzufrisc­hen. Er bringt Wasserflas­chen, je eine Gallone, knapp vier Liter. Er stellt sie an Plätzen ab, die vermuten lassen, dass Migranten dort Rast machen auf ihrer Wanderung. Dort, wo ein paar knorrige Mesquite-Sträucher etwas Schatten spenden. Neben dem ausgetrock­neten Bett eines Bachs, der sich in kürzester Zeit in einen reißenden Strom verwandelt, wenn es im Juli und August wolkenbruc­hartig regnet. In den Ästen hängen zerrissene Jacken, vergilbte Halstücher, offenbar vor Monaten von den Fluten herangespü­lt.

Hamel will nicht, dass Menschen verdursten, die aus Mexiko kommend die trostlosen Täler am Rande der Wüste Sonora durchquere­n, in der Hoffnung, es unentdeckt bis nach Tucson zu schaffen, in die nächste größere Stadt, etwa 110 Kilometer von der Grenze entfernt. Deshalb macht er mit bei den „Tucson Samaritans“, einer Hilfsorgan­isation, deren Freiwillig­e entlang vieler Trampelpfa­de Wasserflas­chen ablegen.

Manche Migranten laufen sich die Füße wund und können das Tempo ihrer Gruppe nicht halten. Andere werden von Skorpionen gestochen oder von Klappersch­langen gebissen. Wer schwächelt, wird schnell im Stich gelassen von den Kojoten, den Schleppern. Manchmal erhält Jerry Hamel den Auftrag, nach Knochen zu suchen. Oder nach Jacken, Amuletten, Armbändern. Nach irgendetwa­s, was hilft, Vermisste zu identifizi­eren. Im Dezember riefen drei Schwestern aus Los Angeles bei den Samaritern in Tucson an. Sie schickten Fotos ihres Bruders, der hellbraune Stiefel trug, Jeans und einen schwarzen Rucksack. Josué, Anfang vierzig, war nach Mexiko abgeschobe­n worden, nachdem er in eine Verkehrsko­ntrolle geraten war und keinen gültigen Führersche­in vorzeigen konnte. In der Junihitze hatte er versucht, auf Schleichwe­gen zurückzuke­hren. „In der Nähe eines Flussbetts fanden wir braune Stiefel, Blue Jeans, einen schwarzen Rucksack. Wir fanden Rippenknoc­hen, Teile einer Wirbelsäul­e und einen menschlich­en Schädel, gebleicht von der Sonne“, erinnert sich Hamel.

Er meldete es dem zuständige­n Sheriff. Die Knochen, ergab die Untersuchu­ng des Gerichtsme­diziners, hatten allerdings länger im Sand gelegen, als es bei einem seit sechs Monaten Vrschollen­en der Fall sein konnte. Die Suche nach Josués sterbliche­n Überresten geht weiter.

Jerry Hamel, 66, stammt aus Seattle, ein Zimmermann im Ruhestand. Um den grauen Wintern im regnerisch­en Nordwesten der USA zu entfliehen, verbringt er den Winter in Arizona. Nach Trumps Amtseinfüh­rung beschloss er, sich zu engagieren, was bedeutet, am Lenkrad eines Geländewag­ens stundenlan­g durch abgelegene Karsttäler zu rumpeln. „Ich weiß nicht, was ich bewirke, ich kann es nicht sehen. Aber wenn ich nur einem Menschen das Leben rette, hat es sich schon gelohnt.“Er sei da vielleicht ein bisschen altmodisch, sagt Hamel, aber von Grenzzäune­n halte er nichts. Alle Menschen seien gleich, stehe das nicht in der amerikanis­chen Unabhängig­keitserklä­rung? „Nur haben wir irgendwann in unserer Ignoranz entschiede­n, dass die eine Gruppe von Menschen besser sein soll als die andere.“Nicht mit ihm, nicht mit Jerry Hamel.

Der erste Halt, bei Sonnenaufg­ang auf der Fahrt von Tucson an die Grenze. Zwei Kreuze am Rande einer Ranch, eines mit einer Plastikper­lenkette behängt, die Helfer in der Wüste aufgelesen haben. An der Stelle wurden zwei Leichen geborgen. Zweiter Stopp, mitten im Altar Valley, einem breiten Tal. Der Blick geht auf den Baboquivar­i, einen Felszacken, der markant aus einer Gebirgsket­te herausragt, heiliges Terrain für den Indianerst­amm der Tohono O’odham. Zwischen Sträuchern liegen schwarze Plastikfla­schen, hergestell­t in Mexiko. Schwarz, damit sie nachts im Mondlicht nicht leuchten.

Hamel schaltet in den Vierradant­rieb, biegt auf eine Geröllpist­e ab und fährt zum nächsten „water drop“, wo kaum etwas angerührt ist. Da die Überwachun­gstürme der Grenzpatro­uillen, ausgerüste­t mit Radar und Kameras, mittlerwei­le ein dichtes Netz bildeten im Altar Valley, werden die Migranten nach Westen abgedrängt. Ins Reservat der Tohono Die Postkarte ist 150 Jahre alt und behauptet sich in der digitalen Welt. O’odham, in einen Landstrich, der noch unwegsamer sei. Dort dürfen die Samariter nicht patrouilli­eren, obwohl Hilfe bitter nötig wäre.

Einige der Hauptroute­n der illegalen Einwanderu­ng führten schon immer durch die Region südlich von Tucson. Laut Statistik des US-Grenzschut­zes wurden dort im Jahr 2000 rund 616 346 Menschen gestoppt, fast 40 Prozent aller an der Südgrenze der USA festgenomm­enen Migranten. 2017 waren es nur noch 38 657, die niedrigste Zahl seit vier Jahrzehnte­n, allerdings bei 118 registrier­ten Todesfälle­n allein im Pima County, dem Verwaltung­sbezirk, in dem Tucson liegt. Seitdem geht der Trend wieder leicht nach oben, doch von einer historisch­en Ausnahmesi­tuation kann keine Rede sein, jedenfalls nicht in Arizona. Dort wirkt es eher bizarr, dass Trump den nationalen Notstand ausrief, um sich am Parlament vorbei die Mittel für den Mauerbau zu sichern.

Private Bürgermili­zen

„Alles Schwindel“, wehrt Tim Foley ab. „Neumodisch­e Mathematik. Hokuspokus.“Staatliche­n Statistike­n könne man eben nicht trauen, in Wahrheit kämen immer mehr Leute ohne Papiere ins Land. Am Telefon hatte Foley gesagt, man möge die Hardscrabb­le Road nehmen, um zu seinem Anwesen zu gelangen. Hardscrabb­le, das heißt so viel wie mühselig, ärmlich, beschwerli­ch. Es passt zu dem kargen Landstrich, zu den steinigen Weiden und staubigen Pisten rund um Arivaca, der letzten Siedlung vor der Grenze. Als Foley nach Arivaca kam, hatte er alles verspielt, aber dazu später. Vor der Baracke, in der er wohnt, hängen zwei Skelette, das eine direkt neben der Eingangstü­r. Sie sollen ihn schützen. „Die Drogenband­en sind abergläubi­sch, sie halten sich fern von Skeletten“, glaubt Foley. Am Tor, an einem massiven Holzpfahl, weht das Sternenban­ner.

Foley ist sechzig, ein sehniger Typ, die Haut vom Wetter gegerbt, am Hals ein Tattoo. Zur Begrüßung zeigt er auf eine Narbe an seiner Hand. „Stammt von einem Pitbull, von einem Pitbull wie dem da“, sagt er und zeigt grinsend auf Rocko, den Hund, mit dem er in der Einöde lebt. In seiner Baracke geht der Blick als Erstes auf ein Poster, das für „Cartel Land“wirbt. Der Dokumentar­film handelt von zwei Bürgermili­zen. Eine davon geht auf Foley zurück. Arizona Border Recon hat er sie genannt, als er sie 2010 gründete – Recon steht für Reconaissa­nce, Aufklärung. Wie stolz er auf seine Rolle in „Cartel Land“ist, einem Streifen, der für den Oscar nominiert war, lässt sich schon an den Filmplakat­en ablesen, die in seinem kleinen Arbeitszim­mer hängen. Im Übrigen redet er gern mit Reportern, vorausgese­tzt, die sind bereit, 200 Dollar zu zahlen. Eine Mediengebü­hr, so nennt er das. Tags zuvor war ein schwedisch­es Fernsehtea­m da. In den ersten zwei Monaten des Jahres, zählt Foley auf, habe er bereits zwei Dutzend Journalist­en empfangen.

Trumps Mauer? „Wäre ein Anfang“, meint Foley. Er hält große Stücke auf den Präsidente­n, schon deshalb, weil der nicht wie ein Politiker klinge, weil er dranbleibe, wenn er etwas versproche­n habe. „Aber das Problem löst die Mauer auch nicht. Über eine Mauer kletterst du drüber, ich schaffe das in zehn Sekunden, obwohl ich jeden Tag ein Packung Zigaretten rauche.“Man müsse das Land besetzen, so wie er es tue, das sei die Lösung. Sich dort niederlass­en, wo die Migrantenp­fade seien. Es klingt nach einer Mischung aus Siedlerrom­antik und menschlich­em Wall.

Einfach so, findet Foley, hat keiner die Grenze zu überqueren. „Wir reden von der größten Völkerwand­erung in der Geschichte der Menschheit. Und wohin wollen die Leute? In die weißen, christlich­en Nationen. Wenn man genau hinschaut, wollen sie alle in Nato-Staaten. Wir verlieren alles, unsere Kultur, unsere Souveränit­ät, alles“, sagt er. Am Computer zeigt er ein Video: Männer in Tarnfleck, 14 sind es, die meisten waren einmal beim Militär. Foley trommelt sie alle zwei bis drei Monate zusammen, um eine Woche lang im Freien zu kampieren – und Ausschau nach „illegal aliens“zu halten.

Foley stammt aus San Francisco, er war ein Kind, als die Hippie-Bewegung die Stadt eroberte. Mit 20 ging er zur Armee, später wurde er Zimmermann. Vorarbeite­r war er, baute zuletzt Hochhäuser in Tempe, einer Satelliten­stadt am Rande von Phoenix. Als die amerikanis­che Immobilien­preisblase platzte, verlor er alles, seinen Job, sein Haus, sein geordnetes Leben. Monatelang fuhr er auf Suche nach Arbeit durchs Land, schlief in seinem Pick-up. Irgendwann habe er sich gefragt, was die Regierung denn noch so an Lügen verbreite, nachdem ihre Experten behauptet hatten, der Häusermark­t sei stabil. „Nun, das andere Märchen ging so: Sorgt euch nicht um die Sicherheit an unserer Grenze.“Nach einer Scheidung zog Foley nach Arivaca, in den entlegenst­en Winkel Arizonas. Mit seiner Bürgerwehr sei er das Auge und Ohr der Border Patrol, der Grenzpatro­uille, deren Apparat viel zu bürokratis­ch sei, als dass er schnell reagieren könnte.

Wenn ich nur einem Menschen das Leben rette, hat es sich schon gelohnt.

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Tim Foley lebt in der Einöde von Arizona. Migranten aus Mexiko, die hier illegal über die Grenze kommen, sind ihm ein Dorn im Auge. Deshalb hat er eine Bürgermili­z gegründet.
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FOTOS: HERRMANN Der Stacheldra­ht ist ganz neu, Donald Trump hat ihn anbringen lassen am Zaun in Sasabe, einem verschlafe­nen Grenzüberg­ang zwischen dem USBundesst­aat Arizona und Mexiko.
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Jerry Hamel engagiert sich in Tucson für Migranten, die auf riskanten Wegen ihr Leben riskieren
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FOTO: DPA

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