Schwäbische Zeitung (Wangen)

Binder setzt auf den Heimatstan­dort

Tuttlinger Unternehme­n Binder baut Simulation­sschränke – zur Werkzeugpr­üfung genauso wie zur Bakterienz­ucht

- Von Theresa Gnann

TUTTLINGEN (sz) - Das Familienun­ternehmen Binder produziert ausschließ­lich am Heimatstan­dort Tuttlingen. Von dort aus gehen 80 Prozent der Simulation­sschränke, die verschiede­ne Klimabedin­gungen nachbilden können, ins Ausland. Konkurrenz­fähig sei das Unternehme­n nicht über den Preis, sondern über die Innovation, so der Gründer Peter Michael Binder. Grundlage für den Erfolg, der Umsatz stieg zuletzt um 15 Prozent auf 71 Millionen Euro, seien der hohe Grad an Automation und die Forschungs­ausgaben.

TUTTLINGEN - Roboterarm­e greifen nach Blechplatt­en, schneiden sie millimeter­genau, formen sie zurecht, schieben sie weiter. Im Sekundenta­kt spuckt das große Hochregall­ager im Zentrum der Anlage neue Platten aus. Die Halle ist hell, die Temperatur angenehm und obwohl die Produktion auf Hochtouren läuft, hält der Lärm sich in Grenzen. Die 2017 eröffnete „Competence Factory“der Firma Binder aus Tuttlingen wäre eigentlich ein angenehmer Arbeitspla­tz – doch Menschen sind hier kaum zu sehen. Vollautoma­tisch verarbeite­t die Anlage auf 8300 Quadratmet­ern – etwa der Größe eines Fußballfel­des – jährlich rund 2000 Tonnen Blech.

Erst in der Halle nebenan tauchen Mitarbeite­r auf. Sie montieren aus den vorbereite­ten Blechteile­n Binders weltbekann­te Simulation­sschränke und passen sie – auch mal in Handarbeit – individuel­l an die Bedürfniss­e der Kunden an. Trotzdem: Es ist der hohe Automatisi­erungsgrad, der es Binder ermöglicht, ausschließ­lich in Tuttlingen zu produziere­n. „Das neue Firmengebä­ude und die darin befindlich­en hochmodern­en Maschinen haben den Grundstein für Industrie 4.0 bei uns gelegt“, sagt Firmenchef Peter Michael Binder. Die 15-Millionen-EuroInvest­ition in die sogenannte Competence Factory ist damit ein klares Bekenntnis zur Region. „Wo Binder draufsteht, ist Tuttlingen drin“, verspricht er.

Die fertigen Schränke gehen an Pharmaunte­rnehmen, an Kosmetikhe­rsteller oder an die Autoindust­rie. Denn die Simulation­sschränke, die auf den ersten Blick aussehen wie eine Mischung aus Tresor und Kühlschran­k, können viel mehr als nur Lebensmitt­el frisch halten. „Wir simulieren die Umwelt“, erklärt Firmenchef Binder. „Unsere Schränke schaffen präzise Klimabedin­gungen aus Feuchte, Temperatur und Licht und sind damit für die medizinisc­he Forschung so interessan­t wie für die Autoindust­rie.“

Unter extremen Klimabedin­gungen testen Unternehme­n in den Schränken zum Beispiel ihre Produkte. „Wir können einen Kunststoff innerhalb weniger Tage um viele Jahre altern lassen“, erklärt Binder. „Das Material wird gestresst, indem es Temperatur­schwankung­en ausgesetzt wird.“Eine Technologi­e, die vor allem die Autoindust­rie schätze. „Aktuell steigt besonders die Nachfrage nach Schränken, in denen Autobatter­ien getestet werden können.“

Eingesetzt werden die BinderSchr­änke aber auch in der Forschung und in der Medizin. „Unsere Kunden züchten in den Schränken unter anderem aus Zellen Haut für Verbrennun­gsopfer“, sagt Binder. Die Pharmaindu­strie nutzt die Schränke zum Testen von Wirkstoffe­n, die Lebensmitt­elindustri­e für die Überprüfun­g der Haltbarkei­t. Auch in der Krebsforsc­hung kommen sie zum Einsatz. 80 Prozent der Simulation­sschränke werden ins Ausland verkauft. „Dass unser Kundenspek­trum so breit ist, ist für uns natürlich ein enormer Vorteil“, sagt Binder.

Vater, Mutter, Sohn

Peter Michael Binder selbst war es, der das Unternehme­n im Jahr 1983 gründete. Doch eigentlich ist die Firma um einiges älter. Schon in den Zwanzigerj­ahren begann sein Vater damit, Sterilisat­oren und chirurgisc­he Instrument­e zu produziere­n. Nach dem Tod des Vaters – Peter Michael Binder war damals gerade fünf Jahre alt – übernahm die Mutter die Geschäfte. „Ich bin in der Firma aufgewachs­en“, erzählt Binder. „Es war immer klar, dass ich sie mal übernehme.“Doch schon während des Elektrotec­hnik-Studiums stellte er fest, dass die Firma seiner Eltern keine Zukunft hat. „Das technologi­sche Niveau war zu niedrig, die Arbeit zu lohnintens­iv.“Mit 26 gelang es dem Studenten, einen Heißluftst­erilisator zu entwickeln. Mit 29 entschied er, das Unternehme­n seiner Eltern nach Pakistan zu verkaufen und eine neue Firma zu gründen. Binder erinnert sich gut an diese intensive Zeit: „Das war schon mutig. Ich hab ja den existieren­den Umsatz mitverkauf­t. Manchmal hat mich das gedanklich schon an Grenzen gebracht. Doch insgeheim wusste ich, dass es gut wird“, sagt er rückblicke­nd. „Und zu einer Unternehme­nsgründung gehört ja vielleicht auch dazu, dass man die Risiken noch nicht ganz absehen kann.“

Binders Mut zahlte sich jedenfalls aus. Für die neue Firma, die zuerst Heißluftst­erilisator­en und später Simulation­sschränke produziert­e, ging es von da an fast nur noch bergauf. 400 Mitarbeite­r beschäftig­t Binder mittlerwei­le. Im vergangene­n Jahr lag der Umsatz des Unternehme­ns bei 71 Millionen Euro – ein Plus von 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Für das laufende sind mehr als 75 Millionen Euro geplant.

Produktion bleibt in der Heimat

Wie hoch der Gewinn ist, verrät der 65-Jährige nicht. Nach Informatio­nen des „Handelsbla­ttes“schrieb das Unternehme­n seit 2013 aber nur in einem Jahr keine schwarzen Zahlen. Binder verweist lieber auf den hohen Innovation­sgrad seines Unternehme­ns. Immerhin neun Prozent des Umsatzes investiere man in die Forschung und Entwicklun­g – 4,5 sind im Branchensc­hnitt üblich. „Durch die Produktion in Deutschlan­d können wir mit unseren Wettbewerb­ern nicht über den Preis konkurrier­en. Das geht nur über Innovation­en“, sagt Binder. Und der Erfolg gebe seiner Strategie recht. „Unsere neuen Produkte stoßen auf großen Anklang.“

Und so setzt sich Binder auch für die Zukunft große Ziele. „Wir wollen unseren Umsatz bis 2025 auf 120 Millionen Euro steigern“, sagt der Firmenchef. Die Voraussetz­ungen dafür stimmen schon mal: Das Binder-Firmengelä­nde ist so angelegt, dass die Produktion­sfläche nochmal um 70 Prozent erweitert werden kann. „Wir haben diese Flächen nicht ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen gekauft. Wir haben einen klaren Plan“, sagt Binder, der auch personell für die Zukunft vorgesorgt hat: Sein Stiefsohn Michael Pfaff ist seit acht Jahren im Unternehme­n. In ein paar Jahren soll der 35-Jährige das Lebenswerk seines Stiefvater­s übernehmen und dessen Zukunftspl­äne in Tuttlingen in die Tat umsetzen. Alle künftigen Erweiterun­gen werden aller Voraussich­t nach genauso hochautoma­tisiert sein wie die Compentenc­e Factory – und sie werden sicherstel­len, dass sich die Produktion von Binder auch künftig in Tuttlingen befindet.

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FOTO: BINDER Peter Michael Binder vor Simulation­sschränken: Eine mutige Entscheidu­ng hat den Firmengrün­der zwar an seine Grenzen, aber auch dem Erfolg näher gebracht.

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