Schwäbische Zeitung (Wangen)

Kein Pardon für Raser

Die Schweiz setzt ihr strenges Verkehrsko­nzept penibel um

- Von Jan Dirk Herbermann

GENF - Geht es um Tempolimit und Verkehrssi­cherheit, kennen die Schweizer keine Gnade. So hat ein Schweizer Gericht vergangene Woche sogar einen Polizisten nach einer Verfolgung­sjagd wegen Raserei zu einer Gefängniss­trafe auf Bewährung verurteilt. Der Mann war 2017 bei einem Blaulichte­insatz in einer Tempo-50-Zone in Genf mit einer Geschwindi­gkeit von 126 km/h geblitzt worden. Sein Anwalt kündigte Berufung gegen die einjährige Strafe an. Das Gericht berief sich auf die drakonisch­e Raser-Gesetzgebu­ng in der Schweiz, die auch für Polizisten gelte. Der Mann sei nicht im Einsatz gewesen, um Menschenle­ben zu retten, sondern lediglich, um Einbrecher zu stellen.

Weniger Verkehrsto­te

Die konsequent­e Auslegung von Regeln und Gesetzen zeigt Wirkung: Kamen 1970, bei wesentlich weniger Fahrzeugen als heute, rund 1750 Menschen im Schweizer Straßenver­kehr ums Leben, so waren es 2017 nur noch 230. Im ersten Halbjahr 2018 sank die Zahl der Toten auf 100. „Dies entspricht dem zweittiefs­ten Stand seit Bestehen der halbjährli­chen Verkehrsun­fallstatis­tik“, heißt es aus dem Schweizer Bundesamt für Straßen. Auch im internatio­nalen Vergleich der Verkehrssi­cherheit landet die Schweiz auf den vorderen Plätzen, weit besser als Deutschlan­d.

Rigoros ahnden die Eidgenosse­n das Schnellfah­ren. Die Höhe des Bußgeldes kann eine sechsstell­ige Höhe erreichen. So berichtete­n Schweizer Medien von einem Bußgeld von 299 000 Schweizer Franken, das ein St. Galler Gericht gegen einen Millionär und mehrfachen Verkehrsro­wdy verhängt hatte. Er war unter anderem innerorts mit 90 Stundenkil­ometern geblitzt worden.

Es gelten Höchstgesc­hwindigkei­ten von 50 Stundenkil­ometern innerorts, 80 Stundenkil­ometern außerhalb der Orte und 120 Stundenkil­ometern auf Autobahnen. Auf etlichen riskanten Asphalt-Abschnitte­n sind deutlich geringere Höchstgesc­hwindigkei­ten vorgeschri­eben. Tempoübers­chreitunge­n ab 25 Stundenkil­ometern innerorts, 30 Stundenkil­ometern außerhalb der Orte und 35 Stundenkil­ometern auf der Autobahn werden schon im Strafregis­ter eingetrage­n, der Führersche­in ist für mindestens drei Monate abzugeben. Als Raser gilt bei den Eidgenosse­n, wer mit exzessivem Tempo unterwegs ist, etwa innerorts mit mehr als 100 Stundenkil­ometern. Wer rast, waghalsig überholt oder bei einem illegalen Rennen mitmacht, muss mit einer Freiheitss­trafe von bis zu vier Jahren rechnen, das Fahrzeug kann eingezogen werden. Angesichts der engmaschig­en Tempokontr­ollen auf Schweizer Straßen, empfiehlt es sich nicht, das Gaspedal durchzudrü­cken.

Auch kennen Polizei und Justiz kein Pardon, wenn ein Fahrer zu tief ins Glas schaut. Der Grenzwert für Blutalkoho­l liegt bei 0,5 Promille. Busfahrer und andere profession­elle Lenker dürfen überhaupt nicht unter Alkoholein­fluss stehen. Wer angetrunke­n ertappt wird, muss mit saftigen Geldbußen und –strafen rechnen und kann bis zu drei Jahre im Gefängnis landen.

Daneben setzen die Eidgenosse­n auf „verkehrste­chnische Optimierun­gen“wie Kreisel, in denen sich erfahrungs­gemäß deutlich weniger Unfälle ereignen als auf Kreuzungen. Motorfahrz­euge müssen auch tagsüber mit eingeschal­tetem Licht unterwegs sein. Zudem gilt die Ausbildung in den Schweizer Fahrschule­n als vorbildlic­h und Senioren über 75 Jahren müssen alle zwei Jahre zur verkehrsme­dizinische­n Kontrollun­tersuchung.

Keine Autolobby

Letztlich dürfte sich das Fehlen einer eigenen helvetisch­en Kraftfahrz­eugindustr­ie auswirken: Ohne mächtige Konzerne verfügt die Autolobby in der Schweiz nicht über die Durchschla­gskraft wie die Lobby in Deutschlan­d. Gegen die Tempolimit­s, zumal auf den Autobahnen, regt sich in der Eidgenosse­nschaft kein Widerstand.

Der anfangs geschilder­te Fall des verurteilt­en Polizisten ist dann auch keine Ausnahme: So bestätigte das höchste Gericht 2017 eine ähnliche Strafe gegen einen Genfer Polizisten, der auf einer Verfolgung­sjagd mit 132 Kilometern in der Stunde unterwegs war. Die Überschrei­tung der Höchstgesc­hwindigkei­t bei einer Dienstfahr­t müsse verhältnis­mäßig sein, argumentie­rte das Gericht. Die Polizisten dürften dabei nicht selbst zur Lebensgefa­hr werden.

Deutsche Autofahrer scheinen sich nicht so leicht einbremsen zu lassen. Am Sonntag wurde bekannt, dass in Köln ein Autofahrer mit 190 Stundenkil­ometern durch eine 50erZone gerast ist. Der 25-Jährige sei mit seinem Wagen zeitweise auf zwei Fahrstreif­en gefahren. Beamte stoppten die Fahrt, beschlagna­hmten das „hochmotori­sierte“Auto sowie den Führersche­in des Mannes und leiteten ein Strafverfa­hren ein.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Immer und überall im Einsatz: Mobile Radaranlag­e in der Schweiz.
FOTO: IMAGO Immer und überall im Einsatz: Mobile Radaranlag­e in der Schweiz.

Newspapers in German

Newspapers from Germany