Wenn Skifahrer Bäumchen köpfen
Eine Bergbahn wirbt fürs „Freeriden“im Wald und erntet Kritik
OBERALLGÄU - Da sind sich Jagd und Forst einig: Wenn immer mehr Freerider, Schneeschuh- und Tourengeher abseits der Pisten und Wege unterwegs sind, ist das Mist. Wintersportler haben in Tier-Rückzugsräumen, Schon- und Schutzgebieten nichts verloren. Doch es gibt immer wieder Beschwerden. Jüngst sogar über die Bergbahn in Balderschwang, die für „zahlreiche Waldabfahrten“warb. Auf ihrer Internetseite war von optimalen Bedingungen „auch außerhalb abgesicherter Freeride-Abfahrten, Varianten und Waldabfahrten“zu lesen. Dabei stand ein Video, in dem ein Skifahrer durch den Wald düst. „Das zeigt die Wertschätzung des Schutzwalds“, schimpft ein Forstler.
Auch Rolf Eberhardt vom Naturpark Nagelfluhkette missfällt der beworbene Freeride-Spaß rund um den Hochschelpen: „Das geht nicht“, kritisiert er „fehlendes Problembewusstsein“. Es handle sich um hochsensible Räume, in denen besonders viele Auerhühner leben.
Jann Oetting, Chef des Forstbetriebs Sonthofen, hat kein Verständnis, wird das Variantenfahren mitten im Wald beworben: „Köpfen Skifahrer Bäume, ist das genauso ärgerlich, wie wenn Wild Wald frisst.“Man versuche mit hohem Aufwand, in steilen Lagen Tannen anzusiedeln. Die sind bei der Anpflanzung 30 Zentimeter hoch. Selbst später, mit 1,50 Metern Höhe, schaut ihr Leittrieb je nach Winter nur gerade so aus dem Schnee heraus. Wird so eine Spitze von einer Ski- oder Snowboardkante abgesäbelt, verliere man zwei Jahre beim Wachstum. – Oder der Baum wächst überhaupt nicht mehr gut.
Die Bergbahn hat nun schnell reagiert. Die kritisierte Passage im Internet und das Wald-Video sind verschwunden. Jetzt heißt es nur noch: „Extra ausgewiesene Freeride-Abfahrten sorgen für jede Menge Spaß am Berg.“Fürs Fahren im Wald wolle man keinesfalls werben, erklärt ein Firmensprecher. Dass das kurzzeitig im Internet anders aussah, habe an einer jungen Grafikerin gelegen, die die Seiten überarbeitet hatte. Und das Interview in einem Magazin, in dem ein Mitglied der Betreiberfamilie von Waldabfahrten schwärmt? Auch dahinter ständen die Gesellschafter nicht, heißt es bei der Bergbahn und dass der Mann nicht mehr dort arbeite.
Bei dem Thema Wald geht es auch um die Winterruhe der Tiere: Sie benötigen Rückzugsräume, um ihren Organismus runterfahren und so wenig Energie zu verbrauchen. Oetting: „Ruhe ist für die Tiere überlebenswichtig und kein romantischer Anspruch von uns.“Deshalb versuche man es im Naturpark mit Besucherlenkung. Halten sich die Menschen an Wege und Routen, könnten sich die Tiere daran gewöhnen. Ein einzelner Tourengeher abseits würde Oetting zwar nicht so sehr stören. Aber: „Sobald es eine Spur gibt, lockt sie weitere an.“
Schneeschuhgeher lassen sich leiten
Darum setzen Lenkungskonzepte darauf, schon die erste Abseits-Spur zu vermeiden. Schneeschuhgeher lassen sich nach Eberhardts Naturpark-Erfahrungen gut leiten. Sie seien für Informationen sogar dankbar. Bei Skitourengehern laufe es meist ähnlich. Schwieriger sei es mit den Variantenfahrern, die mit dem Lift hoch- und dann irgendwo runterfahren: Diese Gruppe erreiche man bisher relativ schwer.
„Wir brauchen eine Besucherlenkung fürs ganze Oberallgäu“, fordert Jürgen Wälder, Geschäftsführer der Hochwild-Hegegemeinschaft Sonthofen. Er sagt, dass die Probleme allgemein zunähmen. Jeder betretbare Winkel werde mit Schneeschuhen und Tourenskiern begangen oder zum Freeriden benutzt. Selbst nachts seien immer mehr mit Stirnlampe kreuz und quer im Gelände unterwegs. Wälder kennt Beispiele: etwa eine Rotwild-Fütterung, die zwar in der Alpenvereinskarte eingezeichnet sei, bei der es aber keine Schilder vor Ort gebe. Dort störten immer wieder Tourengeher die Ruhe an der Fütterung. Dass Besucherlenkung schon etwas bringt, sieht Wälder an seiner eigenen Fütterungsstelle: Das Wildschutzgebiet werde dank guter Beschilderung gemieden.
Als ein Beispiel für Besucherlenkung gilt der Scheidtobel am Fellhorn. „In der laufenden Saison führte keine einzige Ski-/Snowboardspur in das Schutzgebiet der Raufuß-Hühner“, sagt Jörn Homburg (Oberstdorf Kleinwalsertal Bergbahnen). Das klappt mit einer Kombination von Information und Regeln: Es gibt Hinweisschilder und Betretungsverbot. In der Gipfelbahn erklärt eine Durchsage, warum das so ist. Verstöße kommen teuer, mitunter ist man seine Skikarte los.