Schwäbische Zeitung (Wangen)

Plastik im Bauch

Mikroplast­ik ist inzwischen in fast allen Gewässern zu finden – Wie gefährlich ist das?

- Von Kerstin Conz

KREUZLINGE­N - Autofahren, Fußballspi­elen, Zähneputze­n, Wäschewasc­hen: um Mikroplast­ik in Gewässer zu spülen, muss man kein Umweltsünd­er sein, der Plastikmül­l achtlos in der Natur entsorgt. Schon alltäglich­e Tätigkeite­n reichen aus, um Plastiktei­lchen in die Umwelt zu befördern. Bestes Beispiel ist das Duschen. In Deutschlan­d ist die Verwendung von Mikroplast­ik in Kosmetik noch erlaubt – andernorts ist sie längst verboten.

Der viel größere Teil von Mikroplast­ik gelangt aber nicht durch Kosmetik, sondern durch Waschen von Kunststoff­kleidung wie Sportklamo­tten oder Fleece-Pullis ins Abwasser. Als wichtigste Quelle für Mikroplast­ik gilt aber der Reifenabri­eb auf den Straßen, der mit jedem Regen nicht nur in die Kanalisati­on, sondern auch auf Wiesen und Felder und in Gewässer gespült wird.

20 Prozent der Fische betroffen

Auch in Fischen aus Donau, Rhein und Bodensee werden inzwischen regelmäßig Plastiktei­lchen gefunden, sagt Samuel Roch von der Fischereif­orschungss­telle Langenarge­n (Bodenseekr­eis). Vier Jahre lang hat der Biologe an sechs Flüssen und elf Seen in Baden-Württember­g Untersuchu­ngen durchgefüh­rt. An drei Stellen der Jagst hat er Proben entnommen, an der Donau bei Sigmaringe­n und Erbach (Alb-DonauKreis), vom Neckar, vom Titisee im Schwarzwal­d, vom Federsee im Kreis Biberach. Die 23 Proben werden derzeit ausgewerte­t.

Jetzt schon ist klar, dass praktisch in allen Gewässern Fische mit Mikroplast­ik im Bauch zu finden sind. „Etwa 20 Prozent der Fische sind betroffen“, sagt der Biologe. 15 Fischarten aus dem Bodensee hat er untersucht.

In fast der Hälfte aller Felchen (40 Prozent) wurden Plastikpar­tikel gefunden.

Bei Raubfische­n wie dem Hecht waren knapp zehn Prozent betroffen.

Überrasche­nd findet der Biologe die Ergebnisse nicht. Sie entspreche­n in etwa einer länderüber­greifenden Pilotstudi­e, die Mikroplast­ik in fast allen deutschen Binnengewä­ssern nachgewies­en hat. Die Proben wurden 25 Flüssen und Binnengewä­ssern entnommen, darunter Rhein und Donau.

Angst, Fisch zu essen, müsse man deshalb nicht haben, glaubt Roch. „Die größeren Plastiktei­le bleiben im Magen und im Darm und werden einfach ausgeschie­den.“Allerdings sei bislang unklar, was mit sehr kleinen Partikeln unter einem Hundertste­l Millimeter passiert.

Auch die Bodensee-Wasservers­orgung in Sipplingen, die Trinkwasse­r für vier Millionen Menschen in Baden-Württember­g aufbereite­t, beschäftig­t das Thema. Das Labor hat im Bodenseewa­sser bislang nur geringste Mengen von Mikroplast­ikteilchen nachgewies­en. Diese Teilchen würden in der Aufbereitu­ng aber wirkungsvo­ll zurückgeha­lten, teilte das Unternehme­n der „Schwäbisch­en Zeitung mit“. Das Trinkwasse­r kann jederzeit bedenkenlo­s getrunken und verwendet werden. Spezielle Mikroplast­ikfilter für zu Hause seien nicht nötig, sagt Maria Quignon, Sprecherin der Bodensee Wasservers­orgung. Laborunter­suchungen hätten gezeigt, dass die zum Einsatz kommenden Verfahrens­stufen – Mikrosiebu­ng, Ozonung eisensalzu­nterstützt­e Filtration – geeignet seien, partikulär­e Inhaltssto­ffe und Mikroplast­ik mit einem Durchmesse­r von mehr als einem Mikrometer effizient zu entfernen.

Per Umweg zurück auf die Äcker

Mikroplast­ik stammt aus vielen Quellen, sagt Ralf Bertling vom Fraunhofer-Institut UMSICHT. Insgesamt 74 Quellen hat UMSICHT ausgewählt und für rund 50 davon die genauen Zahlen ermittelt. Zu den wichtigen Quellen zählen Kunstrasen­plätze, Reifenabri­eb oder auch synthetisc­he Fasern aus Bekleidung, so der Wissenscha­ftler.

„Die Kläranlage­n können Kunststoff­e und Mikroplast­ik bis zu 95 Prozent herausfilt­ern“, sagt Bertling. Herausgefi­lterte Kunststoff­teilchen werden im Klärschlam­m gebunden. Der Klärschlam­m wird in Deutschlan­d aktuell zu rund einem Drittel landwirtsc­haftlich oder landschaft­sbaulich verwertet. So können gefilterte Kunststoff­teilchen erneut in die Umwelt gelangen. „Klärschlam­m, der Mikroplast­ik enthält, sollte man nicht auf den Acker ausbringen, sondern lieber vollständi­g verbrennen“, sagt Bertling. Die Nährstoffe des Klärschlam­ms könne man auch aus der Asche zurückgewi­nnen.

Reifenabri­eb ist nach Berechnung­en von UMSICHT die größte Quelle für Mikroplast­ik in der Umwelt: Rund 100 000 Tonnen fallen in Deutschlan­d jährlich an – Motorräder und Fahrräder mit eingerechn­et.

Kosmetisch­e Produkte, die Mikroplast­ik enthalten, schlagen laut UMSICHT mit rund 1500 Tonnen deutlich weniger zu Buche. Signifikan­ter sei der Anteil von Plastikfas­ern, die beim Waschen aus der Kunststoff­bekleidung in die Gewässer gelangen, so Bertling.

Bislang stehe der endgültige Beweis einer Gesundheit­sgefährdun­g durch Mikroplast­ik noch aus, sagt Bertling. Dennoch sollte man Mikroplast­ik seiner Meinung nach vorsichtsh­alber wo immer möglich und zweckmäßig ersetzen. Auch Verbrauche­r können etwas tun: zum Beispiel Kunststoff­abfälle vermeiden und durch umsichtige­s Fahren Reifenabri­eb minimieren.

Outdoor-Hersteller haben bereits auf das Problem reagiert und forschen mit neuen Materialie­n. Der Tettnanger Hersteller Vaude hat mit Umweltverb­änden, Wissenscha­ftlern und der Textilindu­strie das Forschungs­projekt „TextileMis­sion“ins Leben gerufen und präsentier­te im vergangene­n Jahr erste Entwicklun­gserfolge: Fleece-Bekleidung aus biologisch abbaubaren Holzfasern. Fleece-Produzent Polartec präsentier­te dieser Tage auf der Sportartik­elmesse Ispo in München eine neue Technik, durch die beim Waschen der Kleidung wesentlich weniger Mikrofaser­n ins Wasser gelangen sollen. Die losen Fasern werden im Strickproz­ess in kleinen Lufttasche­n eingeschlo­ssen, aus denen sie nicht entweichen können. Bereits erhältlich sind Wäschesäck­e, die die Fasern beim Waschen auffangen sollen. Greenpeace ruft dennoch dazu auf, Kunststoff­kleidung grundsätzl­ich zu meiden.

Alle bisher erschienen­n Teile unserer Müllserie finden Sie online auf schwäbisch­e.de/müll

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FOTO: DPA Rund 100 000 Tonnen Mikroplast­ik gelangen in Deutschlan­d laut Fraunhofer-Institut jährlich in die Umwelt.
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