Plastik im Bauch
Mikroplastik ist inzwischen in fast allen Gewässern zu finden – Wie gefährlich ist das?
KREUZLINGEN - Autofahren, Fußballspielen, Zähneputzen, Wäschewaschen: um Mikroplastik in Gewässer zu spülen, muss man kein Umweltsünder sein, der Plastikmüll achtlos in der Natur entsorgt. Schon alltägliche Tätigkeiten reichen aus, um Plastikteilchen in die Umwelt zu befördern. Bestes Beispiel ist das Duschen. In Deutschland ist die Verwendung von Mikroplastik in Kosmetik noch erlaubt – andernorts ist sie längst verboten.
Der viel größere Teil von Mikroplastik gelangt aber nicht durch Kosmetik, sondern durch Waschen von Kunststoffkleidung wie Sportklamotten oder Fleece-Pullis ins Abwasser. Als wichtigste Quelle für Mikroplastik gilt aber der Reifenabrieb auf den Straßen, der mit jedem Regen nicht nur in die Kanalisation, sondern auch auf Wiesen und Felder und in Gewässer gespült wird.
20 Prozent der Fische betroffen
Auch in Fischen aus Donau, Rhein und Bodensee werden inzwischen regelmäßig Plastikteilchen gefunden, sagt Samuel Roch von der Fischereiforschungsstelle Langenargen (Bodenseekreis). Vier Jahre lang hat der Biologe an sechs Flüssen und elf Seen in Baden-Württemberg Untersuchungen durchgeführt. An drei Stellen der Jagst hat er Proben entnommen, an der Donau bei Sigmaringen und Erbach (Alb-DonauKreis), vom Neckar, vom Titisee im Schwarzwald, vom Federsee im Kreis Biberach. Die 23 Proben werden derzeit ausgewertet.
Jetzt schon ist klar, dass praktisch in allen Gewässern Fische mit Mikroplastik im Bauch zu finden sind. „Etwa 20 Prozent der Fische sind betroffen“, sagt der Biologe. 15 Fischarten aus dem Bodensee hat er untersucht.
In fast der Hälfte aller Felchen (40 Prozent) wurden Plastikpartikel gefunden.
Bei Raubfischen wie dem Hecht waren knapp zehn Prozent betroffen.
Überraschend findet der Biologe die Ergebnisse nicht. Sie entsprechen in etwa einer länderübergreifenden Pilotstudie, die Mikroplastik in fast allen deutschen Binnengewässern nachgewiesen hat. Die Proben wurden 25 Flüssen und Binnengewässern entnommen, darunter Rhein und Donau.
Angst, Fisch zu essen, müsse man deshalb nicht haben, glaubt Roch. „Die größeren Plastikteile bleiben im Magen und im Darm und werden einfach ausgeschieden.“Allerdings sei bislang unklar, was mit sehr kleinen Partikeln unter einem Hundertstel Millimeter passiert.
Auch die Bodensee-Wasserversorgung in Sipplingen, die Trinkwasser für vier Millionen Menschen in Baden-Württemberg aufbereitet, beschäftigt das Thema. Das Labor hat im Bodenseewasser bislang nur geringste Mengen von Mikroplastikteilchen nachgewiesen. Diese Teilchen würden in der Aufbereitung aber wirkungsvoll zurückgehalten, teilte das Unternehmen der „Schwäbischen Zeitung mit“. Das Trinkwasser kann jederzeit bedenkenlos getrunken und verwendet werden. Spezielle Mikroplastikfilter für zu Hause seien nicht nötig, sagt Maria Quignon, Sprecherin der Bodensee Wasserversorgung. Laboruntersuchungen hätten gezeigt, dass die zum Einsatz kommenden Verfahrensstufen – Mikrosiebung, Ozonung eisensalzunterstützte Filtration – geeignet seien, partikuläre Inhaltsstoffe und Mikroplastik mit einem Durchmesser von mehr als einem Mikrometer effizient zu entfernen.
Per Umweg zurück auf die Äcker
Mikroplastik stammt aus vielen Quellen, sagt Ralf Bertling vom Fraunhofer-Institut UMSICHT. Insgesamt 74 Quellen hat UMSICHT ausgewählt und für rund 50 davon die genauen Zahlen ermittelt. Zu den wichtigen Quellen zählen Kunstrasenplätze, Reifenabrieb oder auch synthetische Fasern aus Bekleidung, so der Wissenschaftler.
„Die Kläranlagen können Kunststoffe und Mikroplastik bis zu 95 Prozent herausfiltern“, sagt Bertling. Herausgefilterte Kunststoffteilchen werden im Klärschlamm gebunden. Der Klärschlamm wird in Deutschland aktuell zu rund einem Drittel landwirtschaftlich oder landschaftsbaulich verwertet. So können gefilterte Kunststoffteilchen erneut in die Umwelt gelangen. „Klärschlamm, der Mikroplastik enthält, sollte man nicht auf den Acker ausbringen, sondern lieber vollständig verbrennen“, sagt Bertling. Die Nährstoffe des Klärschlamms könne man auch aus der Asche zurückgewinnen.
Reifenabrieb ist nach Berechnungen von UMSICHT die größte Quelle für Mikroplastik in der Umwelt: Rund 100 000 Tonnen fallen in Deutschland jährlich an – Motorräder und Fahrräder mit eingerechnet.
Kosmetische Produkte, die Mikroplastik enthalten, schlagen laut UMSICHT mit rund 1500 Tonnen deutlich weniger zu Buche. Signifikanter sei der Anteil von Plastikfasern, die beim Waschen aus der Kunststoffbekleidung in die Gewässer gelangen, so Bertling.
Bislang stehe der endgültige Beweis einer Gesundheitsgefährdung durch Mikroplastik noch aus, sagt Bertling. Dennoch sollte man Mikroplastik seiner Meinung nach vorsichtshalber wo immer möglich und zweckmäßig ersetzen. Auch Verbraucher können etwas tun: zum Beispiel Kunststoffabfälle vermeiden und durch umsichtiges Fahren Reifenabrieb minimieren.
Outdoor-Hersteller haben bereits auf das Problem reagiert und forschen mit neuen Materialien. Der Tettnanger Hersteller Vaude hat mit Umweltverbänden, Wissenschaftlern und der Textilindustrie das Forschungsprojekt „TextileMission“ins Leben gerufen und präsentierte im vergangenen Jahr erste Entwicklungserfolge: Fleece-Bekleidung aus biologisch abbaubaren Holzfasern. Fleece-Produzent Polartec präsentierte dieser Tage auf der Sportartikelmesse Ispo in München eine neue Technik, durch die beim Waschen der Kleidung wesentlich weniger Mikrofasern ins Wasser gelangen sollen. Die losen Fasern werden im Strickprozess in kleinen Lufttaschen eingeschlossen, aus denen sie nicht entweichen können. Bereits erhältlich sind Wäschesäcke, die die Fasern beim Waschen auffangen sollen. Greenpeace ruft dennoch dazu auf, Kunststoffkleidung grundsätzlich zu meiden.
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