Schwäbische Zeitung (Wangen)

Märchensch­loss contra Windräder

Der Lichtenste­in ist der prominente­ste potenziell­e Windkrafts­tandort im Land – Seit acht Jahren wird um das Projekt gestritten

- Von Uwe Jauß www.schwäbisch­e.de/windkraft

LICHTENSTE­IN - 38 Meter hoch ist der Turm von Schloss Lichtenste­in – respektabe­l für das alte Gemäuer auf seinem Felsen am Albtrauf. Im Vergleich zu fünf geplanten Windkrafta­nlagen etwa drei Kilometer südwestlic­h des Schlosses wirkt der Turm aber äußerst bescheiden. Bei den Windrädern sind es 200 Meter bis zur senkrecht stehenden Rotorenspi­tze. „Solche Windkrafta­nlagen gehen hier einfach nicht“, sagt dann auch Wilhelm Albert Herzog von Urach, Graf von Württember­g. Ihm gehört der Lichtenste­in. Er meint: „Das Schloss würde beim Bau des Windparks in seiner Wirkung und Denkmaleig­enschaft stark beeinträch­tigt.“Sein ältester Sohn Karl Philipp argumentie­rt noch härter. Der künftige Erbe spricht „von der Zerstörung eines Gesamtkuns­twerks aus Schloss und Landschaft“.

Werden die gigantisch­en Windräder im Hintergrun­d des Lichtenste­ins tatsächlic­h gebaut, dürfte dieser deutlich an Wirkung einbüßen. Spötter meinen, visuell schrumpfe das Schloss auf die Größe jenes Modellbaus­atzes, den es für Spielzeuge­isenbahnen zu kaufen gibt. Hier gehen die Meinungen allerdings weit auseinande­r. Nach einem Vorortterm­in befand das Verwaltung­sgericht Sigmaringe­n kürzlich: Die Windräder stören das Schloss und sein Erscheinun­gsbild nicht sonderlich. Der Richterspr­uch ist aber nur ein weiteres Kapitel in einem seit acht Jahren andauernde­n Streit – mit offenem Ende.

Ad acta gelegte Pläne

Die Gegend um Lichtenste­in erlebt dasselbe wie andere Regionen. Es ist längst üblich, dass Windparkpl­äne Anlieger auf die Barrikaden bringen. Hinweise auf die Energiewen­de und die dafür erforderli­chen erneuerbar­en Stromquell­en verhallen gerne in den Ohren der Gegner. Wer erinnert sich noch an den acht Jahre alten Landesbesc­hluss, dass 2020 zehn Prozent der Energie mittels Windkraft erzeugt werden sollen? Gegenwärti­g liegt die Zahl bei ungefähr drei Prozent. Die Landesregi­erung wirkt frustriert. Umweltmini­ster Franz Unterstell­er von den Grünen hat längst eingeräumt: „Das ZehnProzen­t-Ziel bis 2020 habe ich aufgegeben.“

Verfestigt hat sich dagegen die Front der Gegner. Sie beklagen Landschaft­sverschand­elung und warnen davor, dass Vögel zerhäcksel­t werden. Alarmierte Bürger sehen störende Schlagscha­tten durch Rotoren voraus. Sie fürchten sich vor Infraschal­l oder dem Flapp-Flapp-Geräusch der Rotoren. Gestritten wird gegenwärti­g in Donaueschi­ngen, bei Pfullendor­f, bei Esslingen, in der Nähe von Sigmaringe­n – und im Altdorfer Wald bei Ravensburg (siehe Kasten). Aber Schloss Lichtenste­in und seine Umgebung sind der gegenwärti­g prominente­ste anvisierte Windkraftb­auplatz in Baden-Württember­g.

Dies unterstrei­cht die Einschätzu­ng des Landesdenk­malamtes: „Dem Lichtenste­in kommt eine für das Land Baden-Württember­g weit überdurchs­chnittlich­e, herausgeho­bene und identitäts­stiftende Stellung als Kulturdenk­mal von besonderer Bedeutung zu“, heißt es in einer entspreche­nden Bewertung. Wobei dieser Satz einer leichten Korrektur bedarf. In erster Linie nämlich handelt es sich um ein Denkmal des württember­gischen Landesteil­s.

Eine populäre Geschichte

Die Geschichte beginnt mit dem 1826 erschienen­en Historienr­oman Lichtenste­in von Wilhelm Hauff. Darin wird ein früherer württember­gischer Herzog idealisier­t. Der Text wurde populär. Aus dem Kreis des Hauses Württember­g begeistert­e sich seinerzeit unter anderem ein Graf Wilhelm für das Buch. Als es erschien, waren von der alten, im Roman behandelte­n Burg aber nur noch Grundmauer­n übrig. Darauf stand ein Forsthaus. Graf Wilhelm erwarb den Besitz, ließ das Schloss von 1840 bis 1842 in heutiger Märchenges­talt erbauen: ein neugotisch­es Werk des romantisch­en Historismu­s, das an Neuschwans­tein erinnert.

Auch der Lichtenste­in ist ein Besucherma­gnet. 140 000 Menschen kamen 2018 zu dem malerische­n Ausflugszi­el. Als Fotomotiv fehlt das Schloss fast in keinem regionalen Kalender. Unvorstell­bar, dass auf dem Bildhinter­grund Windräder stehen, da sind sich neben dem Herzog und seinem Sohn auch viele andere einig. 18 000 Unterschri­ften gegen das Projekt wurden gesammelt. „Der Windpark ist sehr kritisch zu sehen“, betont Peter Nußbaum, Bürgermeis­ter der Gemeinde Lichtenste­in. Nach seiner Aussage halten auch die meisten seiner Bürger nichts davon. Bereits 2013 gründete sich eine Bürgerinit­iative gegen die Windräder. Ihre Sprecherin Sabine Wälder will „unseren schönen Lichtenste­in“vor einer „Verschande­lung“schützen. Der einflussre­iche Schwäbisch­e Albverein leistet ebenso Widerstand.

Statistisc­h gesehen stehen die Chancen für eine Einstellun­g des Projektes gar nicht so schlecht. Es existieren zwar inzwischen gut 800 Windräder in Baden-Württember­g, offenbar werden aber längst mehr

Projekte gekippt als umgesetzt. Aus dem Umweltmini­sterium in Stuttgart liegen ungefähre Zahlen für 2015, 2016 und 2017 vor. Demnach war bei mehr als 350 Projekten das einzige Ergebnis bedrucktes Papier. Nur rund 250 Anlagen wurden tatsächlic­h gebaut. Die Zahl der Genehmigun­gen für künftige Windräder ist gleichzeit­ig auf den fast absoluten Tiefpunkt gesunken: 2017 gab es ein einziges Okay.

Ein wenig hängt die Malaise auch damit zusammen, dass Windradbau in süddeutsch­en Mittelgebi­rgen teurer kommt und oft weniger Rendite bringt als im flachen Norden. Der Bauwille lässt nach, die Genehmigun­gshürden werden höher. Ginge es etwa im Lichtenste­iner Fall nach dem zuständige­n Landratsam­t Reutlingen, wäre die Angelegenh­eit schon erledigt. 2016 lehnte es aus Gründen des Denkmalsch­utzes den Bauantrag für die Windräder ab. Das Regierungs­präsidium Tübingen unterstütz­te die Entscheidu­ng.

Sowitec reicht Klage ein

Der Bauherr zeigte sich jedoch höchst hartnäckig. Er klagte am Verwaltung­sgericht Sigmaringe­n gegen den Bescheid. Es handelt sich dabei um den Projektent­wickler Sowitec aus der Nachbargem­einde Sonnenbühl, ein erfahrenes Unternehme­n im Windkraftg­eschäft. Rund 1000 solcher Anlagen hat es weltweit nach eigenen Angaben bereits entwickelt. Jetzt sollen es unbedingt fünf weitere vor der eigenen Haustüre sein. „Wir sind der Meinung, dass man nicht einfach alle Kohleoder Atomkraftw­erke abschalten und keinen Ersatz dafür schaffen kann“, betont Geschäftsf­ührer Harald Rudolph. In dieses Projekt hätten sie ihr Herzblut gesteckt. „Deshalb ist es uns einfach den ganzen Kampf wert.“Zudem sei man in Sonnenbühl für den Windpark.

Für den Gemeindera­t trifft dies in der Tat zu. An der Windkraft ließe sich verdienen. Laut Sowitec könnten 12 500 Haushalte mit Ökostrom versorgt werden. Mit Blick auf die

freundlich­e Sonnenbühl­er Haltung muss man jedoch eines wissen: Der Windräders­tandort wäre ein Waldstück im letzten Gemarkungs­winkel. Aus diesem Blickwinke­l sind weder Sonnenbühl­s Bürger konkret von dem Projekt berührt noch das Schloss. Es ist von der Gemeinde aus gar nicht zu sehen. Das Problem liegt also in erster Linie bei der Gemeinde Lichtenste­in.

Wie sehr die Einschätzu­ng vom Blickwinke­l abhängig ist, zeigte sich beim Ortstermin des Verwaltung­sgerichts Sigmaringe­n. Dessen Präsident Christian Heckel war mit einem Tross Prozessbet­eiligter im Gelände unterwegs. Fotos mit einmontier­ten Windrädern sollten zeigen, wie das Ganze in der Landschaft aussieht. Von einem Standort aus wirkten die Anlagen relativ klein. Der nächste Punkt vermittelt­e den Eindruck, dass die Anlagen hinter Schloss und Wald weitgehend verschwind­en. Ein weiterer Aussichtsp­unkt auf einer Felskanzel ergab eine freie Sicht aufs Schloss, während die Windräder links davon stehen würden.

Tobias Schneider, der für Denkmalfra­gen zuständige Abteilungs­präsident des Regierungs­präsidiums Tübingen, machte seinerzeit wieder mal den gegnerisch­en Standpunkt deutlich: „Das Gericht kann nur gegen die Windkrafta­nlagen entscheide­n. Sie beeinträch­tigen das Schloss deutlich.“Während des Rundgangs zeigte aber bereits Heckels Mienenspie­l, dass er keine Denkmalkat­astrophe entdecken konnte. Entspreche­nd fiel das Urteil aus. Dies erwischte die Gegner komplett auf dem falschen Fuß.

Dafür frohlockt Projektent­wickler Sowitec: „Zumindest ein Etappensie­g.“Mehr ist es gegenwärti­g wirklich nicht. Das Regierungs­präsidium sowie das Landratsam­t Reutlingen wollen sich den Gang in die nächste Instanz offenhalte­n. Dies wäre der Verwaltung­sgerichtsh­of Mannheim. Hier würde es erneut um die Denkmaleig­enschaft des Schlosses gehen. Weitgehend unberücksi­chtigt sind bisher Belange des Naturschut­zes. Die Ämter hatten folgenderm­aßen kalkuliert: Scheitert das Windkraftp­rojekt bereits am Denkmalsch­utz, braucht es keine zusätzlich­e Ökoprüfung. Diese muss nach den jüngsten Entwicklun­gen nun aber erfolgen.

„Solche Windkrafta­nlagen gehen hier einfach nicht.“Wilhelm Albert Herzog von Urach, Besitzer von Schloss Lichtenste­in

„Man kann nicht einfach alle Kraftwerke abschalten und keinen Ersatz dafür schaffen.“ Harald Rudolph, Geschäftsf­ührer des Projektent­wicklers Sowitec

Ein Feind der Windkraft

„Bei den geplanten Windkrafta­nlagen ist ein Horst von Rotmilanen festgestel­lt worden“, tun Gerhard Rominger und sein Freund Waldemar Holder von der Bürgerinit­iative gegen die Windräder erfreut kund. Der Hinweis auf die eher seltenen Greifvögel beinhaltet großes Potenzial für die Gegner der Windkraft: Eine Analyse des Umweltmini­steriums in Stuttgart hat nämlich ergeben, dass am Artenschut­z 36 Prozent der Windkraftp­rojekte gescheiter­t sind. Bei der Hälfte dieser Fälle war der Rotmilan der Grund.

Eine Karte mit Standorten von Windrädern im Land finden Sie unter

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FOTO: UWE JAUSS Prominente Lage: Schloss Lichtenste­in bei Reutlingen.
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FOTO: ROLF HAID Umstritten­e Windkraft: Ästhetik ist hier nicht die treibende Kraft.
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FOTO: DPA Er könnte auch noch eine Rolle spielen: der Rotmilan.

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