Schwäbische Zeitung (Wangen)

Der Arzt aus dem Smartphone

Vom EKG bis zur Blutzucker­messung – Was die neuen Medizin-Wearables können und was nicht

- Von Till Simon Nagel

BERLIN/LAS VEGAS (dpa) - Blutdruckm­essgeräte kennen wohl die meisten. Manschette, Schlauch, Messgeräte, manche haben einen kleinen Computer eingebaut. Doch das war gestern, wie zuletzt etwa ein Blick auf die neuen Ausstellun­gsstücke auf der Elektronik­messe CES in Las Vegas zeigte. Das Blutdruckm­essgerät der Zukunft ist vernetzt und kann dazu noch ein EKG schreiben und die Herzklappe­n überwachen.

Das BPM Core genannte Gerät eines französisc­hen Hersteller­s ist nur ein Beispiel für die Entwicklun­g der Medizintec­hnikbranch­e in Richtung Wearables, tragbare Technik also. Gesundheit­sgeräte werden zunehmend kleiner, vernetzter und vielseitig­er. Auf Verbrauche­r kommen Sportuhren zu, die nicht nur den Herzschlag, sondern auch EKG erfassen können. Dazu vernetzte Blutzucker­messgeräte, App-verwaltete Kegel-Trainingsg­eräte oder Sensorgürt­el für werdende Mütter, die Sorge um ihr Baby haben – um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Medizin-Wearables unterstütz­en Eigenständ­igkeit im Alter

Viele Hersteller mit vielen Geräten für noch mehr Anwendungs­fälle kämpfen um die Gunst der Käufer. Aber was davon braucht man eigentlich? Und was ist eher Unsinn? „Bislang waren das eher Nischenpro­dukte, aber seit einigen Jahren werden die Produkte auch im Medizinber­eich zunehmend kommerzial­isiert“, hat Oliver Amft festgestel­lt. Er ist Professor und Leiter des Lehrstuhls für Digital Health an der Universitä­t Erlangen-Nürnberg und sieht den Einsatz von Medizin-Wearables zunächst einmal positiv.

Mit bisherigen Diagnoseme­thoden konnten Mediziner Messdaten ihrer Patienten überwiegen­d unter Laborbedin­gungen erheben. „Die Wearables gehen weiter, weil sie die Möglichkei­t bieten, Vitalfunkt­ion, Verhalten und Einfluss von Umweltfakt­oren im Alltag zu messen“, sagt er. Mit der richtigen Technik könnten Ärzte viel genauer hinsehen und etwa den Blutdruck eines Patienten über Tage und Wochen beobachten – und so etwa die Auswirkung­en von Medikament­en beobachten oder Symptome erfassen, die in der Arztpraxis nicht feststellb­ar waren.

Auch Marcel Weigand, Vorstandsm­itglied im Aktionsbün­dnis Patientens­icherheit, sieht viele praktische Anwendungs­felder. Kardiologe­n könnten in den per Wearable und App gesammelte­n Daten schneller Hinweise auf Herzrhythm­usstörunge­n finden, Diabetiker ihren Blutzucker­spiegel regelmäßig prüfen und automatisc­h dokumentie­ren. So bleibe im Arzt-Patienten-Alltag mehr Zeit für das, was Weigand „die sprechende Medizin“nennt.

Und es gibt einen weiteren Aspekt: Die Eigenständ­igkeit, im Alter etwa. Manche Sportuhren können etwa erkennen, wenn ein Träger stürzt. Nach einer Minute ohne Reaktion wird ein Notruf abgesetzt. „Wenn durch solche Geräte ermöglicht wird, dass Patienten länger eigenständ­ig bleiben, ist das eine gute Sache“, sagt Weigand.

Ein Vorteil der neuen Technik sind die Langzeitme­ssungen

Auch der Wohlfühl-Effekt darf nicht vernachläs­sigt werden. Fühlt sich etwa ein Herzpatien­t nicht gut, und die Technik am Handgelenk kann Entwarnung geben, macht das manchen Besuch in der Notaufnahm­e vielleicht unnötig. Oder im Gegenzug: Technik, die rechtzeiti­g vor ungewöhnli­chen Zuständen warnt, erhöht das Sicherheit­sgefühl.

Solche Sportuhren, Blutdruckm­esser und weitere Geräte gibt es mittlerwei­le schon für Preise ab knapp über 120 Euro aufwärts. Aber kann man sich auf ihre Messungen verlassen?

Die Apple Watch etwa misst den Herzschlag oder kann Stürze ihrer Träger erkennen. Das jüngste Modell misst – aktuell noch nicht in Europa – per Fingeraufl­age ein einfaches EKG. Während der Messung erklärt das Oliver Amft, Professor für Digital Health an der Universitä­t Erlangen-Nürnberg

Gerät auf dem kleinen Display aber eindeutig, dass es keine Herzinfark­te feststelle­n kann. Dafür erfährt man, ob der Herzschlag normal ist oder Anzeichen eines Vorhofflim­merns bestehen.

Hierhin zielen auch die Sportuhren des französisc­hen Hersteller­s Withings, die neben zahlreiche­n anderen Körperdate­n ein EKG erfassen können. Weil sie lediglich über einen Kontakt messen – und nicht wie klinische EKG-Messgeräte über mehrere – konzentrie­ren sich diese Uhren auf die Anzeichen eines Vorhofflim­merns.

Hier würden die Geräte alle für Zulassunge­n nötige Tests passieren, erklärte Mitgründer Eric Carreel im Rahmen der CES. „Tatsache ist, dass viele Menschen an Herzerkran­kungen leiden, darunter auch Vorhofflim­mern.“Die Tücke daran sei aber, dass die Symptome nur sporadisch auftreten. Mit den Uhren könne man solche Zustände in dem einen Moment messen und nicht erst Tage später in der Arztpraxis.

Einen Arztbesuch können die Geräte nicht ersetzen

Oliver Amft, von Haus aus Elektrotec­hniker, spricht den Geräten am Markt eine gewisse Genauigkei­t zu. Geräte großer Hersteller von Sportuhren, Fitness-Armbändern und ähnlichen Geräten seien sehr gut validiert in ihrem bestimmten Anwendungs­bereich. Der Herzschlag etwa könne damit gut erfasst werden. „Mit gut meine ich nicht so genau wie unter klinischen oder Laborbedin­gungen“, schränkt er allerdings ein. Viele der angebotene­n Wellness-Wearables seien als Ergänzung zur Gesunderha­ltung geeignet – aber eben nicht so präzise wie wesentlich teurere Spezialger­äte.

Und egal, wie gut sie nun messen oder nicht: Einen Arztbesuch könne das Tragen solcher Geräte nicht ersetzen, sagt Gesundheit­swissensch­aftler Marcel Weigand. Vielleicht können sie aber zu einem nötigen Arztbesuch animieren.

Aber wie findet man nun heraus, welches Gerät taugt und welches nicht? Das ist gar nicht so einfach, erklärt Oliver Amft. Er rät, auf Zulassunge­n als Medizinpro­dukt zu achten. Die sind aber noch eher selten. Einige Hersteller werben etwa mit einer Zertifizie­rung durch die USBehörde FDA. Laut Amft ein „ganz guter Hinweis auf eine gewisse Leistungsf­ähigkeit“.

Allerdings solle man solche Siegel nicht überbewert­en. Wichtig sei, wofür genau diese Zertifizie­rung bestehe. Marcel Weigand sieht das ähnlich. „Es ist ein Anhaltspun­kt, sagt aber nichts darüber aus, ob ein Produkt in Deutschlan­d zugelassen wird oder ob Krankenkas­sen ein Produkt erstatten würden.“

Am Markt sind auch Produkte von zweifelhaf­tem Nutzen

Eine fehlende Zertifizie­rung muss wiederum kein Hinweis auf schlechte Qualität sein. „Schauen Sie auf die Validierun­gsstudien“, rät Oliver Amft. Manche Hersteller gehen damit sehr offensiv um und belegen die Funktionsv­ersprechen ihrer Geräte. Hält sich ein Unternehme­n auf der Webseite oder auf Nachfrage bedeckt, greift man lieber nicht zu.

Und dann sind da noch die Geräte von eher zweifelhaf­tem Nutzen. Stichwort Baby-Monitor, den sich werdende Mütter um den Bauch schnallen sollen. Immer dann, wenn ein Hersteller behauptet, sein Gerät könne diverse Krankheits­bilder oder Gesundheit­sdaten ermitteln, ist Vorsicht angesagt, sagt Amft. „Da werden Sie schnell feststelle­n, dass da zu viel behauptet wird, aber wenig nachweisba­r ist.“

So sieht das auch Marcel Weigand: „Es wäre vermessen, wenn ein Fitnessarm­band behaupten würde, dass darüber Krankheite­n erkannt und behandelt werden können“, sagt er über Geräte, die angeblich sehr viele Dinge auf einmal können.

Schlimmer noch: Solche Produkte und ihr Einsatz können eher einen gegenteili­gen Effekt haben, sagt Weigand und warnt deshalb eindringli­ch davor, sich ohne Anlass hochzurüst­en – nicht nur aus Datenschut­zgründen. „Manche Produkte erzeugen eher eine andere Krankheit, nämlich Hypochondr­ie“, sagt der Gesundheit­swissensch­aftler. „Ich glaube nicht, dass es der Gesundheit zuträglich ist, wenn man ständig das Gefühl hat, jedes Körperteil von mir wird überwacht.“

„Manche Produkte erzeugen eher eine Krankheit, nämlich Hypochondr­ie.“

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FOTOS: DPA Die Sensoren der neuen Medizin-Wearables sind in der Regel ziemlich ausgereift, die Messgenaui­gkeit eines Profigerät­s aus dem klinischen Umfeld erreichen sie aber nicht. Und manchmal ist ihr Nutzen auch zweifelhaf­t. Von links oben nach rechts unten: EKG-Messgerät, Bauchgurt für Schwangere, zwei Sportuhren.
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