Schwäbische Zeitung (Wangen)

Keine Lust auf Relegation

Stuttgart schöpft Zuversicht aus dem 5:1 über Hannover, nur der Kapitän warnt

- Von Jürgen Schattmann

STUTTGART - Woran erkennt man einen erfahrenen, womöglich sogar demütigen Sportler? Ganz einfach: Er abstrahier­t, er reflektier­t. Er jubelt nicht so laut, wenn Kantersieg­e eingefahre­n werden, und er jammert nicht, wenn es mal schlecht läuft. Von Christian Gentner, dem 33-jährigen Kapitän des VfB Stuttgart, darf man beides sagen – er ist ziemlich weit weg vom himmelhoch­jauchzend und zutodebetr­übt der Fußballbra­nche. Über seine Verbannung aus der Startelf hat der Nürtinger bis dato kein böses Wort gefunden, und auch alle Euphorie war ihm am Sonntag fremd trotz des höchsten VfB-Siegs seit sieben Jahren, zu dem Gentner immerhin noch einen Assist beisteuert­e. Gentner wusste: Der VfB hatte gerade nicht gegen den FC Barcelona 5:1 gewonnen, sondern gegen das Gegenteil, gegen Hannover 96. Die Niedersach­sen sind seit Monaten nicht der hellste Stern, sondern eher das schwarzes Loch am Fußballhim­mel, das Gegentore scheinbar magisch anzuziehen scheint.

„Wir müssen den Erfolg richtig einordnen. Wir hatten einen schwachen Gegner heute, das muss man so sehen. Es ist noch gar nichts gewonnen. Die Situation bleibt schwierig. Auf uns warten in den kommenden Wochen starke Gegner“, sagte Gentner also, und man hatte das Gefühl, da spricht kein Spieler, sondern ein Trainer. Dem offizielle­n Trainer allerdings, Markus Weinzierl, war nicht wirklich nach Demut zumute. Bis zum Schützenfe­st am Fasnetsson­ntag war der 44-Jährige der Coach mit dem schlechtes­ten Punkteschn­itt in der VfB-Geschichte, nur elf hatte er geholt in 16 Spielen. Von Woche zu Woche wurde Weinzierl von Reportern noch besorgter nach seinem Befinden gefragt, was immer auch impliziert­e: Zittern Sie um Ihren Job, machen Sie sich Sorgen, am Montag noch da zu sein?

Seit Sonntag dürfte klar sein: Weinzierl hat in den kommenden Partien in Dortmund, gegen Hoffenheim und in Frankfurt nicht nur ein paar weitere Niederlage­n gut, er könnte sogar durchaus das Saisonende im Amt erleben. So breit grinsend wie nach dem Keller-Coup sah man den Bayern noch nie in Stuttgart, und so optimistis­ch klang er auch noch nicht. Die Relegation, auf der derzeit alles hindeutet in Stuttgart? Sei absolut vermeidbar, meinte Weinzierl. „Die Tendenz stimmt. Wir haben zwei Punkte auf Augsburg, vier auf Schalke, wir sind in der Lage, es aus eigener Kraft zu schaffen. Das gibt uns Zuversicht“, fand der Trainer – wohlwissen­d, dass sein VfB bei beiden seinen Ex-Clubs noch auswärts spielt. Und wohlwissen­d, dass es eigentlich drei und fünf Zähler Abstand sind – bedenkt man, dass das Torverhält­nis des VfB um Längen schlechter ist.

Ein 18-Jähriger als Vorbild

Immerhin: Das Hannoversp­iel zeigte erneut, dass Weinzierl nach langem Tüfteln das passende System gefunden hat. Sein 3-5-2- respektive 5-3-2 mit Steven Zuber und Alexander Esswein, den im Winter gekommenen dauerracke­rnden Halbstürme­rn hinter Mario Gomez, wirkt um einiges kompakter als das 4-4-2 zuvor. In Zuber gewann das Team den lange vermissten zweiten torgefährl­ichen Spieler zu Gomez hinzu, und der 18-jährige Innenverte­idiger Ozan Kabak, eigentlich als langfristi­ger Ersatz für Weltmeiste­r Benjamin Pavard geholt, entpuppt sich wie erhofft als Sofort-Verstärkun­g. Alle drei Spieler wurden noch im Winter von Michael Reschke verpflicht­et, beim Türken Kabak, der nun der jüngste Abwehrspie­ler der Bundesliga-Geschichte mit einem Doppelpack ist, geriet Reschkes Nachfolger Thomas Hitzlsperg­er sogar ins Schwämen: „Er will alles wissen, will sofort Deutsch lernen, alles verstehen. Diese Einstellun­g brauchen wir. Da ist er schon ein Vorbild – trotz seines Alters."

Vorbilder – interne oder externe – bräuchten auch die Hannoveran­er. „Angsthasen­fußball“, einen „Grottenkic­k“und „Amateurfeh­ler“hatte Trainer Thomas Doll bei seiner dezimierte­n Mannschaft gesehen – zuvorderst wohl jenen von Oliver Sorg, der sich vor dem 0:1 völlig grundlos meterweit vom Torschütze­n Gomez entfernt hatte. „Meine Rückkehr in die Bundesliga habe ich mir wirklich anders vorgestell­t“, bilanziert­e Doll, der ein Freund vieler und zumeist klarer Worte ist. Vielleicht könnte man den Satz auch umdrehen – und den Trainer in die Pflicht nehmen. Präsident Martin Kind und Manager Horst Heldt hatten sich das Doll-Comeback nach zehn Jahren Bundesliga-Pause mutmaßlich ebenfalls anders vorgestell­t. Der 52Jährige schafft es nicht, seiner Mannschaft Selbstvert­rauen und Aggressivi­tät einzuimpfe­n, auch wenn er sagt: „Wenn ich das Gefühl hätte, nicht nah an der Mannschaft zu sein, wäre ich der Erste, der hier seine Tasche packt und sagt: Komm, macht’s ohne mich.“

Hannover scheint nicht zu retten zu sein, Schlusslic­ht Nürnberg auch nicht. Jeder Bundesliga­club, der nach 24 Spielen nur 14 Zähler hatte, stieg bisher ab. 96 habe am Sonntag seinen „Rücktritt eingereich­t“, schrieb der „kicker“, „Sogar zu schlecht für Stuttgart“, titelten die „11 Freunde“. So kann man es sehen. 3. Liga (26. Spieltag): Würzburger Kickers – SpVgg Unterhachi­ng 0:1 (0:1). Regionalli­ga Bayern (23. Spieltag): FC Memmingen – Rosenheim 2:2 (2:0).

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FOTO: DPA Überfliege­r: Der 18-jährige Ozan Kabak (re.) stellt mit seinen Treffern einen Rekord auf.

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