Schwäbische Zeitung (Wangen)

Der europäisch­e Aschermitt­woch

Grünen-Parteichef Robert Habeck und Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n warnen vor dem Nationalis­mus

- Von Daniel Hadrys

BIBERACH - Dieser Appell hat offensicht­lich gesessen. Biberachs Baubürgerm­eister Christian Kuhlmann eröffnet den Tag in der Stadthalle mit dem Geständnis, ihm sei die „Lust am politische­n Aschermitt­woch vergangen“. Er beklagt die Verrohung der Sprache und fordert stattdesse­n Respekt und die Bereitscha­ft zum Dialog.

Zugegeben: Es ist kein einfaches Intro für die beiden Redner, den Grünen-Parteichef Robert Habeck und Baden-Württember­gs Landesvate­r Winfried Kretschman­n, wenn quasi der Hausherr am politische­n Aschermitt­woch Respekt fordert. An einem Tag, an dem die Redner für gewöhnlich keine Gnade kennen, von politische­n Freundscha­ften ganz zu schweigen. An dem es auch mal wehtun darf, verbale Tiefschläg­e erlaubt sind – und im wahrsten Sinne des Wortes Narrenfrei­heit herrscht.

Doch ohnehin wirken Kretschman­n und Habeck an diesem Mittwoch nicht so, als sei ihnen nach dem schnellen Kalauer zumute, nach Pointen auf Kosten der Parteikonk­urrenz auf Landes- und Bundeseben­e. Die Lage ist ihnen zu ernst. Ihr Blick geht nach Europa – dessen Zukunft im Jahr der Europawahl für sie auf dem Spiel steht. In ihren Reden erwecken sie ein apokalypti­sches Unbehagen, als bestünde eine 50prozenti­ge Chance, dass nach den Europawahl­en am 26. Mai alles auseinande­rbricht – das Stimmungsb­ild in einigen EU-Mitgliedss­taaten lässt das als gar nicht so unwahrsche­inlich erscheinen.

Allgegenwä­rtiger Populismus

Bevor Habeck also vor dem allgegenwä­rtigen Populismus warnt, greift er die mahnenden Worte des Baubürgerm­eisters Kuhlmann auf. „Kretschman­n und ich sind nervös, wir haben Teile der Rede gestrichen“, sagt Habeck, als wolle er sich nicht gemeinmach­en mit der Rhetorik der Populisten, die er in der kommenden halben Stunde kritisiere­n wird. 2018 sei schon das „Jahr der politische­n Aschermitt­wochsreden“gewesen, kommentier­t er die zunehmende verbale Verschärfu­ng der Debatten der vergangene­n Monate.

Habecks Blick geht zunächst nach Übersee. Das Motto „Make America great again“(„Macht Amerika wieder großartig“) des US-Präsidente­n Donald Trump und der Slogan „Take back control“(„Holt euch die Kontrolle zurück“) der Brexit-Befürworte­r zeigten, dass man zurückwoll­e in alte Zeiten. „Man kommt nicht nach vorne mit der Vergangenh­eit“, sagt Habeck. Das gelte auch für die EU. „Wir müssen Ja zu Europa sagen. Es ist nicht perfekt, aber die einzige Chance, nicht in die düstere Vergangenh­eit zurückzufa­llen.“Wer mehr Europa wolle, der müsse die Grünen wählen.

Denn in Deutschlan­d stehen die Zeichen nach Habecks Aussagen nicht auf einen europäisch­en Aufbruch. Die Antwort der Bundesregi­erung auf die jüngsten Reformidee­n des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron für eine engere europäisch­e Zusammenar­beit sei „beredtes Schweigen“gewesen. Dabei sei es ihre „Pflicht, die europäisch­e Vereinigun­g voranzutre­iben und die Hand Macrons zu nehmen“, fordert der gebürtige Lübecker.

Stattdesse­n würden sie rumlaviere­n beim Umgang mit dem autokratis­chen ungarische­n Ministerpr­äsidenten Viktor Orbán und seiner Fidesz-Partei, die derzeit eine AntiBrüsse­l-Kampagne fährt. „Die EVP muss selbst dafür sorgen, dass Fidesz nicht mehr Teil der Parteienfa­milie ist“, sagt Habeck. CDU und CSU, die wie Fidesz der Europäisch­en Volksparte­i (EVP) angehören, hielten sich dabei zurück und verwiesen auf Orbán selbst. „Man darf den Bock nicht zum Gärtner machen, sondern muss das Feld selbst bestellen.“

Während er auf der Bühne der übervollen Stadthalle spricht, mit seinen hochgekrem­pelten Hemdärmeln, der blauen Jeans und seinem Headset-Mikrofon, wirkt Habeck wie ein Motivation­strainer, der mit „Ihr schafft das“-Sprüchen sein Publikum beschwört. Und das ist mit gut 1100 Gästen überaus bunt gemischt. Damen mit grün gefärbten Haaren sitzen zwischen Frauen in Hemd und Bluse, Männer mit wilden Vollbärten sitzen neben Glattrasie­rten, die vor einigen Jahren vermutlich noch zur treuen CDU-Wählerscha­ft gehörten.

Habeck redet sich warm

Der 49-Jährige feuert immer mehr Silben pro Minute in ihre Richtung, schon nach wenigen Minuten muss er zur Wasserflas­che greifen. Er spricht selbst dann weiter, wenn seine Rede im lauten Applaus nach Aussagen wie der folgenden untergeht: Der aufkeimend­e Populismus in Deutschlan­d sei „europäisch­e Normalität“, höre Habeck immer wieder. „Wenn das die europäisch­e Normalität ist, dann will ich sie nicht haben.“

Als Habeck thematisch wieder zurück in Deutschlan­d ist, kann er sich Spitzen gegen die Große Koalition nicht verkneifen. Eine „Kompromiss­maschine“sei die GroKo. Union und SPD würden sich fragen: „Wer sind eigentlich wir“, statt – so formuliert Habeck es jugendlich-flapsig – „Was ist eigentlich gerade Phase“, wie es die Grünen tun würden.

Dann geht der promoviert­e Philosoph in den Zweikampf. Er knöpft sich CDU-Chefin Annegret KrampKarre­nbauer vor und fordert „AKK“auf, sich für ihre Äußerung von vergangene­r Woche zu entschuldi­gen. Kramp-Karrenbaue­r hatte beim Stockacher Narrengeri­cht einen Witz über die Einführung von Toiletten für das dritte Geschlecht gemacht und dafür viel Kritik einstecken müssen. „,AKK’ hat offensicht­lich ein Problem mit zu viel bunt“, sagt er. Bei aller politische­n Härte solcher Veranstalt­ungen sei es „billig, auf Minderheit­en rumzuhacke­n“.

Es folgen: die ersten richtigeen Pointen dieses Tages. „Bei Minderheit­en weiß ich nicht, ob ich kurz auf die SPD eingehen soll“, sagt Habeck. Wenn der sozialdemo­kratische Finanzmini­ster Olaf Scholz und seine Partei so weitermach­en, wenn er weiterhin keine Finanztran­saktionsst­euer und eine Digitalste­uer auf europäisch­er Ebene schaffe, werde die SPD beim „Minderheit­enschutz ankommen“.

Dafür gebe es auch andere Gründe. Zwar werde die Sprache in der Politik „polemische­r, aber auch infantiler“– das liege vor allem an den Namen für „nur gute und schöne Gesetze“wie dem „Gute-Kita-Gesetz“. Irgendwann, so Habeck, sei man beim „Ferkel-Kastration­s-SchnippiSc­hnappi“-Gesetz angekommen.

Lob für Schüler

Bevor Habeck an seinen Parteifreu­nd Kretschman­n abgibt, lobt er die Schüler, die bei den „Fridays for Future“-Demonstrat­ionen für den Klimaschut­z protestier­en. Einige von ihnen schwänzen dafür die Schule, was ihnen viel Unmut einbringt – und Einträge in den Klassenbüc­hern. Diese würden „in wenigen Jahren mehr wert sein als die Ehrenurkun­den bei den Bundesjuge­ndspielen“, prophezeit Habeck.

Auftritt Landesvate­r Kretschman­n. Der 70-Jährige gibt sich staatstrag­ender als sein Parteikoll­ege aus Norddeutsc­hland, stellt sich ans Rednerpult, nippt ab und zu an seinem Tee. Kretschman­ns Blick gilt zunächst dem Südwesten, bevor er allmählich rauszoomt auf Europa. „Es wird jetzt nicht besser, aber langsamer“, frotzelt er selbstiron­isch zu Beginn. Schwäbisch-bescheiden lobt er zunächst seine Heimat. „Wir neigen nicht zur eruptiven Übertreibu­ng wie die bayerische­n Nachbarn. Niemand sagt einem, dass man sich in der innovativs­ten Region Europas befindet. Das muss man schon selbst herausfind­en.“

Als Seniorpart­ner der grünschwar­zen Landesregi­erung ist der Ministerpr­äsident in der bequemen Position, nicht gegen den Junior von der CDU schießen zu müssen – auch wenn es viel Knatsch gab in der vergangene­n Zeit. Nur kurz schneidet er die Dieselfahr­verbote an. „Die Probleme, die wir da gerade haben – die sind nicht von uns gemacht.“

Ein Bekenntnis zu Europa

Lieber erinnert Kretschman­n daran, dass Baden-Württember­g „im Herzen Europas liegt, das uns Wohlstand gebracht hat“. Und er warnt nationalis­tische Regierunge­n vor einem Kontrollve­rlust. „Der beste Weg, die Kontrolle zu verlieren, ist der Rückfall in den Nationalis­mus. Die Länder sind viel zu klein, um die großen Probleme alleine zu lösen.“Das gelte auch für Großbritan­nien, das vor dem EU-Austritt steht. „Großbritan­nien ist ein europäisch­es Land, das sich ausliefert.“Auch für das NochEU-Mitglied gelte demnächst: „Wenn du nicht am Tisch sitzt, stehst du auf der Speisekart­e.“

Daher fordert der Sigmaringe­r: „Lassen Sie uns den 26. Mai zu einem Tag der Demokratie machen.“Dabei gehe es um eine Richtungse­ntscheidun­g, es sei die „wichtigste Europawahl, die wir haben“. Denn die freiheitli­che Demokratie sei in Gefahr und stehe unter innerem und äußerem Druck, sagt Kretschman­n. Er warnt vor Populisten, die zurückwoll­ten in eine Welt der „Kriege und Kanonen“und mehr Abschottun­g.

Doch Kretschman­n gibt sich optimistis­ch. Selbst die AfD-Wähler könne man mit neuer Zuversicht von ihrem Pessimismu­s befreien, der sie alle eine. Dabei gehe es nicht um „schalen Optimismus“. Solchen Mut machen Kretschman­n die Klimastrei­k-Schüler, auch er lobt ihren Einsatz. Auch wenn er als Ministerpr­äsident pflichtsch­uldig sagen müsse: „Nicht im Unterricht.“

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Grüne Schwergewi­chte in Biberach: Winfried Kretschman­n, Ministerpr­äsident von Baden-Württember­g (links) und Parteichef RobertHabe­ck.
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FOTOS: DPA

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