Prozessauftakt mit Fragwürdigkeiten
Asylbewerber steht wegen versuchten Mordes in Isny vor dem Landgericht
ISNY - Wegen dem Vorwurf des versuchten, heimtückischen Mordes muss sich seit Donnerstag ein junger Asylbewerber aus Afghanistan vor dem Landgericht Ravensburg verantworten, der zuletzt seinen Wohnsitz in Isny hatte. Er soll einen Mitbewohner mit einer 14 Zentimeter langen Messerklinge in Tötungsabsicht verletzt haben.
Außerdem wird ihm in einem zweiten Fall vorsätzliche Körperverletzung vorgeworfen: Bei einem handgreiflichen Streit auf dem Isnyer Kinder- und Heimatfest wegen Geldschulden erlitt ein Opfer unter anderem einen Nasenbeinbruch und eine Platzwunde am Auge.
Der erste Prozesstermin dauerte nur gut 15 Minuten. Gleichwohl warf schon die Verlesung der Anklageschrift Fragen auf. Deren Klärung im weiteren Prozessverlauf ist von Interesse, weil Antworten – so sie gefunden werden – Auswirkungen hätten auf das Strafmaß bei einer Verurteilung; vor allem, ob die Staatsanwaltschaft das Vorliegen des Mordmerkmals „Heimtücke“hinreichend belegen kann.
Verhandelt wird vor der zweiten Großen Strafkammer des Landgerichts Ravensburg, der Jugendkammer. Bereits mit dem Prozessauftakt steht – als weitere Frage – im Raum, wie alt der Angeklagte ist. Auch ein weiterer Faktor, der das Strafmaß beeinflussen kann. In den Gerichtsakten steht als Geburtsdatum der 31. Mai 1998, er sei aber genau ein Jahr älter, erst am gleichen Tag 1999 geboren, bekundete der Angeklagte. Der Vorsitzende Richter bestätigte, er habe gehört, dass es dahingehend „was bei der Ausländerbehörde“gegeben habe. Durch einen Dolmetscher ließ der Angeklagte außerdem wissen, er sei ledig, afghanischer Staatsbürger, in Kundus geboren und habe keinen Beruf erlernt.
Laut Vortrag der Staatsanwältin attackierte der junge Mann am 13. September 2018 seinen Mitbewohner, mit dem er bis dahin ein „eher freundschaftliches Verhältnis“gepflegt habe, in der gemeinsamen Wohnung in Isny „vermutlich“mit einem Küchenmesser. Mittels einer 14 Zentimeter langen Klinge habe er seinem Opfer „unterhalb des Schlüsselbeines eine drei bis vier Zentimeter lange und einen Zentimeter tiefe Stichwunde“zugefügt. Zu den Folgen betonte die Staatsanwältin: „Zu keiner Zeit bestand Lebensgefahr.“
Im Detail zugetragen hat sich nach ihren Worten folgendes: Das Opfer habe auf einem Sofa im gemeinsam genutzten Wohnzimmer gelegen und ein Video auf einem Handy angeschaut. Währenddessen sei der Angeklagte im Zimmer unruhig auf und ab gegangen. Auf die Frage, „was denn los ist“, habe dieser unvermittelt zu dem Messer gegriffen, den Liegenden „von hinten“attackiert und ihm – als dieser eine „Abwehrhaltung“einnahm – ebenfalls „von hinten“eine Decke um den Hals geschlungen und versucht, sein Opfer zu „erdrosseln“. Nach Schlägen mit dem Handy zur Verteidigung sei dem Angegriffenen die Flucht zum Vermieter gelungen, der im gleichen Haus wohnt.
Die Staatsanwältin fasste zusammen, der junge Mann habe „heimtückisch versucht, einen Menschen zu töten“, sie erhebe Anklage „wegen versuchtem Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung“. Die Attacke auf dem Kinderfest wertete sie im zweiten Anklagepunkt als „vorsätzliche Körperverletzung“.
Rechtsmedizinisches Gutachten liegt dem Gericht noch nicht vor
Die Beweisaufnahme im Prozess wird ergeben müssen, wie sich das zweimal von der Staatsanwältin apostrophierte „von hinten“bei einem zunächst noch Liegenden zugetragen haben könnte – und ob sich damit der Vorwurf der Heimtücke als Mordmerkmal untermauern lässt.
Eine Rolle spielen dürfte außerdem ein rechtsmedizinisches Gutachten, das dem Gericht noch nicht vorliegt: „Es war mir für die dritte Januarwoche versprochen, aber ich habe es bis heute nicht – ich habe noch nie erlebt, dass ich Tag für Tag vertröstet werde“, entschuldigte sich der Vorsitzende Richter, bevor er eine „Pause“bis zum 13. März verkündete. Grund hierfür war wiederum, dass die Rechtsvertreterin eines Nebenklägers entschuldigt nicht erscheinen konnte.
Insgesamt hat das Landgericht sechs Verhandlungstage angesetzt. Der erste Termin am 7. März musste dem Vernehmen nach aus verfahrensrechtlichen Gründen stattfinden, trotz der absehbar kurzen Dauer. Der Angeklagte sitzt derzeit in der Justizvollzugsanstalt Ravensburg in Untersuchungshaft. Sein Pflichtverteidiger kündigte an, dass sein Mandant während des Verfahrens Angaben machen und sich zum Tathergang äußern werde.