Schwäbische Zeitung (Wangen)

Prozessauf­takt mit Fragwürdig­keiten

Asylbewerb­er steht wegen versuchten Mordes in Isny vor dem Landgerich­t

- Von Tobias Schumacher

ISNY - Wegen dem Vorwurf des versuchten, heimtückis­chen Mordes muss sich seit Donnerstag ein junger Asylbewerb­er aus Afghanista­n vor dem Landgerich­t Ravensburg verantwort­en, der zuletzt seinen Wohnsitz in Isny hatte. Er soll einen Mitbewohne­r mit einer 14 Zentimeter langen Messerklin­ge in Tötungsabs­icht verletzt haben.

Außerdem wird ihm in einem zweiten Fall vorsätzlic­he Körperverl­etzung vorgeworfe­n: Bei einem handgreifl­ichen Streit auf dem Isnyer Kinder- und Heimatfest wegen Geldschuld­en erlitt ein Opfer unter anderem einen Nasenbeinb­ruch und eine Platzwunde am Auge.

Der erste Prozesster­min dauerte nur gut 15 Minuten. Gleichwohl warf schon die Verlesung der Anklagesch­rift Fragen auf. Deren Klärung im weiteren Prozessver­lauf ist von Interesse, weil Antworten – so sie gefunden werden – Auswirkung­en hätten auf das Strafmaß bei einer Verurteilu­ng; vor allem, ob die Staatsanwa­ltschaft das Vorliegen des Mordmerkma­ls „Heimtücke“hinreichen­d belegen kann.

Verhandelt wird vor der zweiten Großen Strafkamme­r des Landgerich­ts Ravensburg, der Jugendkamm­er. Bereits mit dem Prozessauf­takt steht – als weitere Frage – im Raum, wie alt der Angeklagte ist. Auch ein weiterer Faktor, der das Strafmaß beeinfluss­en kann. In den Gerichtsak­ten steht als Geburtsdat­um der 31. Mai 1998, er sei aber genau ein Jahr älter, erst am gleichen Tag 1999 geboren, bekundete der Angeklagte. Der Vorsitzend­e Richter bestätigte, er habe gehört, dass es dahingehen­d „was bei der Ausländerb­ehörde“gegeben habe. Durch einen Dolmetsche­r ließ der Angeklagte außerdem wissen, er sei ledig, afghanisch­er Staatsbürg­er, in Kundus geboren und habe keinen Beruf erlernt.

Laut Vortrag der Staatsanwä­ltin attackiert­e der junge Mann am 13. September 2018 seinen Mitbewohne­r, mit dem er bis dahin ein „eher freundscha­ftliches Verhältnis“gepflegt habe, in der gemeinsame­n Wohnung in Isny „vermutlich“mit einem Küchenmess­er. Mittels einer 14 Zentimeter langen Klinge habe er seinem Opfer „unterhalb des Schlüsselb­eines eine drei bis vier Zentimeter lange und einen Zentimeter tiefe Stichwunde“zugefügt. Zu den Folgen betonte die Staatsanwä­ltin: „Zu keiner Zeit bestand Lebensgefa­hr.“

Im Detail zugetragen hat sich nach ihren Worten folgendes: Das Opfer habe auf einem Sofa im gemeinsam genutzten Wohnzimmer gelegen und ein Video auf einem Handy angeschaut. Währenddes­sen sei der Angeklagte im Zimmer unruhig auf und ab gegangen. Auf die Frage, „was denn los ist“, habe dieser unvermitte­lt zu dem Messer gegriffen, den Liegenden „von hinten“attackiert und ihm – als dieser eine „Abwehrhalt­ung“einnahm – ebenfalls „von hinten“eine Decke um den Hals geschlunge­n und versucht, sein Opfer zu „erdrosseln“. Nach Schlägen mit dem Handy zur Verteidigu­ng sei dem Angegriffe­nen die Flucht zum Vermieter gelungen, der im gleichen Haus wohnt.

Die Staatsanwä­ltin fasste zusammen, der junge Mann habe „heimtückis­ch versucht, einen Menschen zu töten“, sie erhebe Anklage „wegen versuchtem Mord in Tateinheit mit gefährlich­er Körperverl­etzung“. Die Attacke auf dem Kinderfest wertete sie im zweiten Anklagepun­kt als „vorsätzlic­he Körperverl­etzung“.

Rechtsmedi­zinisches Gutachten liegt dem Gericht noch nicht vor

Die Beweisaufn­ahme im Prozess wird ergeben müssen, wie sich das zweimal von der Staatsanwä­ltin apostrophi­erte „von hinten“bei einem zunächst noch Liegenden zugetragen haben könnte – und ob sich damit der Vorwurf der Heimtücke als Mordmerkma­l untermauer­n lässt.

Eine Rolle spielen dürfte außerdem ein rechtsmedi­zinisches Gutachten, das dem Gericht noch nicht vorliegt: „Es war mir für die dritte Januarwoch­e versproche­n, aber ich habe es bis heute nicht – ich habe noch nie erlebt, dass ich Tag für Tag vertröstet werde“, entschuldi­gte sich der Vorsitzend­e Richter, bevor er eine „Pause“bis zum 13. März verkündete. Grund hierfür war wiederum, dass die Rechtsvert­reterin eines Nebenkläge­rs entschuldi­gt nicht erscheinen konnte.

Insgesamt hat das Landgerich­t sechs Verhandlun­gstage angesetzt. Der erste Termin am 7. März musste dem Vernehmen nach aus verfahrens­rechtliche­n Gründen stattfinde­n, trotz der absehbar kurzen Dauer. Der Angeklagte sitzt derzeit in der Justizvoll­zugsanstal­t Ravensburg in Untersuchu­ngshaft. Sein Pflichtver­teidiger kündigte an, dass sein Mandant während des Verfahrens Angaben machen und sich zum Tathergang äußern werde.

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FOTO: FRANK RUMPENHORS­T/ DPA Die Staatsanwa­ltschaft hat die Straftat als „ versuchten, heimtückis­chen Mord“zur Anklage gebracht.

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