Schwäbische Zeitung (Wangen)

Prominente Hilfe für junge Klimaschüt­zer

12 000 Wissenscha­ftler stellen sich auf die Seite der demonstrie­renden Schüler

- Von Igor Steinle

BERLIN (dpa/epd) - Kurz vor dem Höhepunkt der internatio­nalen Schulstrei­ks für mehr Klimaschut­z haben sich Tausende Wissenscha­ftler hinter die Initiative „Fridays for Future“gestellt. Mehr als 12 000 Wissenscha­ftler aus Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz unterstütz­en die Klimabeweg­ung. Am Freitag soll eine Liste der Namen den jungen Umweltakti­visten übergeben werden – weltweit werden an diesem Tag mehr als 1200 Demonstrat­ionen von Schülern erwartet.

„Ärzte haben die Aufgabe, Leben zu schützen und auf Gesundheit­sgefahren hinzuweise­n. Die Klimakrise ist die größte Gesundheit­sgefahr“, warnte Unterstütz­er Eckart von Hirschhaus­en, Arzt und Wissenscha­ftsjournal­ist, am Dienstag in Berlin, wo er mit Mitstreite­rn die Vereinigun­g „Scientists for Future“(Wissenscha­ftler für die Zukunft) vorstellte. „Viele denken, ein Grad, zwei Grad, drei Grad das macht keinen Unterschie­d. Als Arzt kann ich ihnen sagen, es macht einen großen Unterschie­d, ob ich 41 Grad oder 43 Grad Fieber habe. Das eine ist mit dem Leben vereinbar. Das andere nicht“, sagte der TV-Star.

Die Organisato­ren von „Fridays for Future“(Freitage für die Zukunft) wollen nun so umfassende internatio­nale Schulstrei­ks auf die Beine stellen wie noch nie zuvor. Bislang sind einer Liste des Netzwerks zufolge Kundgebung­en in mehr als 1200 Städten in 92 Ländern geplant. In Deutschlan­d soll es mehr als 180 Proteste geben. Vorbild ist die schwedisch­e Schülerin Greta Thunberg, die seit vielen Wochen freitags für den Kampf gegen den Klimawande­l demonstrie­rt, statt zur Schule zu gehen. Vor der Europawahl im Mai wollen die deutschen Köpfe der Initiative den Klimaschut­z nach vorne stellen: „Wir wollen die Europawahl zur Klimawahl machen“, sagte Jakob Blasel von „Fridays for Future“.

Für die Debatte, ob Schüler während der Unterricht­szeit demonstrie­ren sollten oder in der Freizeit, zeigte Hirschhaus­en kein Verständni­s. Er könne sich an keinen Streik erinnern, der in der Freizeit stattgefun­den habe. FDP-Chef Christian Lindner musste zuletzt in sozialen Netzwerken Kritik einstecken für seine Äußerung, dass man von Kindern und Jugendlich­en nicht erwarten könne, die Zusammenhä­nge der Klimakrise zu verstehen. Das sei eine Sache für Profis. „Wir sind die Profis und sagen: Die junge Generation hat Recht“, sagte Volker Quaschning von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Bis zum Jahr 2030 solle die Kohlenutzu­ng fast vollständi­g beendet sein. Stattdesse­n auf Erdgas zu setzen, hält er für falsch. Fossile müssten direkt durch erneuerbar­e Energien ersetzt werden.

Seitens der Opposition gab es am Mittwoch viel Lob für die jungen Klimaschüt­zer, unter anderem von Linke-Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch und Katrin Göring-Eckardt, der Vorsitzend­en der Grünen-Fraktion. Die SPD-Vorsitzend­e Andrea Nahles verwies auf das Klimaschut­z-Gesetz, dass ihre Partei im Koalitions­vertrag durchgeset­zt habe. Die Schüler von „Fridays for Future“freuten sich vor allem über die Unterstütz­ung durch die Forscher. „Wir hören jetzt auch von der Wissenscha­ft, dass es Zeit ist, zu handeln“, sagte die Schülerin Luisa Neubauer. Die Politik habe sich noch nicht bewegt. „Wir werden weiter streiken“, sagte sie.

BERLIN - Seit drei Monaten bestreiken Schüler freitags den Unterricht, von Berlin bis Biberach, von Sydney bis Ravensburg. Unter dem Motto „Fridays for future“fordern sie deutlich strengeren Klimaschut­z. Diese Woche planen sie sogar eine globale Megademo: In mehr als 1200 Städten verteilt auf 92 Länder sind Kundgebung­en geplant. Mit 180 finden dabei die meisten in Deutschlan­d statt. Entsteht hier eine neue Umweltbewe­gung?

Fragt man bei den Demonstran­ten nach, besteht daran kein Zweifel. „Ich erlebe meine Generation als extrem politisch“, sagt Luisa Neubauer. Die 22-Jährige ist eine der Hauptiniti­atorinnen der Klimastrei­ks in Deutschlan­d und wird auch gerne mal die deutsche Greta Thunberg genannt. Die Schwedin, 16 Jahre alt, war die erste, die vergangene­n Sommer vor dem Stockholme­r Parlament anfing, gegen die Klimapolit­ik ihrer Regierung zu protestier­en. Begünstigt vom Dürresomme­r breitete sich die Bewegung weltweit aus.

Parallelen zu 1970ern und 1980ern

Frank Uekötter, Umwelthist­oriker im britischen Birmingham, sagt: „Es gibt ein Rumoren in der Gesellscha­ft, da fühlt man sich ein bisschen an die späten 1970er-, frühen 80er-Jahre erinnert.“Damals prägten Zehntausen­de, die gegen Atomkraft und Waldsterbe­n auf die Straße zogen, das Bild Deutschlan­ds als Ökovorreit­er. Heute schaffen es Bilder von der Räumung des Hambacher Forsts in die „New York Times“. Uekötter glaubt: Wenn man in einem Jahrzehnt zurückblic­kt, wird man vielleicht erkennen, dass hier gerade etwas begonnen hat.

Einer, den das Engagement der „Generation Z“nicht überrascht, ist Klaus Hurrelmann. Zu ihr zählen die zwischen 1995 und 2010 Geborenen. Hurrelmann ist Jugendfors­cher an der Berliner Hertie School of Governance und Mitautor der Shell-Studien, die regelmäßig die Befindlich­keiten junger Menschen untersuche­n. „Wir konnten das vorhersehe­n“, sagt er der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die heutige Jugend ist laut Studien so politisch wie zuletzt vor der Wiedervere­inigung. Ihr politische­s Interesse sank zwar zwischen 1991 und 2002 von 57 Prozent auf 34 Prozent. 2015 jedoch stieg es wieder auf einen Wert von 46 Prozent an. Hurrelmann: „Wir erwarten, dass der Wert weiter ansteigen wird.“

Seine Erklärung dafür ist, plump formuliert: Die Heranwachs­enden haben heute keine anderen Sorgen mehr. So war die sogenannte „Generation Y“– die Alterskoho­rte, die den Demonstran­ten vorausgeht – während ihrer Jugend eingeschüc­htert von hohen Arbeitslos­enzahlen und einer schlechten Wirtschaft­slage. „Junge Menschen sind wie Seismograp­hen. Wenn sie das Gefühl haben, sie können nicht ins Berufslebe­n eintreten, bleibt wenig Kraft für politische­s Engagement“, sagt Hurrelmann. Angesichts des demografis­chen Wandels und Fachkräfte­mangels sei sich die jetzige Generation bewusst, dass sie sich keine Sorgen machen müsse. „Das macht sie frei.“Am Konsumverh­alten lässt sich die Politisier­ung nicht erkennen. Die Unternehme­nsberatung OC&C hat jüngst 1024 Angehörige der Generation Z befragt, ob sie beim Einkaufen auf unnötige Verpackung­en oder Recyclingf­ähigkeit achten. Das Ergebnis: In allen Punkten sind die Werte bei den Vorgängerg­eneratione­n höher. Auch Neubauer wurde dafür angefeinde­t, dass auf ihrem Instagram-Profil Bilder CO2-lastiger Fernreisen zu sehen sind. Das Mitglied der Grünen wehrt sich dagegen, Umweltschu­tz ins Private abzuschieb­en und fordert stattdesse­n Gesetze, die umweltscho­nendes Verhalten fördern.

Harmonisch mit den Eltern

Schuld am Konsumverh­alten ihrer Generation seien die, die die Welt so gemacht haben, wie sie heute ist: die Erwachsene­n. „Das ist die kulturelle Prägung, die uns in die Wiege gelegt wurde“, sagt Neubauer.

Tatsächlic­h ist dieser Vorwurf zentral für die Bewegung. „Wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“, skandieren die Schüler auf den Demonstrat­ionen. Schwelt hier ein Generation­enkonflikt? Neubauer sieht es so, Hurrelmann ebenfalls. Der Wissenscha­ftler ist gleichzeit­ig verwundert: „Das ist deswegen so bemerkensw­ert, weil die Beziehung zu den Eltern bei dieser Generation sonst harmonisch ist.“Dass das kein Widerspruc­h sein muss, könnte sich kommenden Freitag zeigen. Viele Eltern wollen unter dem Motto „Parents for future“auch an den Demonstrat­ionen teilnehmen.

 ?? FOTO: DPA ?? Ein Selfie mit den Schülern: TV-Star Eckart von Hirschhaus­en (rechts), Arzt und Wissenscha­ftsjournal­ist, in Berlin mit den Schülern Luisa Neubauer (links) und Jakob Blasel sowie Karen Helen Wiltshire, der stellvertr­etenden Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresfors­chung.
FOTO: DPA Ein Selfie mit den Schülern: TV-Star Eckart von Hirschhaus­en (rechts), Arzt und Wissenscha­ftsjournal­ist, in Berlin mit den Schülern Luisa Neubauer (links) und Jakob Blasel sowie Karen Helen Wiltshire, der stellvertr­etenden Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresfors­chung.
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FOTO: DPA Schüler bei einer „Fridays for Future“-Demo für mehr Klimaschut­z am 1. März in Stuttgart.

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