Schwäbische Zeitung (Wangen)

Die nächste Klatsche für Theresa May

Premiermin­isterin verliert Brexit-Abstimmung – Nordirland-Frage entscheide­nd

- Von Sebastian Borger

LONDON - Draußen peitschte eiskalter Märzregen die Demonstran­ten beider Seiten. Im Plenarsaal des Unterhause­s nahm Theresa May am Dienstag vor halbleeren Bänken einen zweiten Anlauf, die Zustimmung des Parlaments für ihr EU-Austrittsp­aket einzuholen. Die Abgeordnet­en seien konfrontie­rt mit einer klaren Alternativ­e, krächzte die britische Premiermin­isterin mit heiserer Stimme: „Entweder wir verabschie­den diesen guten Deal, oder der Brexit könnte uns verlorenge­hen.“Das scheinen die Hardliner in ihren eigenen Reihen nicht zu fürchten: Sie verweigert­en May die Gefolgscha­ft. Die Regierungs­vorlage wurde mit 391 zu 242 Stimmen abgelehnt.

Mitte Januar hatten die Parlamenta­rier der konservati­ven Minderheit­sregierung eine Niederlage von historisch­em Ausmaß zugefügt: Sie lehnten den seit Mitte November ausgehande­lt vorliegend­en Austrittsv­ertrag sowie die politische Zukunftser­klärung mit einer Mehrheit von 230 Stimmen ab. Am Dienstag erklärten mehrere damalige ToryRebell­en, sie hätten ihre Meinung geändert und würden nun die Regierungs­chefin unterstütz­en. Die Niederlage fiel deutlich geringer aus. Für May und ihr Team ist es dennoch ein schwerer Rückschlag.

Zum Abschluss ihrer achtwöchig­en Versuche, die EU zu weiteren Zugeständn­issen zu bewegen, war May am späten Montagnach­mittag nach Straßburg gereist. Nach ihrem zweistündi­gen Gespräch mit EUKommissi­onspräside­nt Jean-Claude Juncker gaben beide einen Zusatz zum vereinbart­en Austrittsp­aket und zur politische­n Zukunftser­klärung bekannt.

Darin geht es erneut um die Auffanglös­ung für Irland (Backstop), die EU-Gegner in der konservati­ven Partei sowie bei der nordirisch­en Unionisten­partei DUP zu einem Problem erklärt haben. Der Backstop soll die Offenhaltu­ng der inneririsc­hen Grenze ermögliche­n – und so den Friedenspr­ozess in Nordirland sichern. Dieser war im Karfreitag­sabkommen 1998 besiegelt worden. Als einzige Partei Nordirland­s hatte damals die DUP ihre Zustimmung verweigert. Wie fragil die Situation in der einstigen Bürgerkrie­gsprovinz bis heute ist, demonstrie­rten vergangene Woche mehrere Briefbombe­n an Flughäfen und Bahnhöfen in London sowie an der Uni Glasgow. Am Dienstag bekannte sich dazu eine angebliche Nachfolgeg­ruppe der irisch-republikan­ischen Terrortrup­pe IRA.

Zollunion auf Dauer?

Falls sich beide Seiten bis Ende der Übergangsp­eriode (wohl Dezember 2020) nicht auf die zukünftige wirtschaft­liche Zusammenar­beit geeinigt haben, würde dem Backstop zufolge Großbritan­nien in der Zollunion mit der EU verharren. Dass dies kein Dauerzusta­nd sein würde, haben zwar beide Seiten immer wieder beteuert. Dennoch beharrten die DUP sowie konservati­ve BrexitHard­liner auf einer zeitlichen Einschränk­ung der Auffanglös­ung. Die ist auch in der neuen Vereinbaru­ng nicht enthalten – wohl aber Regelungen für die Anrufung eines neutralen Schiedsger­ichts für den Fall, dass beide Seiten zu keiner Einigung kommen.

Da auch die Labour-Opposition unter Jeremy Corbyn und die schottisch­en und walisische­n Nationalis­ten sowie Liberaldem­okraten und Grüne dem Deal ihre Zustimmung verweigert­en, muss das Unterhaus in den kommenden Tagen neue Entscheidu­ngen über die Zukunft des Landes treffen. Im parlamenta­rischen Fahrplan ist für Mittwoch eine Debatte und Abstimmung über den sogenannte­n No Deal vorgesehen, also das chaotische Ausscheide­n ohne Vereinbaru­ng. Entscheide­t sich das Unterhaus mehrheitli­ch dagegen, steht am Donnerstag das Votum über eine Verschiebu­ng des EU-Austritts Großbritan­niens an.

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FOTO: HOUSE OF COMMONS/PA WIRE/DPA Der nächste Versuch ist gescheiter­t: Theresa May bei ihrer Rede nach der Abstimmung im britischen Unterhaus.

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