Verteidigung will weniger, Staatsanwaltschaft mehr
Berufungsverfahren im Fall der toten Wilhelmsdorferin ist am Mittwoch im schweizerischen Frauenfeld
WILHELMSDORF/FRAUENFELD Gegensätzlicher könnte ein Berufungsverfahren nicht sein. Gleich beide Parteien sind im „Fall der toten Wilhelmsdorferin“in Berufung gegangen: Die Verteidigung will eine niedrigere Haftstrafe, die Staatsanwaltschaft will eine höhere. Am Mittwoch, 13. März, treffen um 14 Uhr die Parteien in der zweiten Instanz vor dem Obergericht Thurgau in Frauenfeld (Schweiz) zusammen. Ein Urteil ist an diesem Tag allerdings noch nicht zu erwarten.
Wie die „Schwäbische Zeitung“berichtete („Böse Geister“, 10. März 2018), hatte das Bezirksgericht Frauenfeld den 51-jährigen Klaus S. vor einem Jahr zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und Schmerzensgeld wegen der eventualvorsätzlichen Tötung seiner Tochter verurteilt. Nach Schweizer Recht liegt dann ein Eventualvorsatz vor, wenn ein Täter bei seinem Handeln den Tod als möglich erachtet und ihn billigend in Kauf nimmt, aber den Tod nicht direkt zum Ziel hat.
„Mit absoluter brutaler Gewalt“
In der Verhandlung vor dem Bezirksgericht Frauenfeld im vergangenen Jahr wurde öffentlich, welches Martyrium das Opfer Vanessa W. aus Wilhelmsdorf in den späten Abendstunden des 2. Januar 2016 durchmachen musste. In der Gerichtsverhandlung sind Bilder eines von Hämatomen übersäten Leichnams gezeigt worden. Der Vater hatte der kleinwüchsigen und lernschwachen Frau eine „Massage“mit den Füßen gegeben, um ihr die „bösen Geister“auszutreiben. In einem Video demonstrierte Klaus S., wie er vorgegangen war. „Mit absoluter brutaler Gewalt“, sagt Gerichtspräsident Rudolf Fuchs bei der Urteilsverkündung schließlich. Er sprach von „Misshandlungen“. Die 25-Jährige ist schließlich an den zahlreichen innerlichen Verletzungen gestorben.
Am Ende waren es schließlich die neun Jahre, die keine der beiden Parteien stehen lassen will. Der Angeklagte akzeptierte zwar das Urteil des Bezirksgerichts im Schuldpunkt und auch das Schmerzensgeld. Allerdings beantragte er eine niedrigere Haftstrafe mit 4,5 Jahren und hofft jetzt auf Milde. Im Prozess am 9. März 2018 argumentierte Verteidiger Daniel Christen, dass es sich bei dem Fall um eine fahrlässige Tötung handele. Er plädierte damals auf eine dreijährige Freiheitsstrafe.
Antrag auf 14 Jahre Haft
Der Staatsanwaltschaft Kreuzlingen geht das Urteil nicht weit genug und sie fordert eine Freiheitsstrafe von 14 Jahren und einen zusätzlichen Schuldspruch wegen „Schändung oder Störung des Totenfriedens“, wie es auf Nachfrage beim Obergericht Thurgau heißt. Schon in der ersten Instanz plädierte die Staatsanwaltschaft auf eine Freiheitsstrafe von 14 Jahren, weil sich Klaus S. zusätzlich der Schändung und der Störung des Totenfriedens schuldig gemacht hat.
Wie aus der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft hervorging, soll Klaus S. den leblosen Körper mit den Fingern penetriert haben. Die Staatsanwaltschaft sah darin eine sexuelle Handlung an einer zum Widerstand unfähigen Person. Im Prozess vor einem Jahr betonte der 51Jährige, er habe nicht aus sexuellen Motiven gehandelt. Er habe so das erste Chakra „stimulieren“wollen, um sie wiederzubeleben. Das entsprechende Wissen habe er „aus einem alten Yoga-Buch“. Im Prozess wurde deutlich, dass der 51-Jährige einen deutlichen Hang zum Okkulten hat. Außerdem sah die Staatsanwaltschaft den Tatbestand der Störung des Totenfriedens als erfüllt an, da der Mann seiner Tochter laut damaliger Anklage nach Einsetzen der Totenstarre den Kiefer aufgebrochen und einen Holzknebel zwischen die Zähne geklemmt hatte.
Bei dem Berufungsverfahren vor dem Obergericht in Frauenfeld wird es jetzt also um diese Punkte gehen. Es wird erneut Klaus S. befragt, außerdem wird es mehrere Vorträge geben. Das Urteil wird an diesem Tag aber noch nicht fallen. Das wird erst im Nachgang der folgenden Tage gefällt und dann schließlich bekannt gegeben.
Bei dem Fall handelte es sich um einen der spektakulärsten Prozesse in Frauenfeld. Da das Verbrechen in der Schweiz bereits im Januar 2016 nach der Tat als „Fall Wagenhausen“weite Kreise gezogen hat, waren in der Verhandlung vor dem Bezirksgericht im März 2018 Medienvertreter aus der ganzen Schweiz erschienen und berichteten in Zeitung, Radio, Fernsehen und Internet.
Aufsehen in Schweiz und Region
Auch in Oberschwaben hat der „Fall der toten Wilhelmsdorferin“für großes Aufsehen gesorgt, als 2016 bekannt wurde, dass es sich bei der toten Frau in der Schweiz um eine Wilhelmsdorferin handelt und der Vater aus Leutkirch kommt. Angeblich sollen sich die Wilhelmsdorferin und ihr Vater erst zwei Jahre vorher kennengelernt haben. Um gemeinsam Silvester zu feiern, sind damals Klaus S. und Vanessa W. zu einem Freund nach Wagenhausen gefahren, den sie aus der Mittelalterszene kennen. In dessen Wohnung hat auch die Tat stattgefunden.
Der Bekannte der Familie wurde bereits im Februar 2016 aus der Untersuchungshaft entlassen. Wie die Kantonspolizei Thurgau damals mitteilte, hatte sich der Tatverdacht der vorsätzlichen Tötung gegen ihn nicht erhärtet. Er war verdächtigt worden, an dem Verbrechen beteiligt gewesen zu sein. Mittlerweile wohnt er nicht mehr in Wagenhausen.
Der Berufungsprozess am Obergericht Frauenfeld im Kanton Thurgau startet am Mittwoch, 13. März, um 14 Uhr. Die „Schwäbische Zeitung“wird von dem Verfahren in der Schweiz aktuell berichten.