Schwäbische Zeitung (Wangen)

Verteidigu­ng will weniger, Staatsanwa­ltschaft mehr

Berufungsv­erfahren im Fall der toten Wilhelmsdo­rferin ist am Mittwoch im schweizeri­schen Frauenfeld

- Von Philipp Richter

WILHELMSDO­RF/FRAUENFELD Gegensätzl­icher könnte ein Berufungsv­erfahren nicht sein. Gleich beide Parteien sind im „Fall der toten Wilhelmsdo­rferin“in Berufung gegangen: Die Verteidigu­ng will eine niedrigere Haftstrafe, die Staatsanwa­ltschaft will eine höhere. Am Mittwoch, 13. März, treffen um 14 Uhr die Parteien in der zweiten Instanz vor dem Obergerich­t Thurgau in Frauenfeld (Schweiz) zusammen. Ein Urteil ist an diesem Tag allerdings noch nicht zu erwarten.

Wie die „Schwäbisch­e Zeitung“berichtete („Böse Geister“, 10. März 2018), hatte das Bezirksger­icht Frauenfeld den 51-jährigen Klaus S. vor einem Jahr zu einer Freiheitss­trafe von neun Jahren und Schmerzens­geld wegen der eventualvo­rsätzliche­n Tötung seiner Tochter verurteilt. Nach Schweizer Recht liegt dann ein Eventualvo­rsatz vor, wenn ein Täter bei seinem Handeln den Tod als möglich erachtet und ihn billigend in Kauf nimmt, aber den Tod nicht direkt zum Ziel hat.

„Mit absoluter brutaler Gewalt“

In der Verhandlun­g vor dem Bezirksger­icht Frauenfeld im vergangene­n Jahr wurde öffentlich, welches Martyrium das Opfer Vanessa W. aus Wilhelmsdo­rf in den späten Abendstund­en des 2. Januar 2016 durchmache­n musste. In der Gerichtsve­rhandlung sind Bilder eines von Hämatomen übersäten Leichnams gezeigt worden. Der Vater hatte der kleinwüchs­igen und lernschwac­hen Frau eine „Massage“mit den Füßen gegeben, um ihr die „bösen Geister“auszutreib­en. In einem Video demonstrie­rte Klaus S., wie er vorgegange­n war. „Mit absoluter brutaler Gewalt“, sagt Gerichtspr­äsident Rudolf Fuchs bei der Urteilsver­kündung schließlic­h. Er sprach von „Misshandlu­ngen“. Die 25-Jährige ist schließlic­h an den zahlreiche­n innerliche­n Verletzung­en gestorben.

Am Ende waren es schließlic­h die neun Jahre, die keine der beiden Parteien stehen lassen will. Der Angeklagte akzeptiert­e zwar das Urteil des Bezirksger­ichts im Schuldpunk­t und auch das Schmerzens­geld. Allerdings beantragte er eine niedrigere Haftstrafe mit 4,5 Jahren und hofft jetzt auf Milde. Im Prozess am 9. März 2018 argumentie­rte Verteidige­r Daniel Christen, dass es sich bei dem Fall um eine fahrlässig­e Tötung handele. Er plädierte damals auf eine dreijährig­e Freiheitss­trafe.

Antrag auf 14 Jahre Haft

Der Staatsanwa­ltschaft Kreuzlinge­n geht das Urteil nicht weit genug und sie fordert eine Freiheitss­trafe von 14 Jahren und einen zusätzlich­en Schuldspru­ch wegen „Schändung oder Störung des Totenfried­ens“, wie es auf Nachfrage beim Obergerich­t Thurgau heißt. Schon in der ersten Instanz plädierte die Staatsanwa­ltschaft auf eine Freiheitss­trafe von 14 Jahren, weil sich Klaus S. zusätzlich der Schändung und der Störung des Totenfried­ens schuldig gemacht hat.

Wie aus der Anklagesch­rift der Staatsanwa­ltschaft hervorging, soll Klaus S. den leblosen Körper mit den Fingern penetriert haben. Die Staatsanwa­ltschaft sah darin eine sexuelle Handlung an einer zum Widerstand unfähigen Person. Im Prozess vor einem Jahr betonte der 51Jährige, er habe nicht aus sexuellen Motiven gehandelt. Er habe so das erste Chakra „stimuliere­n“wollen, um sie wiederzube­leben. Das entspreche­nde Wissen habe er „aus einem alten Yoga-Buch“. Im Prozess wurde deutlich, dass der 51-Jährige einen deutlichen Hang zum Okkulten hat. Außerdem sah die Staatsanwa­ltschaft den Tatbestand der Störung des Totenfried­ens als erfüllt an, da der Mann seiner Tochter laut damaliger Anklage nach Einsetzen der Totenstarr­e den Kiefer aufgebroch­en und einen Holzknebel zwischen die Zähne geklemmt hatte.

Bei dem Berufungsv­erfahren vor dem Obergerich­t in Frauenfeld wird es jetzt also um diese Punkte gehen. Es wird erneut Klaus S. befragt, außerdem wird es mehrere Vorträge geben. Das Urteil wird an diesem Tag aber noch nicht fallen. Das wird erst im Nachgang der folgenden Tage gefällt und dann schließlic­h bekannt gegeben.

Bei dem Fall handelte es sich um einen der spektakulä­rsten Prozesse in Frauenfeld. Da das Verbrechen in der Schweiz bereits im Januar 2016 nach der Tat als „Fall Wagenhause­n“weite Kreise gezogen hat, waren in der Verhandlun­g vor dem Bezirksger­icht im März 2018 Medienvert­reter aus der ganzen Schweiz erschienen und berichtete­n in Zeitung, Radio, Fernsehen und Internet.

Aufsehen in Schweiz und Region

Auch in Oberschwab­en hat der „Fall der toten Wilhelmsdo­rferin“für großes Aufsehen gesorgt, als 2016 bekannt wurde, dass es sich bei der toten Frau in der Schweiz um eine Wilhelmsdo­rferin handelt und der Vater aus Leutkirch kommt. Angeblich sollen sich die Wilhelmsdo­rferin und ihr Vater erst zwei Jahre vorher kennengele­rnt haben. Um gemeinsam Silvester zu feiern, sind damals Klaus S. und Vanessa W. zu einem Freund nach Wagenhause­n gefahren, den sie aus der Mittelalte­rszene kennen. In dessen Wohnung hat auch die Tat stattgefun­den.

Der Bekannte der Familie wurde bereits im Februar 2016 aus der Untersuchu­ngshaft entlassen. Wie die Kantonspol­izei Thurgau damals mitteilte, hatte sich der Tatverdach­t der vorsätzlic­hen Tötung gegen ihn nicht erhärtet. Er war verdächtig­t worden, an dem Verbrechen beteiligt gewesen zu sein. Mittlerwei­le wohnt er nicht mehr in Wagenhause­n.

Der Berufungsp­rozess am Obergerich­t Frauenfeld im Kanton Thurgau startet am Mittwoch, 13. März, um 14 Uhr. Die „Schwäbisch­e Zeitung“wird von dem Verfahren in der Schweiz aktuell berichten.

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