Eine Perspektive in der Pflege
Das Klinikum Memmingen setzt verstärkt darauf, Kräfte aus dem Ausland zu gewinnen
MEMMINGEN - Am 7. Januar kam Anastasija Dacevic mit einem Flieger aus Serbien an: „In einer Stunde hat sich mein komplettes Leben verändert“, sagt die 20-Jährige, die sich in Memmingen eine Zukunft aufbauen will. Zur Masse an Neuem, dem sie sich dafür stellt, gehören nicht nur Sprache und Kultur – sondern auch Dinge wie die Handhabung einer Anziehhilfe für Thrombosestrümpfe. Denn Dacevic, die in ihrer Heimat eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin absolviert hat, möchte am Klinikum arbeiten. Dafür ist sie in einen einjährigen Anerkennungsprozess gestartet, an dessen Ende ihre berufliche Qualifikation nach Prüfungen als gleichwertig zum deutschen Abschluss akzeptiert wird.
Kräfte wie die junge Serbin anzuwerben, stellt laut Pflegedirektor Hans-Jürgen Stopora für das Klinikum einen wichtigen Ansatz dar, um dem Notstand in der Pflege zu begegnen: „Der Bedarf ist enorm und der Bewerbermarkt in Deutschland ist leer gefegt.“Ein ganzes Projekt-Paket habe die Pflegedienstleitung darum erarbeitet, um Personal zu gewinnen. Unter anderem sollen heuer zehn weitere Pflegekräfte aus Serbien und Bosnien nach Memmingen geholt werden.
Zu beachten gibt es dabei allerlei gesetzliche Vorgaben und Bürokratie: Das geht nach Angaben des Pflegedirektors schon los bei Regierungsabsprachen darüber, aus welchen Ländern aktiv Pflegekräfte angeworben werden dürfen – solchen nämlich, die einen Überschuss an Pflegekräften haben wie Bosnien, Herzegowina und Serbien. Den harten Schnitt, ihr Land, ihre Familie zurückzulassen, wagte Anastasija Dacevic aus dem Wunsch heraus, geistig und beruflich zu wachsen. Etwas, das in Serbien nur sehr begrenzt möglich sei: „Man ist dort in einem Gleis und es bleiben wenig Chancen für eine Entwicklung.“
Demgegenüber sieht die junge Frau die Bundesrepublik als Land, das eine Vielzahl an Möglichkeiten bereithält. Um sich diese zu erschließen, bereitete sie sich bereits in ihrer Heimat mit einem Sprachkurs vor. Eine wichtige Rolle spielen medizinische Fachbegriffe: „Ich habe schon ein bisschen Angst gehabt, mich hier mit den Ärzten und dem Pflegepersonal nicht verständigen zu können“, sagt die 20–Jährige. In Serbien kämen nur lateinische Begriffe wie Pankreatitis zum Einsatz. Die deutsche Entsprechung – Bauchspeicheldrüsenentzündung – beherrscht Dacevic inzwischen. Auch andere Unterschiede zwischen deutschem und serbischem Gesundheitssystem, etwa bei Materialien, und Technologie sowie deren Handhabung, gilt es zu meistern.
Umfassende Vorbereitung
Eine Erleichterung bedeutet laut Stopora die Zusammenarbeit mit dem Projekt Triple Win (siehe Infokasten). Dabei werden Vorkehrungen für Einreise und Aufenthalt übernommen – etwa die Zustimmung von Institutionen und Nachweise des früheren Arbeitgebers eingeholt. Die Teilnehmer bei Triple Win erhalten Stopora zufolge im Heimatland nicht nur Unterricht an einer Sprachschule, sondern besuchen überdies Seminare zu Grundlagen des deutschen Gesundheits- und Pflegesystems, gesetzlichen Grundlagen und der Kultur.
Manche Überraschung erlebte Anastasija Dacevic trotzdem – zum Beispiel, „dass eine kleinere Stadt wie Memmingen ein so großes Krankenhaus hat“. Auch alles in einem Gebäude vorzufinden, erstaunte sie: „Bei uns waren Stationen in eigenen Gebäuden und es war weit entfernt von der Stadt“, erzählt sie. Vor dem ersten Einsatz auf Station in Memmingen läuft in der eigenen Krankenpflegeschule eine Projektwoche, die Grundlagen bei Pflege, Hygiene und Dokumentation aufgreift. Die Pflegekräfte erhalten auch einen weiteren fachspezifischen Sprachkurs. An einer Stelle hilft der Anastasija Dacevic freilich nicht: „Am Anfang ist es sehr schwierig, sich in den schwäbischen Dialekt einzuleben. Ein Patient hat mir einmal einen Witz erzählt und ich habe nichts verstanden“, sagt sie und lacht.
Was die junge Frau schätzt, ist die Offenheit, die sie hier beobachte: „Wenn ein Fehler gemacht wird oder es ein Problem gibt, wird so etwas nicht unterdrückt.“Hilfreich sei auch die Möglichkeit, sich bei Schwierigkeiten stets an jemanden um Unterstützung wenden zu können. Eine wichtige Ansprechpartnerin ist etwa Maria Gradl, Projektmanagerin im Pflegedienst, die Behördengänge und das gesamte Anerkennungsverfahren koordiniert: Gradl behält im Auge, welche Bescheide benötigt werden, führt Listen über Fristen und strukturiert das Anerkennungsjahr, in dem vier Fachabteilungen durchlaufen werden. Alles mit einem Ziel: „Den Leuten den Start so leicht und angenehm wie möglich zu machen.“