„Jeden Tag kann man kleine Dinge ändern“
Musiker Christopher von Deylen alias Schiller ist gut drauf
Christopher von Deylen hat es zum Markenkern seines Werks gemacht, die persönliche Rastlosigkeit mit seiner entspannenden und entschleunigenden Ambient-Musik zu fusionieren. Seit Jahren hat der 48-Jährige keinen festen Wohnsitz mehr, und auf seinen Reisen sammelt der Electro-Soundtüftler, der Schiller seit mittlerweile 20 Jahren betreibt, für sein neues Album „Morgenstund“ein weiteres Mal illustre musikalische Gäste auf: Nena singt den Titelsong, die Perserin Yalda Abbasi spielt Dotar, und mit der Südtiroler Produzentenlegende Giorgio Moroder sowie Genesis-Gitarrist Mike Rutherford sind zwei echte Koryphäen auf dem Album dabei. Steffen Rüth unterhielt sich mit von Deylen in Werne am Nordrand des Ruhrgebiets, wo er mit seiner Band für die bevorstehende Tournee probte.
Christopher, hat die „Morgenstund“für dich Gold im Mund?
Ja, total. Ich bin ein leidenschaftlicher Frühaufsteher. Vor allem im Sommer.
Frühere Alben von dir hießen etwa „Tag und Nacht“oder „Sonne“. Was begeistert dich so an diesem ewigen Kreislauf ?
Um es mit Udo Jürgens zu sagen: Immer wieder geht die Sonne auf. Es ist eine große und wundervolle Konstante in unser aller Leben, dass morgen wieder ein neuer Tag ist. Für mich ist „Morgenstund“das Synonym für diesen kleinen, alltäglichen, optimistischen Neuanfang. Auch dafür, dass man die Dinge, die man sich vorgenommen hat, auch mal macht, mal anpackt. Es gibt so vieles, bei dem man sich sagt: „Eines Tages würde ich das gerne tun.“In dem Moment aber, wo man „eines Tages“sagt, verschiebt man den Plan schon ins Reich der Fantasie.
Also einfach loslegen?
Genau. Jeden Tag kann man kleine Dinge ändern und Neues entdecken. Man kann auch jeden Tag die eigene Neugier kultivieren. Die Musik auf „Morgenstund“ist für mich so ein bisschen der Soundtrack zum täglichen Aufbruch.
Gut, man kann die Songs schön auf dem Fahrrad hören, wenn man zur Arbeit fährt. Aber dass man deswegen gleich sein Leben verändert, ist eher unwahrscheinlich.
Muss man ja auch nicht. Mir geht es mehr um Kleinigkeiten. Man sollte die Zeit, die man auf Erden weilt, bewusst verbringen. Und sich auch darüber klar sein, dass man die Gestaltung seines Lebens selbst in der Hand hat.
Welche kleinen oder großen Dinge des Lebens hast du selbst denn zuletzt geändert?
Ich habe meinen idealen Aggregatzustand gefunden. Das klingt jetzt esoterisch, aber mein Leben als Künstler und mein Leben als solches sind enger und untrennbarer verwoben als je zuvor. Schiller und Christopher werden sich immer ähnlicher. Ich fühle mich sehr geborgen in meiner eigenen Rastlosigkeit. Mein Leben ist voller kleiner Aufbrüche, und zugleich bin ich ganz bei mir.
Du hast eine Zeit lang am Rande der Mojawe-Wüste gelebt, davor lange in Berlin. Wo ist aktuell dein Zuhause?
Ich habe nach wie vor keinen festen Wohnsitz. Momentan habe ich auch zu keiner Sekunde das Bedürfnis, sesshaft zu werden. Ich finde das unstete Leben ohne großes Gepäck sehr spannend. Allerdings ist das keine dogmatische Verordnung. Es kann passieren, dass ich morgen aufwache und sage: „Es geht nicht mehr, ich brauche ein Basislager.“
Du hast etwa sechs Wochen in der iranischen Hauptstadt Teheran verbracht und dort auch mit persischen Musikern wie der Dota-Spielerin Yalda Abbasi gearbeitet. Welche Eindrücke bringst du mit?
Ich kannte Iran schon stellenweise von meiner Autoreise, die ich 2006 unternahm und die mich von Berlin nach Kalkutta führte. Teheran ist eine Megalopolis, riesengroß, Berlin ist ein Klacks dagegen. Die Iraner selbst sind ein wahnsinnig aufgeschlossenes, kluges, gebildetes und gastfreundliches Volk. Ich habe versucht, so gut es geht in die dortige Wirklichkeit einzutauchen, die Schwingungen aufzunehmen und ein anderes Bild zu bekommen als das, was man zwischen „Tagesschau“und „Homeland“entwickelt. Generell ist es immer schwer, sich aus der Ferne ein Bild zu machen. Man muss schon wirklich hinfahren.
Wo möchtest du als nächstes gerne hin?
Nach Nordkorea. Man hat so viele Bilder von dem Land im Kopf, die nicht unbedingt positiv konnotiert sind. Ich würde mir sehr gerne einen eigenen Eindruck von der Wirklichkeit in dem Land verschaffen.
Wie geht das eigentlich zusammen – deine Rastlosigkeit auf der einen Seite und der entspannte, entschleunigende Sound von Schiller?
Ich denke, das bedingt und verstärkt sich gegenseitig. Aber gerade auf dem neuen Album gibt es auch kraftvolle und energiegeladene Nummern, etwa „Lichtjahre“, meine Zusammenarbeit mit Giorgio Moroder.
Wie hast du den legendären DJ und Produzenten kennengelernt?
Ich lernte ihn kennen, als ich einen Remix für seinen Soundtrack zum Film „Scarface“machte. Später habe ich ihn im Grödnertal besucht, wo er wieder lebt. Der Mann ist 78, aber er hat unfassbar wache Augen, war sehr neugierig und voller Wissensdurst. Wir hatten einen richtig schönen Austausch.
Auch Mike Rutherford ist dabei, er spielt Gitarre auf „Harmonia“.
Noch so eine glückliche, zufällige Fügung. Mein Schlagzeuger Gary Wallis kennt Mike und schlug vor, dass wir in seinem Studio „The Farm“mit akustischen Instrumenten arbeiten, die ja ohnehin auf dem Album verstärkt zu hören sind. Das allein war für mich als großen Genesis-Fan schon aufregend genug. Ich erinnere mich, wie ich mir mit 13, 14 das Album „Genesis“gekauft hatte und mit der Lupe die ganzen Produktionsangaben studierte und auswendig lernte. Und auf einmal ist man selbst an dem Ort, an dem „Mama“entstand, eines meiner Lieblingslieder aller Zeiten. Und dann kam Mike rein.
Was ist dann passiert?
Als erstes tranken wir zusammen eine Tasse Tee. Dann hat er gehört, woran wir arbeiten und gemeint, er würde gerne auf dem Stück Gitarre spielen. Was er dann tat. Das war ein wirklich magisches Erlebnis.
Live: 11.5. Nürnberg, Arena Nürnberger Versicherung; 19.5. Mannheim, SAP-Arena; 20.5. Stuttgart, Porsche-Arena; 21.5. München, Olympiahalle. Weitere Informationen gibt es online unter