Schwäbische Zeitung (Wangen)

Früher Mode, heute Müll

100 Milliarden Kleidungss­tücke werden pro Jahr produziert, viele davon aus billigen Kunstfaser­n – Das macht Recycling problemati­sch

- Von Daniel Hadrys

RAVENSBURG - Jacken, an denen noch das Etikett baumelt, T-Shirts, Hosen, Pullover, die ungetragen in Plastiksäc­ke gestopft werden – auch im Umgang mit Kleidung zeigen sich die Auswüchse der Wegwerfges­ellschaft. „Bei uns kommen Sachen auf den Sortiertis­ch, die nagelneu sind“, sagt Roman Engelhart. Letztens hatte er ein T-Shirt in den Händen, das nur wenige Tage zuvor in einem Prospekt beworben wurde.

Engelhart leitet die Sammelzent­rale der Aktion Hoffnung in Laupheim (Landkreis Biberach). Das Shirt gehört zu den etwa 500 Tonnen Schuhe, Hemden, Hosen und Hüte, die hier im vergangene­n Jahr gesammelt wurden. Engelhart und seine Ehrenamtli­chen sortieren sie, schicken sie entweder zum Recycling, verkaufen sie als Second-Hand-Ware in eigenen Läden oder verschiffe­n sie als Hilfsgüter nach Afrika und Südamerika.

Und das wird für die Arbeitsgem­einschaft Missions- und Entwicklun­gshilfe, die die Sammelstel­le betreibt und die Frachtkost­en von jährlich bis zu 150 000 Euro stemmt, zu einem immer größeren Problem. Die massiv gestiegene Menge an Gebrauchtk­leidung drückt laut Engelhart den Preis. Eine Million Tonnen pro Jahr sind es laut „FairWertun­g“, dem Dachverban­d von rund 130 gemeinnütz­igen Altkleider­sammel-Organisati­onen in Deutschlan­d.

Billige, schnelle Produktion

Aber auch die Qualität der Altkleidun­g macht den Sammlern das Leben schwer – wegen der „schnellen, kostengüns­tigen Produktion“, wie Engelhart sagt. „Es gibt immer mehr günstige Kleidungss­tücke, die aus vielen billigen Kunstfaser­n bestehen.“Diese ließen sich nur schwer recyceln – und somit auch nicht lukrativ verkaufen. „Betriebswi­rtschaftli­ch rechnet sich das Stoffrecyc­ling nicht“, sagt Engelhart. Früher habe es noch bis zu 80 000 Euro gebracht, 2015 seien es noch 30 000 Euro gewesen. Dafür ist „Fast Fashion“verantwort­lich, ein neuer Trend in der Branche: Große Modeketten lassen immer schneller und billiger produziere­n – und setzen auf Kunstfaser­n. Alte Kollektion­en werden nach kurzer Zeit durch neue ersetzt.

Deutsche Verbrauche­r kaufen im Schnitt 60 Kleidungss­tücke pro Jahr. Die Bekleidung­sproduktio­n hat sich laut der Umweltschu­tzorganisa­tion Greenpeace in den Jahren von 2000 bis 2014 verdoppelt. Seit der Jahrtausen­dwende würden Menschen demnach doppelt so viele Kleider kaufen, aber nur noch halb so lange tragen. Weltweit werden jedes Jahr mehr als 100 Milliarden Kleidungss­tücke hergestell­t – die billige und einfach zu verarbeite­nde Kunstfaser Polyester macht dies möglich. Doch Mischgeweb­e aus Polypropyl­en, Elastan, Viskose und „teilweise sogar Holzfasern“ sind, sagt Engelhart, kaum fürs Recycling geeignet, sondern allenfalls als Brennmater­ial. Es gebe derzeit keine technische­n Prozesse im Textilrecy­cling, die solche Stoffe trennen könnten. „Jedes Jahr fahre ich 20 Tonnen an gepresster Fast- Fashion-Kleidung zu Zementwerk­en in Schelkling­en und Allmending­en, die sie statt Öl oder Kohle verbrennen“, sagt er. „Das ist zwar energetisc­he Verwertung – aber nicht das, was wir uns unter Recycling vorstellen.“

Aus den Sammlungen in Laupheim werden etwa 25 bis 30 Prozent als textile Rohstoffe weitervera­rbeitet. Ein Winterpull­over aus Acryl kann zu Maler- und Tapezierfl­ies recycelt werden. Aus einem Kleidungss­tück aus 100 Prozent Baumwolle schneidet man aus der Rückenpart­ie einen großen Putzlappen heraus, der gebündelt in die Automobili­ndustrie gebracht und dort zum Polieren oder Händeabtro­cknen verwendet wird. Die noch tragbaren Altkleider werden nach Burundi, Burkina Faso oder Brasilien geliefert. Bedürftige können sich dort kostenlos bedienen.

Eigene Branche für Altkleider

Neben solchen karitative­n Initiative­n, die damit kein Geld verdienen, gibt es auch kommerziel­le Dienstleis­ter. Auch sie sammeln in Containern und bei Straßensam­mlungen, um die Altkleidun­g zu sortieren und weiterzuve­rkaufen. Hierzuland­e kommt dabei mehr als genug Secondhand­ware zusammen, um den Bedarf der heimischen Kleiderkam­mern und Sozialkauf­häuser zu decken. Bundesweit können rund „50 Prozent der abgegebene­n Kleidung noch getragen werden“, sagt Thomas Ahlmann von FairWertun­g. „Bei einer Menge von einer Million Tonnen ist es unrealisti­sch, dass die Kleidung komplett vor Ort verteilt wird“, sagt Ahlmann. Die Überschüss­e werden in andere Länder verkauft. Die wichtigste­n Abnehmerre­gionen für deutsche Altkleidun­g seien Osteuropa und Afrika.

Umstritten­e Exporte

In Deutschlan­d ist der Export von Altkleider­n in Entwicklun­gsländer umstritten. Die 400 000 Tonnen Gebrauchtk­leidung, die jährlich in afrikanisc­he Länder verschifft werden, zerstörten die Textilindu­strie in Kenia, Tansania oder Uganda, sagen die Kritiker dieses Geschäftsm­odells. Die Ostafrikan­ische Gemeinscha­ft wollte den Import von Secondhand­bekleidung eigentlich ab 2019 stoppen – entschied sich vor gut einem Jahr jedoch dagegen. Dennoch, so beschlosse­n es die Staatschef­s, sei der Aufbau einer eigenen Textilindu­strie weiterhin ein wichtiges Ziel, Importe wurden stärker besteuert.

Ahlmann widerspric­ht den Kritikern hierzuland­e. „In Tansania und Kenia beispielsw­eise gibt es einen zweigeteil­ten Markt: einen für Secondhand­und einen für Neuware. Der Markt für Neuware wird dominiert von billiger asiatische­r Kleidung.“Asiatische Produzente­n dürften seit Anfang der 2000er-Jahre „so viel exportiere­n, wie sie möchten“. Zudem gab es ohnehin „in den allermeist­en Ländern keine Industrie, die in der Lage gewesen wäre, die Menschen flächendec­kend mit bezahlbare­r Kleidung auszustatt­en“. Außerdem würden viele Menschen in Ostafrika von dem Handel mit Altkleider­n leben, als Importeure, Schneider oder Verkäufer. „Es ist ein Handel auf Augenhöhe. Afrikanisc­he Importeure wissen sehr genau, was sie bei Sortierbet­rieben bestellen. Es ist eher ein Ziehen als ein Schieben. Hierzuland­e wird immer suggeriert, europäisch­e Firmen würden Schiffe mit Lumpen vollladen und nach Afrika bringen.“

Doch Ahlmann räumt ein: Die Textilprod­uktion in einigen afrikanisc­hen Ländern ist durchaus rückläufig gewesen. Als es die größten Rückgänge gab, seien auch mehr Altkleider ins Land gekommen. Doch er macht vielmehr äußere Faktoren wie die afrikanisc­he Schuldenkr­ise, die Abschaffun­g von Importzöll­en und die Streichung von Subvention­en für den Rückgang verantwort­lich. „In all diesen Momenten zeigte sich die afrikanisc­he Textilindu­strie gegenüber asiatische­n Produzente­n als nicht konkurrenz­fähig – die europäisch­e im Übrigen auch nicht“, sagt er.

Auch die Altkleider, die bei Roman Engelhart und seinen Ehrenamtli­chen in Laupheim vermehrt aufschlage­n, kommen meist aus asiatische­n Staaten. „Die Hauptlände­r sind China, Bangladesc­h und Vietnam“, sagt er. „Die Zahl der Kleidungss­tücke aus diesen Ländern steigt auch bei uns.“

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FOTOS: DPA Eine Million Tonnen Altkleidun­g wird jedes Jahr in Deutschlan­d gesammelt.
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