Früher Mode, heute Müll
100 Milliarden Kleidungsstücke werden pro Jahr produziert, viele davon aus billigen Kunstfasern – Das macht Recycling problematisch
RAVENSBURG - Jacken, an denen noch das Etikett baumelt, T-Shirts, Hosen, Pullover, die ungetragen in Plastiksäcke gestopft werden – auch im Umgang mit Kleidung zeigen sich die Auswüchse der Wegwerfgesellschaft. „Bei uns kommen Sachen auf den Sortiertisch, die nagelneu sind“, sagt Roman Engelhart. Letztens hatte er ein T-Shirt in den Händen, das nur wenige Tage zuvor in einem Prospekt beworben wurde.
Engelhart leitet die Sammelzentrale der Aktion Hoffnung in Laupheim (Landkreis Biberach). Das Shirt gehört zu den etwa 500 Tonnen Schuhe, Hemden, Hosen und Hüte, die hier im vergangenen Jahr gesammelt wurden. Engelhart und seine Ehrenamtlichen sortieren sie, schicken sie entweder zum Recycling, verkaufen sie als Second-Hand-Ware in eigenen Läden oder verschiffen sie als Hilfsgüter nach Afrika und Südamerika.
Und das wird für die Arbeitsgemeinschaft Missions- und Entwicklungshilfe, die die Sammelstelle betreibt und die Frachtkosten von jährlich bis zu 150 000 Euro stemmt, zu einem immer größeren Problem. Die massiv gestiegene Menge an Gebrauchtkleidung drückt laut Engelhart den Preis. Eine Million Tonnen pro Jahr sind es laut „FairWertung“, dem Dachverband von rund 130 gemeinnützigen Altkleidersammel-Organisationen in Deutschland.
Billige, schnelle Produktion
Aber auch die Qualität der Altkleidung macht den Sammlern das Leben schwer – wegen der „schnellen, kostengünstigen Produktion“, wie Engelhart sagt. „Es gibt immer mehr günstige Kleidungsstücke, die aus vielen billigen Kunstfasern bestehen.“Diese ließen sich nur schwer recyceln – und somit auch nicht lukrativ verkaufen. „Betriebswirtschaftlich rechnet sich das Stoffrecycling nicht“, sagt Engelhart. Früher habe es noch bis zu 80 000 Euro gebracht, 2015 seien es noch 30 000 Euro gewesen. Dafür ist „Fast Fashion“verantwortlich, ein neuer Trend in der Branche: Große Modeketten lassen immer schneller und billiger produzieren – und setzen auf Kunstfasern. Alte Kollektionen werden nach kurzer Zeit durch neue ersetzt.
Deutsche Verbraucher kaufen im Schnitt 60 Kleidungsstücke pro Jahr. Die Bekleidungsproduktion hat sich laut der Umweltschutzorganisation Greenpeace in den Jahren von 2000 bis 2014 verdoppelt. Seit der Jahrtausendwende würden Menschen demnach doppelt so viele Kleider kaufen, aber nur noch halb so lange tragen. Weltweit werden jedes Jahr mehr als 100 Milliarden Kleidungsstücke hergestellt – die billige und einfach zu verarbeitende Kunstfaser Polyester macht dies möglich. Doch Mischgewebe aus Polypropylen, Elastan, Viskose und „teilweise sogar Holzfasern“ sind, sagt Engelhart, kaum fürs Recycling geeignet, sondern allenfalls als Brennmaterial. Es gebe derzeit keine technischen Prozesse im Textilrecycling, die solche Stoffe trennen könnten. „Jedes Jahr fahre ich 20 Tonnen an gepresster Fast- Fashion-Kleidung zu Zementwerken in Schelklingen und Allmendingen, die sie statt Öl oder Kohle verbrennen“, sagt er. „Das ist zwar energetische Verwertung – aber nicht das, was wir uns unter Recycling vorstellen.“
Aus den Sammlungen in Laupheim werden etwa 25 bis 30 Prozent als textile Rohstoffe weiterverarbeitet. Ein Winterpullover aus Acryl kann zu Maler- und Tapezierflies recycelt werden. Aus einem Kleidungsstück aus 100 Prozent Baumwolle schneidet man aus der Rückenpartie einen großen Putzlappen heraus, der gebündelt in die Automobilindustrie gebracht und dort zum Polieren oder Händeabtrocknen verwendet wird. Die noch tragbaren Altkleider werden nach Burundi, Burkina Faso oder Brasilien geliefert. Bedürftige können sich dort kostenlos bedienen.
Eigene Branche für Altkleider
Neben solchen karitativen Initiativen, die damit kein Geld verdienen, gibt es auch kommerzielle Dienstleister. Auch sie sammeln in Containern und bei Straßensammlungen, um die Altkleidung zu sortieren und weiterzuverkaufen. Hierzulande kommt dabei mehr als genug Secondhandware zusammen, um den Bedarf der heimischen Kleiderkammern und Sozialkaufhäuser zu decken. Bundesweit können rund „50 Prozent der abgegebenen Kleidung noch getragen werden“, sagt Thomas Ahlmann von FairWertung. „Bei einer Menge von einer Million Tonnen ist es unrealistisch, dass die Kleidung komplett vor Ort verteilt wird“, sagt Ahlmann. Die Überschüsse werden in andere Länder verkauft. Die wichtigsten Abnehmerregionen für deutsche Altkleidung seien Osteuropa und Afrika.
Umstrittene Exporte
In Deutschland ist der Export von Altkleidern in Entwicklungsländer umstritten. Die 400 000 Tonnen Gebrauchtkleidung, die jährlich in afrikanische Länder verschifft werden, zerstörten die Textilindustrie in Kenia, Tansania oder Uganda, sagen die Kritiker dieses Geschäftsmodells. Die Ostafrikanische Gemeinschaft wollte den Import von Secondhandbekleidung eigentlich ab 2019 stoppen – entschied sich vor gut einem Jahr jedoch dagegen. Dennoch, so beschlossen es die Staatschefs, sei der Aufbau einer eigenen Textilindustrie weiterhin ein wichtiges Ziel, Importe wurden stärker besteuert.
Ahlmann widerspricht den Kritikern hierzulande. „In Tansania und Kenia beispielsweise gibt es einen zweigeteilten Markt: einen für Secondhandund einen für Neuware. Der Markt für Neuware wird dominiert von billiger asiatischer Kleidung.“Asiatische Produzenten dürften seit Anfang der 2000er-Jahre „so viel exportieren, wie sie möchten“. Zudem gab es ohnehin „in den allermeisten Ländern keine Industrie, die in der Lage gewesen wäre, die Menschen flächendeckend mit bezahlbarer Kleidung auszustatten“. Außerdem würden viele Menschen in Ostafrika von dem Handel mit Altkleidern leben, als Importeure, Schneider oder Verkäufer. „Es ist ein Handel auf Augenhöhe. Afrikanische Importeure wissen sehr genau, was sie bei Sortierbetrieben bestellen. Es ist eher ein Ziehen als ein Schieben. Hierzulande wird immer suggeriert, europäische Firmen würden Schiffe mit Lumpen vollladen und nach Afrika bringen.“
Doch Ahlmann räumt ein: Die Textilproduktion in einigen afrikanischen Ländern ist durchaus rückläufig gewesen. Als es die größten Rückgänge gab, seien auch mehr Altkleider ins Land gekommen. Doch er macht vielmehr äußere Faktoren wie die afrikanische Schuldenkrise, die Abschaffung von Importzöllen und die Streichung von Subventionen für den Rückgang verantwortlich. „In all diesen Momenten zeigte sich die afrikanische Textilindustrie gegenüber asiatischen Produzenten als nicht konkurrenzfähig – die europäische im Übrigen auch nicht“, sagt er.
Auch die Altkleider, die bei Roman Engelhart und seinen Ehrenamtlichen in Laupheim vermehrt aufschlagen, kommen meist aus asiatischen Staaten. „Die Hauptländer sind China, Bangladesch und Vietnam“, sagt er. „Die Zahl der Kleidungsstücke aus diesen Ländern steigt auch bei uns.“