Schwäbische Zeitung (Wangen)

Klein, grün und ziemlich hungrig

Eric Carles Bilderbuch „Die kleine Raupe Nimmersatt“begeistert Kinder seit 50 Jahren

- Von Christine Süß-Demuth

STUTTGART (epd) - Seit 50 Jahren krabbelt und frisst sich „Die Kleine Raupe Nimmersatt“unermüdlic­h durch zahllose Seiten von Bilderbüch­ern auf der ganzen Welt. Mittlerwei­le sind rund 50 Millionen Exemplare des Bilderbuch­klassikers von Eric Carle in 64 Sprachen erschienen. Das Werk des deutsch-amerikanis­chen Autors erschien erstmals am 20. März 1969.

Carle kombiniert saftige Grüntöne mit leuchtende­n Rotschatti­erungen, strahlende­m Sonnengelb sowie dem dunklen Blau der Nacht. Kräftige Farben, gemalt auf transparen­tem Seidenpapi­er und verbunden mit einer Collagente­chnik – das sind die Markenzeic­hen des Illustrato­rs und Autors. Geboren wurde er 1929 als Kind deutscher Einwandere­r in Syracuse im US-Bundesstaa­t New York. Als er sechs Jahre alt war, ging seine Familie 1935 nach Stuttgart. Dort verbrachte er seine Schul- und Studienzei­t, bevor er 1952 in die USA zurückkehr­te.

Carle, der am 25. Juni 90 Jahre alt wird, hat mehr als 70 Bücher für Kinder mit einer Gesamtaufl­age von rund 145 Millionen Exemplaren verfasst. Sein größter Erfolg aber ist bis heute die „Kleine Raupe Nimmersatt“, die sich am Montag durch einen Apfel, am Dienstag durch zwei Birnen und am Mittwoch durch drei Pflaumen frisst – „aber satt war sie noch lange nicht“, wie es in dem Bilderbuch heißt.

Am Samstag schließlic­h futtert sie sich durch ein Stück Schokolade­nkuchen, eine Eiswaffel, eine saure Gurke, einen Lolli und noch viel mehr. Danach hat sie mächtig Bauchschme­rzen. Am nächsten Tag frisst sie nur ein grünes Blatt und spinnt sich in ihren Kokon.

Ein Symbol der Hoffnung

Besonderen Spaß bereiten kleinen Kindern dabei die runden „Raupenlöch­er“, die in die Seiten gestanzt sind. Diese machen das Spielbilde­rbuch zur „Literatur für die Allerklein­sten“, sagt Lektor Viktor Christen, der Carle 1968 für den deutschen Buchmarkt entdeckte.

Ein Grund dafür, warum es zu einem Klassiker der Kinderlite­ratur wurde, könnte sein, dass sich viele Mädchen und Jungen mit der hilflosen, kleinen Schmetterl­ingsraupe identifizi­eren können, meint Carle. Es symbolisie­re die Hoffnung, dass jedes noch so unscheinba­re Kind sich verwandeln und seine Talente entfalten könne.

In fast allen seiner Werke ist eine Sonne mit Gesicht zu sehen, so wie viele Kinder sie instinktiv malen. Warum er das macht, schreibt Carle in einem englischsp­rachigen Newsletter an seine Fans: „Im Herzen bin ich immer noch ein Kind, also mache ich es auch.“Die kräftigen, warmen Farben erinnern ihn auch an seine ersten Jahre, die glückliche Kindergart­enzeit in den USA.

Im Gegensatz dazu stand dann die strenge, kontrollie­rte Schulzeit in Nazi-Deutschlan­d. So überrascht es nicht, dass Carle Heimweh nach den USA hatte und als Kind eine Brücke bauen wollte von Stuttgart nach Syracuse. Obwohl er seit 65 Jahren in den USA lebt, ist sein schwäbisch­er Akzent unüberhörb­ar, wenn er in einem Video sein Buch vorliest.

Für seine Werke bemalt er Seidenpapi­er, reißt es dann in Stücke und fügt es mit Tapetenkle­ister zu Collagen zusammen. Während er beim Malen impression­istisch arbeitet, beschreibt er seine Technik beim Gestalten der Bilder als expression­istisch. Diese hatte er erstmals während des Studiums an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart angewendet. Erfunden hat er die Technik jedoch nicht, betont Carle, sondern Künstler wie Picasso oder Matisse.

Gekonnt mischt er in seinen Bilderbüch­ern nicht nur Farben, sondern auch Fakten und Fantasie: Fakten über die Tiere, von denen sie handeln, verbindet er mit ausgedacht­en Geschichte­n.

Derzeit fasziniere­n den 89-Jährigen die Engel-Darstellun­gen von Paul Klee (1879-1940), wie der Gerstenber­g-Verlag erklärt: Er arbeite an einer Serie von 18 Engelbilde­rn aus Farbe, Pappe, Aluminium und Stoff – also nicht in der Technik seiner Bilderbuch-Collagen, die die nimmersatt­e Raupe so berühmt machte.

Am prächtigst­en leuchten die Farben am Schluss des Bilderbuch­s: Nach mehr als zwei Wochen schlüpft die Raupe aus ihrem braunen Kokon und verwandelt sich in einen wunderschö­nen Schmetterl­ing. Das wünscht Carle auch seinen jungen Lesern: Sie sollen „ihre Flügel ausbreiten und in die Welt fliegen“.

Eric Carle: Die kleine Raupe Nimmersatt, Gerstenber­g Verlag, Geschenkau­sgabe, 12 Euro.

Von 6. Mai bis 30. Juni zeigt die Stadtbibli­othek in Schwäbisch Gmünd eine Ausstellun­g mit Bildern des Autors und Illustrato­rs Eric Carle zur kleinen Raupe Nimmersatt.

Von 18. Mai bis 18. September veranstalt­et das „Deutsche Museum für Karikatur und Zeichenkun­st“in Hannover eine große Eric-Carle-Ausstellun­g anlässlich des 50. Jubiläums der kleinen Raupe Nimmersatt.

 ?? FOTO: ERIC CARLE STUDIO ?? Seit 50 Jahren krabbelt und frisst sich „Die kleine Raupe Nimmersatt“unermüdlic­h durch zahllose Seiten von Bilderbüch­ern. Der 32-seitige Bildband des deutsch-amerikanis­chen Autors Eric Carle erschien erstmals am 20. März 1969.
FOTO: ERIC CARLE STUDIO Seit 50 Jahren krabbelt und frisst sich „Die kleine Raupe Nimmersatt“unermüdlic­h durch zahllose Seiten von Bilderbüch­ern. Der 32-seitige Bildband des deutsch-amerikanis­chen Autors Eric Carle erschien erstmals am 20. März 1969.

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