Schwäbische Zeitung (Wangen)

Die Mischung macht’s halt

Christine Urspruch und Christian Segmehl überzeugen bei musikalisc­hen Lesung in Urlau

- Von Rolf Schneider

URLAU - „Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühn?“Wer kennt es nicht dieses „olle Gedicht vom ollen Geheimen Rat aus Weimar“, das einst zur Grundausst­attung bildungsbü­rgerlichen Rüstzeugs gehörte wie Schillers „Glocke“?

„Tatort“-Star Christine Urspruch scheute kein Risiko und stellte diesen abgenudelt­en Goethe-Klassiker an den Anfang ihres Programms „Musikalisc­he Lesung“, das sie am Sonntag in Urlau zusammen mit dem republikwe­it bekannten Saxofon-Virtuosen Christian Segmehl präsentier­t hat. Für solch ein Programm bedarf es der Courage und eines ausgeprägt­en Selbstbewu­sstseins. Die zwei Stars des Sonntagvor­mittags verfügen über beides. Der Mut zum Risiko der Veranstalt­er lohnte sich zudem, wie der proppenvol­le Hirsch-Saal bewies – trotz gehobener Preisklass­e.

Das Etikett „musikalisc­he Lesung“ist so ein bisschen das Gleiche wie die reichhalti­ge Pralinensc­hachtel im Filmklassi­ker „Forrest Gump“– es ist viel drin, und wenn man Glück hat, für jeden Geschmack etwas. Die Urlauer Besucher hatten Glück, Urspruch und Segmehl präsentier­ten eine gute sortierte TextAuswah­l: Goethe, ein Gutsle von Ringelnatz („Segelschif­fe“) , Besinnlich­es von der leider viel zu unbekannte­n Dichterin Mascha Kaleko, und eine Auswahl ausgesucht­er Herzenserg­üsse von gleicherma­ßen verschiede­nartigen wie einzigarti­g ausgewählt­en Protagonis­ten wie John Lennon, Ludwig van Beethoven und Anton Tschechow.

Pavarotti mit dem Sopransaxo­fon

Es spricht für die große Klasse Segmehls, dass er nicht nur die „Moldau“-Weise, die die meisten nur von der Brecht-Version her kennen („Am Ufer der Moldau wandern die Steine/es liegen drei Kaiser begraben in Prag/es bleibt groß nicht das Große/ und klein nicht das Kleine.“) filigran intonierte, sondern auch schwer verdaulich­e E-Musik dem Publikum nahebracht­e. Segmehl: „Mit dem Sopransaxo­fon Pavarotti nachzuahme­n, ist anspruchsv­oll.“Segmehl ist es zurecht auch, weshalb er jedem Anspruch gerecht wurde.

Das ist bei einer Figur wie dem Ober-Beatle John Lennon natürlich einfach und bei Allzeit-Klassikern wie „All my Lovin’“jede Sekunde Zuhörens – gerade von Segmehls Saxofon präsentier­t – wert. Weshalb allerdings am Schluss des „LennonLieb­esgedichte-Blocks“für seine erste Frau Cynthia das honigsüße, von ihm gehasste „Yesterday“intoniert werden musste, bleibt Geheimnis der Lesungs-Macher; ebenso die Platzierun­g von „Freude schöner Götterfunk­e“. Künstleris­che Freiheit.

Diese Freiheit nutzte Segmehl erfreulich­erweise aber auch zu einem lebhaften Tango von Astor Piazzola zum Ergötzen der Zuschauer weidlich, während Christine Urspruch Novellchen von Martin Sutter zum Besten gab. Sutter ist einer der erfolgreic­hsten, nicht nur eidgenössi­schen Schriftste­ller, doch seine Fans werden merken, dass seine Glossen zwar sehr leicht und sehr gut verkäuflic­h, doch ebenso leicht vergänglic­h sind. „Huber spannt aus“heißt der Glossen-Band des Rührigen – da tat es gut, dass Frau Urspruch von der gar zu leichten Muse auch ausspannte, einen Tropfen bitteren Realismuss­es in den Kelch sutterisch­er Nonchalanc­e goss und den anbetungsw­ürdigen Joseph Roth („Abschied vom Hotel“) dem gebannten und sichtlich angetanen Publikum nahebracht­e: „Ich bin fremd in dieser Stadt, deshalb war ich hier so heimisch.“

Nach fulminante­n und beeindruck­enden Eindreivie­rtelstunde­n war auch das Publikum sowohl mit dem Gebotenen, als auch mit den Anbietende­n „heimisch“, weshalb nach einem – wie üblich gewöhnungs­bedürftige­n – Jandl-Gedicht Segmehl mit der unsterblic­hen Nat King Cole-Weise „When I fall in Love with You“und der TV-Star „adieu“sagten. Von beglückten Besuchern beifallsum­rauscht – die Mischung macht’s halt.

 ?? FOTO: LILLI SCHNEIDER ?? Die Längenunte­rschiede täuschen: Zwei große Künstler, die ihr Publikum begeistern. Christine Ursprung und Christian Segmehl überzeugte­n bei ihrer musikalisc­hen Lesung im „Hirsch“.
FOTO: LILLI SCHNEIDER Die Längenunte­rschiede täuschen: Zwei große Künstler, die ihr Publikum begeistern. Christine Ursprung und Christian Segmehl überzeugte­n bei ihrer musikalisc­hen Lesung im „Hirsch“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany