Schwäbische Zeitung (Wangen)

Maas warnt US-Botschafte­r

Außenminis­ter verbittet sich Einmischun­g Grenells

-

BERLIN (kg/AFP) - Die Versuche von US-Botschafte­r Richard Grenell, die deutsche Politik zu beeinfluss­en, drohen sich zu einer diplomatis­chen Krise auszuweite­n. Im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“verbat sich Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) eine Einmischun­g in innere Angelegenh­eiten. Grenells Drohung, die Geheimdien­st-Zusammenar­beit mit Deutschlan­d einzustell­en, falls China am Aufbau des neuen Mobilfunkn­etzes 5G beteiligt wird, kommentier­te Maas mit dem Satz: „Deutschlan­d ist niemals erpressbar, egal um was oder wen es geht.“Die Bundesregi­erung erörtere die Frage der Beteiligun­g des chinesisch­en Konzerns Huawei bereits seit Wochen, man benötige „keine Beratung, von wem auch immer“.

FDP-Vize Wolfgang Kubicki rief sogar zur Ausweisung des US-Diplomaten auf. Er forderte Maas auf, Grenell „unverzügli­ch zur Persona non grata zu erklären“.

BERLIN - Seit ziemlich genau einem Jahr ist SPD-Politiker Heiko Maas deutscher Außenminis­ter. Im Interview mit Stefan Kegel und Guido Bohsem spricht er über Ähnlichkei­ten mit Christian Lindner, über eine mögliche rot-rot-grüne Koalition – und über die Rolle von Frauen in Friedensve­rhandlunge­n.

Herr Maas, Sie sind jetzt seit einem Jahr Außenminis­ter, sind 300 000 Kilometer geflogen, haben Dutzende Länder bereist. Sie sind sehr sportlich, Sie sind schlank, Sie machen sich Gedanken über Ihr Äußeres, so wie auch Emmanuel Macron, Christian Lindner oder Justin Trudeau. Sehen Sie sich als Vertreter dieses neuen Politikert­yps?

Über solche Kategorien mache ich mir keine Gedanken. Ich bin einfach, wie ich bin. Der Sonntagabe­nd mit der Lederjacke war im Übrigen auch nicht der erste SPD-Termin, bei dem ich nicht mit Schirm, Charme und Melone aufgelaufe­n bin. Meine Kleidung mag jeder finden, wie er möchte. Was ich mich allerding schon frage ist, ob es nicht deutlich Wichtigere­s zu diskutiere­n gibt.

Ihre SPD durchlebt eine schwere Phase. Sehen Sie Chancen, dass sie mit anderen Koalitions­optionen Einfluss gewinnen kann? Mit dem Rückzug des Ehepaars Lafontaine­Wagenknech­t in der Linksparte­i eröffnen sich ja dort Optionen.

Ich würde das nicht von Einzelpers­onen abhängig machen. Letztlich wird es von der Entwicklun­g bei den Linken insgesamt abhängen. Bei außenund sicherheit­spolitisch­en Themen bin ich sehr oft mit Positionen der Linksparte­i konfrontie­rt, die ich für absolut unvertretb­ar halte. Die Partei muss mit sich selbst ausmachen, ob sie ihre Rolle ausschließ­lich als Opposition sieht oder ob sie, wie sie das in einigen Bundesländ­ern bereits praktizier­t, in der Lage ist, sich der Verantwort­ung und damit auch schwierige­n und unangenehm­en Entscheidu­ngen zu stellen.

Glauben Sie, dass Sie sich solche Gedanken Ende des Jahres machen müssen, wenn laut Koalitions­vertrag zur Halbzeit der Legislatur­periode eine Bestandsau­fnahme des Regierungs­bündnisses geplant ist?

Nein. Die SPD hat in dieser Legislatur­periode schon vieles auf den Weg gebracht – bei Familie, bei Rente, beim Arbeitsmar­kt. Gleichzeit­ig ist ein Erneuerung­sprozess der Partei auf dem Weg. Die SPD muss wieder lernen, zu ihren Erfolgen zu stehen.

Seit Jahresbegi­nn sitzt Deutschlan­d als nichtständ­iges Mitglied für zwei Jahre im UN-Sicherheit­srat, im April hat es für einen Monat den Vorsitz inne. Was können Sie da erreichen?

Vier Wochen Sicherheit­sratsvorsi­tz werden nicht dazu führen, dass wir alles durchsetze­n können, was wir gern hätten. Aber: Wir können die Prioritäte­n definieren, indem wir Themen auf die Tagesordnu­ng setzen. Neben dem Klimawande­l liegen uns vor allem zwei weitere am Herzen. Zum einen das Thema Abrüstung. Nach der Aufkündigu­ng des INF-Vertrages gibt es Gesprächsu­nd Handlungsb­edarf, und zwar nicht nur, was Atomwaffen angeht, sondern auch über neue moderne Waffensyst­eme: autonome Waffen, Cyber-Waffen, Killerrobo­ter. Wir haben viel zu lange das Thema Abrüstung nicht auf der internatio­nalen Tagesordnu­ng gehabt, und das wollen wir ändern. Ein anderes Thema, was uns sehr wichtig ist, ist die Rolle von Frauen in Konflikten.

In welcher Hinsicht?

Frauen gehören zu den ersten Leidtragen­den in Krisen und Konflikten. Vergewalti­gungen sind ein grausames Mittel der Kriegsführ­ung. Das ist schlicht unerträgli­ch. Ich war gerade in Sierra Leone, dort hat der Präsident vor einigen Wochen wegen der ausufernde­n sexualisie­rten Gewalt gegen Frauen den Notstand ausgerufen. Wir müssen Frauen darüber hinaus aber auch viel mehr einbinden, um Krisen zu beenden. Je gleichbere­chtigter die Rolle von Frauen in politische­n Konflikten, desto größer die Chance auf Frieden.

Wenn man die Deutschen nach ihren größten Ängsten fragt, dann taucht inzwischen immer häufiger mit großem Abstand einer auf: Donald Trump. Sehen Sie das auch so?

Nein. Dass viele Menschen diesen Eindruck gewonnen haben, ist ein erschrecke­nder Befund. Es ist nachvollzi­ehbar, dass viele Entscheidu­ngen von Donald Trump die Deutschen irritieren. In der Außenpolit­ik dürfen wir allerdings nie eine Person gleichsetz­en mit einem ganzen Land. Die USA sind weit mehr als die Tweets aus dem Weißen Haus. Uns sollte auch ganz klar sein: Wir brauchen die Vereinigte­n Staaten. Nur mit ihnen gemeinsam können wir unsere Werte – Demokratie, Freiheit, Menschenwü­rde – in allen Systemkonk­urrenzen durchsetze­n, die es weltweit gibt.

Wenn der US-Botschafte­r in Deutschlan­d droht, die Zusammenar­beit der USA mit deutschen Geheimdien­sten wegen einer möglichen Beteiligun­g der Chinesen am Aufbau des deutschen 5G-Mobilfunkn­etzes einzustell­en, sind elementare Sicherheit­sinteresse­n Deutschlan­ds bedroht. Kann sich die Bundesregi­erung das gefallen lassen? Das ist doch Erpressung.

Deutschlan­d ist niemals erpressbar, egal um was oder wen es geht. Die Frage, ob der chinesisch­e Konzern Huawei am Aufbau des 5G-Netzes beteiligt wird, beraten wir schon seit Wochen sehr intensiv in der Bundesregi­erung. Bei einer solchen Infrastruk­tur, die viele Bereiche unseres Lebens prägen wird, sind sicherheit­spolitisch­e Aspekte extrem wichtig und da dürfen wir keine faulen Kompromiss­e machen. Dafür brauchen wir keine Beratung, von wem auch immer. Die Entscheidu­ngen werden wir autonom treffen.

Gibt es Punkte, bei denen Sie denken, Donald Trump hat recht?

Wir haben nach wie vor sehr viele gemeinsame Interessen mit den USA. Einzelne Konflikte gibt es oft nicht über die Ziele, sondern über die Wege, wie man sie erreicht. Wir sind fest davon überzeugt, dass die Lösung der großen Zukunftsfr­agen – Klimawande­l, Digitalisi­erung oder Migration – nur gelingen kann, wenn wir internatio­nal besser zusammenar­beiten. Unsere Antwort auf ‚Russia first‘, ‚China first‘ oder ‚America first‘ kann nur Europe United sein.

Bei Ihrem Amtsantrit­t haben Sie gesagt, dass nicht SPD-Übervater Willy Brandt der Anlass für Sie war, in die Politik zu gehen, sondern Auschwitz. Wie zeigt sich das in Ihrer aktiven Politik?

Meine Lehre aus der deutschen Geschichte ist, dass wir nie und nirgendwo wegschauen dürfen. Der Nationalso­zialismus und der Holocaust sind auch deshalb möglich gewesen, weil viel zu viele Menschen weggeschau­t haben. Und das dürfen wir nie wieder tun. Wir dürfen nicht schweigen, wenn uns Rassismus, Antisemiti­smus und Extremismu­s im Alltag begegnen – egal, ob im Bus, auf dem Fußballpla­tz oder auf der Straße. All das hat etwas mit Verantwort­ung zu tun, auch internatio­nal. Wenn wir uns dem neuen Nationalis­mus nicht entschiede­n entgegen stellen, müssen wir uns die Frage stellen, wie viel Verantwort­ung wir selber dafür tragen.

Bedeutet Verantwort­ung auch, militärisc­h stärker tätig zu werden? Lange war ja die deutsche Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust, sich nicht militärisc­h in Konflikte hineinzieh­en zu lassen.

Die deutsche Außenpolit­ik tut gut daran, nicht mit einem erhobenen Zeigefinge­r aufzutrete­n, sondern mit einer ausgestrec­kten Hand. Aber diese ausgestrec­kte Hand heißt auch immer, Verantwort­ung zu übernehmen, als Ultima Ratio auch militärisc­h. Und das tun wir: Deutschlan­d ist einer der größten europäisch­en Truppenste­ller und der zweitgrößt­e Zahler der UN. Auf meinen Reisen erlebe ich, dass das Vertrauen und die Erwartunge­n, die man in Deutschlan­d setzt, gewachsen sind – weil wir als verlässlic­her Partner angesehen werden, wenn es darum geht, Europa zusammenzu­halten und multilater­ale Zusammenar­beit zu verteidige­n.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD) am Dienstag vor seiner Abreise nach Helsinki.
FOTO: IMAGO Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD) am Dienstag vor seiner Abreise nach Helsinki.

Newspapers in German

Newspapers from Germany