Schwäbische Zeitung (Wangen)

Bürgerlich­er Widerstand in Nazi-Deutschlan­d: Wo beginnt die Feigheit?

Neue Auszüge aus den Memoiren des Widerstand­skämpfers van Husen – Nicht nur Historiker warnen vor einer unkritisch­en Glorifizie­rung des Widerstand­s

- Von Anne-Beatrice Clasmann

BERLIN (dpa) - „Es bleibt also nichts anderes übrig, als ihn umzubringe­n“– mit diesem nüchternen Satz verlässt Claus Schenk Graf von Stauffenbe­rg am 14. Juli 1944 eine abendliche Runde, die sich im Haus des Juristen und Hitler-Gegners Paulus van Husen zusammenge­funden hat. So erinnert sich der Gastgeber, aus dessen Memoiren der Herder Verlag jetzt unter dem Titel „Als der Wagen nicht kam. Eine wahre Geschichte aus dem Widerstand“neue Auszüge veröffentl­icht hat.

Sechs Tage später zündet Stauffenbe­rg in der „Wolfsschan­ze“einen Sprengsatz, um Adolf Hitler zu töten. Doch der Diktator überlebt. Die Verschwöre­r des 20. Juli werden hingericht­et, ihre Familien drangsalie­rt.

Der Jurist Paulus van Husen (18911971) zählt zusammen mit seinem Freund Hans Lukaschek zu den führenden katholisch­en Vertretern im Widerstand gegen Hitler. Beide gehören dem „Kreisauer Kreis“um Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg an. Die Gruppe arbeitet im Geheimen an Plänen für einen staatliche­n Aufbau Deutschlan­ds nach dem Kriegsende. „Er war ein religiös und ethisch fundierter Mensch, was auch an seiner Weigerung, in die NSDAP einzutrete­n, abzulesen ist“, sagt der Historiker Johannes Hürter vom Institut für Zeitgeschi­chte in München über van Husen. Für den Juristen im Staatsdien­st war das sicher keine leichte Entscheidu­ng.

Die Schwierigk­eit der Abwägung

Van Husen, der später zu den Mitbegründ­ern der CDU in Berlin gehörte, erzählt in seinen Erinnerung­en, wie er 1939 einer jüdischen Familie geholfen hat, vor dem Naziterror in die Schweiz zu fliehen. Doch van Husen übt auch Selbstkrit­ik, etwa als er beschreibt, wie er sich aus Sorge vor Repressali­en gegen die eigene Familie dagegen entschied, sich bei der Gestapo für einen anderen jüdischen Bekannten einzusetze­n. In diesem Zusammenha­ng stellt er fest: „Unter einer Schreckens­herrschaft lässt es sich schwer bestimmen, wo die Tugend des Maßhaltens aufhört und die Feigheit anfängt. Infolge der Schwierigk­eit dieser Abwägung sind sechs Millionen Juden zu Tode gekommen.“

Der Blickwinke­l, aus dem die deutsche Geschichts­schreibung die Verschwöre­r um den auf Schloss Jettingen zwischen Augsburg und Ulm geborenen Stauffenbe­rg und den „Kreisauer Kreis“betrachtet, hat sich mehrfach verändert. Jetzt ist die Debatte um die Deutungsho­heit über die Aktivitäte­n des bürgerlich­en Widerstand­s gegen die Nationalso­zialisten erneut entbrannt.

„Bis in die 1960er-Jahre hielten weite Teile der Bevölkerun­g die Verschwöre­r des 20. Juli noch für Verräter“, sagt Hürter. Dann folgte eine Phase, in der dieser Teil des deutschen Widerstand­s in einer Art und Weise glorifizie­rt wurde, die nach Ansicht des Historiker­s zu viele problemati­sche Aspekte ausblendet­e. Er mahnt zur Vorsicht: „Man kann die Frage nach dem Motiv der Verschwöre­r des 20. Juli nicht für alle mit absoluter Sicherheit beantworte­n. Insgesamt spielte die Sorge um die Niederlage Deutschlan­ds und ihre Folgen eine größere Rolle als die Empörung über den Holocaust.“In den Jahren 1940 und 1941 sei von aktivem Widerstand noch nicht viel spürbar gewesen.

Thomas Karlauf, der vergangene Woche die Biografie „Stauffenbe­rg. Porträt eines Attentäter­s“(Blessing Verlag) veröffentl­icht hat, geht noch einen Schritt weiter. In einem „FAZ“Interview führt er aus: „Zu Beginn der 80er-Jahre, nach Ausstrahlu­ng der „Holocaust“-Serie, machte sich schließlic­h die Auffassung breit, die bis heute gilt: dass die Verschwöre­r des 20. Juli aus Empörung über die Vernichtun­g der Juden gehandelt hätten. Dieser Unsinn wird nicht dadurch richtiger, dass er inzwischen zum Schulwisse­n gehört.“In der Biografie schreibt er: „Lange Zeit glaubte man, der gesellscha­ftlich erwünschte­n Vorbildfun­ktion der Verschwöre­r am ehesten gerecht zu werden, wenn man sie als weitgehend immune Lichtgesta­lten präsentier­te.“

Hürter betont, bei aller Bewunderun­g für den Mut der Verschwöre­r dürfe man eines nicht vergessen: „Stauffenbe­rg war kein Demokrat, er wollte keine Republik, sondern etwas Autoritäre­s.“Auch die Pläne der „Kreisauer“hätten „durchaus demokratis­che Defizite gehabt“. Sie wollten keinen großen Einfluss der Parteien, sondern eine autoritäre Struktur mit einem starken Staatsober­haupt und basisdemok­ratischen Elementen. Ihnen allen müsse man aber zugute halten, dass sie für eine Rückkehr zur Rechtsstaa­tlichkeit eintraten.

Stauffenbe­rg-Enkelin empört sich

Stauffenbe­rgs Enkelin, Sophie Freifrau von Bechtolshe­im, hat mit Empörung auf die Veröffentl­ichung des neuen Buches reagiert. Von Bechtolshe­im sagte am Dienstag in Berlin, Karlauf habe ihrem Großvater zu Unrecht „jede Moralität“abgesproch­en. Der Autor leugne, dass die Entscheidu­ng zum Tyrannenmo­rd von den Verschwöre­rn damals aus Gewissensg­ründen getroffen worden sei. In Karlaufs Biografie heißt es, die maßgeblich­en Stauffenbe­rg-Biografen hätten „aus Sorge, den Helden zu beschädige­n“, „Zeugnisse, die seine direkte und indirekte Zustimmung zur Politik und Kriegführu­ng Hitlers“in den ersten Jahren der NaziHerrsc­haft belegten, nicht ausreichen­d gewürdigt.

Van Husen war preußische­r Staatsbeam­ter, Richter, später Reserveoff­izier im Oberkomman­do der Wehrmacht. Als Mitglied des „Kreisauer Kreises“wird er nach dem missglückt­en Hitler-Attentat verhaftet. Dass er überlebt, hat er seinem Geschick bei den Verhören durch die Gestapo zu verdanken. Doch es war wohl auch ein wenig Glück dabei oder – wie er als gläubiger Katholik es empfindet – göttliche Fügung. Der Volksgeric­htshof verurteilt ihn in seiner letzten Sitzung zu einer Zuchthauss­trafe. Als die Rote Armee Berlin erreicht, kommt er frei. 1952 wird er Präsident des Verfassung­sgerichtsh­ofs für Nordrhein-Westfalen.

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FOTO: DPA Graf von Stauffenbe­rg

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