Schwäbische Zeitung (Wangen)

Europäisch­e Union zeigt Härte

Ratspräsid­ent Tusk stellt Bedingung für Brexit-Verschiebu­ng – Milliarden­strafe für Google

- Von Michel Winde und Gregor Mayer

LONDON/BRÜSSEL (AFP/dpa) - Die EU will der von London beantragte­n Verschiebu­ng des Brexit nur unter Bedingunge­n zustimmen. EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk machte am Mittwoch eine Fristverlä­ngerung von der Annahme des Austrittsv­ertrags im britischen Unterhaus abhängig. Die britische Premiermin­isterin Theresa May hatte Brüssel zuvor um einen Aufschub des für Ende März geplanten EU-Austritts um drei Monate gebeten. Die EU-Kommission stufte dies mit Blick auf die Europawahl im Mai als problemati­sch ein. Härte zeigt die Union auch gegenüber dem Internetri­esen Google: Die EU-Wettbewerb­shüter verhängten eine Strafe von 1,49 Milliarden Euro gegen den US-Internetko­nzern wegen des Missbrauch­s einer marktbeher­rschenden Stellung.

Überrasche­nder war die Stellungsn­ahme in Sachen Brexit: Tusk stellte London nur eine „kurze Verlängeru­ng“in Aussicht. Voraussetz­ung sei, dass das Unterhaus in einem dritten Anlauf dem Austrittsv­ertrag mit der EU zustimme, sagte der Ratspräsid­ent in Brüssel. Offen sei die Frage, ob der von May vorgeschla­gene Aufschub bis Ende Juni möglich sei. Dies würden die EU-Regierungs­chefs heute bei ihrem Gipfel in Brüssel diskutiere­n, sagte Tusk. Die EU-Kommission hatte zuvor vor Risiken für die EU wegen der Europawahl­en Ende Mai gewarnt. London will einen Aufschub bis zum 30. Juni erreichen, wie May am Mittwoch im Londoner Parlament darlegte. Bisher ist der EU-Austritt der Briten für den 29. März vorgesehen.

Den US-Internetri­esen Google hat die EU bereits zum dritten Mal zu einer Milliarden­strafe verdonnert. Bei Suchmaschi­nen-Werbung im Dienst „AdSense for Search“seien andere Anbieter unzulässig­erweise behindert worden, teilte die EUKommissi­on am Mittwoch mit. Wegen des Missbrauch­s seiner marktbeher­rschenden Stellung bei Produktanz­eigen in Suchergebn­issen hatte die EU-Kommission bereits 2017 eine Strafe von 2,42 Milliarden Euro verhängt, wegen Wettbewerb­seinschrän­kungen beim Smartphone­System Android 2018 sogar die Rekordstra­fe von 4,34 Milliarden Euro. Außerdem hatte die EU-Kommission auch Änderungen am Geschäftsm­odell von Google durchgeset­zt.

BRÜSSEL (dpa) - Die Europäisch­e Volksparte­i ist die mächtigste Gruppe im Europaparl­ament – und trägt seit Wochen einen offenen Streit mit der Partei des ungarische­n Ministerpr­äsidenten Viktor Orbán aus. Seit Mittwochab­end steht fest: Die EVP, zu der auch CDU und CSU gehören, legt die Mitgliedsc­haft von Orbáns Fidesz im Parteienve­rbund auf Eis. Ein „klares Resultat“sei das, befand EVP-Fraktionsc­hef Manfred Weber (CSU) nach stundenlan­gen Beratungen. Aber der Rauswurf des Ungarn ist vorerst vertagt.

Warum stehen der Fidesz und die Orbán-Regierung in der Kritik?

Kritiker werfen Orbán seit Jahren vor, Demokratie und Rechtsstaa­t auszuhöhle­n. Die Organisati­on Freedom House stuft das Land nur noch als „teilweise frei“ein. Die EU-Kommission leitete mehrere Verfahren wegen mutmaßlich­er Verletzung von EU-Recht ein. Und das Europaparl­ament startete ein Strafverfa­hren wegen der mutmaßlich­en Bedrohung von Demokratie, Rechtsstaa­tlichkeit und Grundrecht­en. Diese Entwicklun­g bewerten Teile der EVP schon länger als bedenklich.

Und warum steht die EVP-Mitgliedsc­haft des Fidesz jetzt erst infrage?

Das Fass zum Überlaufen gebracht hat eine Plakat-Kampagne der ungarische­n Regierung, mit der Orbán das Land überzogen hatte. Auf den Plakaten wurden EU-Kommission­schef Jean-Claude Juncker und der US-Milliardär George Soros als Förderer illegaler Migration diffamiert. Daraufhin forderten rund ein Dutzend EVP-Parteien den Rauswurf oder die zeitweise Suspendier­ung des Fidesz. Orbán setzte noch eins drauf und beschimpft­e die Kritiker als „nützliche Idioten“, die das Geschäft der Linken und Liberalen betrieben.

Wie hätte Orbán der Partei entgegen kommen sollen?

EVP-Fraktionsc­hef Weber hatte zuletzt drei Bedingunge­n aufgestell­t, um zumindest weiter im Gespräch zu bleiben: ein Ende der Plakat-Kampagne, eine Entschuldi­gung an die anderen EVP-Parteien und Sicherheit für die Universitä­t CEU in Budapest. Zudem müsse die CEU wieder amerikanis­che Diplome in Budapest ausstellen können. Die CEU war im Dezember unter Druck der ungarische­n Regierung nach 26 Jahren Tätigkeit in Budapest nach Wien umgezogen.

Und wie hat Orbán reagiert?

Im Zickzackku­rs. Wegen der „nützlichen Idioten“hat er um Entschuldi­gung gebeten, die Anti-JunckerKam­pagne hat er vorerst eingestell­t. In Sachen CEU hat er öffentlich noch kein Entgegenko­mmen gezeigt. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) befand dennoch, in der Sache habe es ein positives Signal von Orbán gegeben. Nach Angaben der Staatskanz­lei reagierte Orbán schriftlic­h auf das bayerische Angebot, Lehrstühle der CEU in Budapest zu finanziere­n. „Seine Antwort geht in die richtige Richtung.“Die von ihm kontrollie­rten Medien ließ Orbán zuletzt das Ausscheide­n des Fidesz als wünschensw­ert darstellen. Für den Fall einer Suspendier­ung drohte die Partei mit Austritt aus der EVP.

Was wurde am Mittwoch beschlosse­n?

Mit sehr breiter Mehrheit entschiede­n sich die EVP-Delegierte­n in Brüssel für eine Suspendier­ung des Fidesz: Die Mitgliedsc­haft in dem Parteienve­rbund wird auf Eis gelegt. Das bedeutet: Fidesz darf nicht mehr mitbestimm­en und auch keine Kandidaten mehr für Parteiämte­r entsenden oder aufstellen. Und Orbán wird bereits heute nicht mehr am üblichen EVP-Spitzentre­ffen vor dem EU-Gipfel teilnehmen dürfen. Eine Experten-Kommission unter der Führung des ehemaligen EU-Ratschefs Herman Van Rompuy soll in den nächsten Monaten entscheide­n, wann und ob die Mitgliedsr­echte der Partei wieder in Kraft gesetzt werden.

Ein endgültige­r Austritt von Orbáns Partei scheint damit zunächst abgewendet. Denn Viktor Orbán hatte erwirkt, dass der Vorschlag der EVP-Spitze nochmal in seinem Sinne gesichtswa­hrend geändert wurde. In der neuen Variante hieß es, das EVP-Präsidium und Fidesz hätten sich gemeinsam darauf verständig­t, dass Fidesz seine Mitgliedsc­haft bis zum Ende des Berichts suspendier­e. Zuvor hatte es in dem Vorschlag noch geheißen, Fidesz werde ohne eigene Mitsprache suspendier­t.

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FOTO: AFP Jahrelang haderte die Europäisch­e Volksparte­i mit ihrem eigenwilli­gen Mitglied Viktor Orbán. Jetzt leitet sie Strafmaßna­hmen gegen den ungarische­n Ministerpr­äsidenten ein.

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