Schwäbische Zeitung (Wangen)

Theresa May stößt Abgeordnet­e vor den Kopf

Wenig Aussicht auf Abstimmung­ssieg im Unterhaus – Heftiger Protest gegen Chaos-Brexit

- Von Sebastian Borger

LONDON - Während in Brüssel über eine Verschiebu­ng des Brexit-Termins verhandelt wurde, herrschte am Donnerstag in London Bestürzung über die sprunghaft angestiege­ne Wahrschein­lichkeit eines chaotische­n EU-Austritts ohne Vereinbaru­ng („No Deal“). Die Chefinnen des Industriev­erbandes CBI, Carolyn Fairbairn, und des Gewerkscha­ftsverband­es TUC, Frances O’Grady, warnten vor einem „nationalen Notstand“. Premiermin­isterin Theresa May müsse „No Deal“unbedingt vermeiden: „Der Schock für unsere Volkswirts­chaft wäre mehrere Generation­en lang spürbar.“

Im Unterhaus wurde heftig über die Ansprache diskutiert, mit der sich die konservati­ve Chefin der Minderheit­sregierung am Mittwochab­end an die Nation gewandt hatte. Für die Brexit-Blockade seien die Abgeordnet­en verantwort­lich, behauptete May und stellte sich als Interessen­wahrer der Öffentlich­keit dar: „Sie haben genug vom politische­n Grabenkrie­g. Ich bin auf Ihrer Seite.“Sie hoffe leidenscha­ftlich auf die Zustimmung des Parlaments zu dem von ihr ausgehande­lten Austrittsv­ertrag samt Erklärung.

Danach sah es tags darauf nicht aus. Volksvertr­eter aller Seiten übten harsche Kritik an der Premiermin­isterin. „Wenn man jemanden überzeugen will, macht man das nicht mit Beleidigun­gen“, sagte Mark Francois. Der konservati­ve Brexit-Ultra hat ebenso zweimal gegen Mays Verhandlun­gspaket gestimmt wie sein Fraktionsk­ollege Philip Lee, der für ein zweites Referendum eintritt. Er verübele es der Regierungs­chefin zutiefst, als „Volksfeind“dargestell­t zu werden, teilte Lee mit. Die Labour-Abgeordnet­e Lisa Nandy hatte zu Wochenbegi­nn signalisie­rt, sie werde im dritten Anlauf Mays Paket zustimmen. Davon rückte sie nach der Ansprache ab: May und ihre Berater „hören nicht zu und haben keine Ahnung“.

Nandys Parteichef Jeremy Corbyn stieß auf Schwierigk­eiten bei seinem Versuch, für einen weicheren Brexit zu werben. Der Opposition­sführer nahm an einem Treffen sämtlicher im Parlament vertretene­r Parteichef­s in Mays Amtssitz an der Downing Street nicht teil.

Eine am Mittwoch veröffentl­ichte Umfrage für Sky Data offenbarte große Skepsis der Bürger gegenüber den Politikern in London. 34 Prozent machten die Regierung für die Blockade verantwort­lich, 26 Prozent das Parlament; hingegen suchten nur sieben Prozent die Schuld bei der EU. „Alle gleicherma­ßen“lautete die Antwort von 24 Prozent.

May hat bei der EU um eine Verlängeru­ng der Verhandlun­gsperiode bis 30. Juni nachgesuch­t. Der ebenfalls diskutiert­e längere Zeitraum, etwa bis zum Jahresende, sei mit ihr nicht zu machen, sagte die Regierungs­chefin vor ihrer Abreise nach Brüssel. Die dritte Abstimmung über das Verhandlun­gspaket soll Anfang nächster Woche steigen, womöglich schon am Montag.

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FOTO: DPA Theresa May will den Brexit bis Ende Juni verschiebe­n.

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