Schwäbische Zeitung (Wangen)

Augsburg an den Schuhen

Heinrich Breloers filmische Auseinande­rsetzung mit Brecht: Zweiteilig­es Drama und Dokumentat­ion im Ersten

- Von Barbara Miller

RAVENSBURG - Fernsehen mit Anspruch – dafür ist Heinrich Breloer seit Ende der 1970er-Jahre ein Garant. Ein Höhepunkt war der Dreiteiler „Die Manns – Ein Jahrhunder­troman“im Jahr 2001. Nun folgt „Brecht“, eine Filmbiogra­fie in zwei Teilen plus eine Dokumentat­ion. Und auch das neue Werk des 77-jährigen Regisseurs ist ein Beispiel dafür, was öffentlich­rechtliche­s Fernsehen auch leisten kann: Informatio­n und Unterhaltu­ng intelligen­t vereinen.

Heinrich Breloer ist promoviert­er Germanist. Er beschäftig­t sich seit langer Zeit mit Leben und Werk des 1898 als Eugen Berthold Friedrich Brecht in Augsburg geborenen Dramatiker­s und Lyrikers. Das ist dem aktuellen Brecht-Film anzumerken.

1978 drehte Breloer „Bi und Bidi in Augsburg“, eine Dokumentat­ion über den jungen Bertolt Brecht. Da konnte er tatsächlic­h noch Zeitzeugen wie Paula Banholzer, Brechts „Bi“, fragen, wie das damals war mit ihr, der braven Bürgerstoc­hter, und dem Pennäler, der sich als wilder Dichter inszeniert­e. Zuvor haben wir schon Mala Emde und Tom Schilling durch die Lech-Auen spazieren sehen. Der zarte Jüngling mit Nickelbril­le redet der jungen hübschen Schülerin das Ohr ab, trägt ihr ein Gedicht vor. „Der hat g’redet und g’redet“, sagt Paula Banholzer in Augsburger Tonart in die Kamera.

Fiktives trifft auf Reales

Doch es bleibt nicht beim Deklamiere­n. Bi wird schwanger. Ihre Eltern schicken sie zur Entbindung aufs Land. In Kimratshof­en im Allgäu bringt Paula Banholzer am 30. Juli 1919 Brechts Sohn zur Welt. Der kleine Frank wird in eine Pflegefami­lie gegeben. Die Eltern besuchen ihn ab und zu. Doch weder Paula Banholzer noch Bert Brecht werden das Kind je bei sich aufnehmen. In der Spielszene reagiert Brecht unwirsch, als er erfährt, dass seine andere Freundin, Marianne Zoff, ein Baby von ihm erwartet: „Ich habe schon ein Kind unter Bauern. Möge es dick werden und mich nicht verfluchen.“Brechts Sohn, Frank Banholzer, ist 1943 an der Ostfront gefallen.

Zu verführeri­sch ist es, bei einer biografisc­hen Annäherung an Brecht dessen ausschweif­endes Liebeslebe­n in den Mittelpunk­t zu stellen. Was hat nur all die klugen, schönen Frauen ins Bett eines nicht sonderlich attraktive­n, egomanisch­en Kettenrauc­hers getrieben? Offenbar waren es sein Geist, sein Charme, was diese Begabten so fasziniert hat, dass sie auch noch zuließen, dass er ihre Ideen als seine eigenen verkaufte.

Breloer lässt sich diese Geschichte­n natürlich nicht entgehen. Er holt sich Schauspiel­erinnen wie Friederike Becht, Laura de Boer oder Leonie Benesch für die jungen Gefährtinn­en und Adele Neuhauser und Trine Dyrholm für die reifen wie Helene Weigel und Ruth Berlau. Aber er schafft immer wieder Distanz, indem er dokumentar­isches Material in Interviews oder Filmaufnah­men einblendet. Diese Methode hat der Regisseur so perfektion­iert, dass die Übergänge zwischen fiktiven und realem Material organisch wirken.

Wie selbstvers­tändlich werden auch die Werke eingebunde­n, die in jenen Jahren in München und Berlin entstanden sind: „Baal“, „Trommeln in der Nacht“und natürlich „Die Dreigrosch­enoper“. Dieses Werk, das Brecht anfangs gar nicht so ernst genommen hat, sollte zu seinem größten Erfolg werden.

Der erste Teil endet mit Brechts Flucht vor den Nationalso­zialisten. Der zweite Teil setzt 1948 mit der Rückkehr aus dem amerikanis­chen Exil ein. Das ist dann doch ein allzu großer Bruch. Die Jahre des Exils scheinen im zweiten Teil aber allenfalls in kurzen Rückblende­n auf, wenn sich Brecht, nun gespielt von Burghart Klaußner, zum Beispiel an die Zeit in New York erinnert. Oder wenn Originalau­fnahmen eingeblend­et werden: wie zu Zeiten der Kommuniste­njagd von seinem skurrilen Auftritt vor McCarthys Komitee für „unamerikan­ische Umtriebe“.

Im zweiten Teil zeigt Breloer mehr vom politische­n Brecht und dessen Opportunis­mus. Dass die Hoffnung auf ein besseres, sozialisti­sches Deutschlan­d von verbohrten Apparatsch­iks torpediert werden würde, muss Brecht schon recht bald klar geworden sein. Dennoch ließ er sich ein mit der Macht, nahm 1951 den Staatsprei­s der DDR und 1954 in der Sowjetunio­n den Lenin-Preis entgegen. Auf den Arbeiterau­fstand vom 17. Juni 1953 reagiert er mit einer Ergebenhei­tsadresse an die Partei. Kritik übte er im Gedicht, als er in einer der Buckower Elegien fragt: „Wäre es da nicht einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“

Einblick in Brechts Arbeitswei­se

Was für ein Theater wollte Brecht? Breloer versucht im zweiten Teil und vor allem auch in der Dokumentat­ion über das Berliner Ensemble zu zeigen, wie Brecht gearbeitet hat. Was er meinte, wenn er von den Schauspiel­ern mehr Distanz zur Rolle forderte. Oder wie grob er werden konnte, wenn Helene Weigel auf der Bühne in Tränen ausbrach.

In der Dokumentat­ion kommen ausführlic­h Zeitzeugen zu Wort, die Mitglieder des Berliner Ensembles waren, als Brecht „Mutter Courage“oder „Urfaust“oder „Der kaukasisch­e Kreidekrei­s“inszeniert­e. Viele dieser Künstler haben dann das Theater und das Fernsehen in Deutschlan­d über Jahrzehnte mitgestalt­et: Manfred Wekwerth, Egon Monk und B. K. Tragelehn waren Brechts Assistente­n im Theater am Schiffbaue­rdamm. „Augsburg an den Schuhen ins große Berlin“beginnt Tragelehns Gedicht „Lebensreis­e meines Lehrers“. Sie endete im Theater, bis zu seinem Tod am 14. August 1954 probte Brecht. Zuletzt für die Aufführung seines „Galileo Galilei“.

Der große Brecht-Abend

Teil 1: Die Liebe dauert oder dauert nicht.

Teil 2: Das Einfache, das schwer zu machen ist. Dokumentat­ion: Brecht und das Berliner Ensemble. Erinnerung an einen Traum.

Arte, Fr., 22.3., ab 20.15 Uhr, ARD: Mi., 27.3, ab 20.15 Uhr.

 ?? FOTO: WDR ?? Ein letztes Gespräch vor der Premiere von „Mutter Courage und ihre Kinder“in Helene Weigels Garderobe (Adele Neuhauser) im Deutschen Theater. Brecht (Burghart Klaußner) ist, wie immer, besorgt und unsicher, wie die Zuschauer das Stück aufnehmen werden.
FOTO: WDR Ein letztes Gespräch vor der Premiere von „Mutter Courage und ihre Kinder“in Helene Weigels Garderobe (Adele Neuhauser) im Deutschen Theater. Brecht (Burghart Klaußner) ist, wie immer, besorgt und unsicher, wie die Zuschauer das Stück aufnehmen werden.

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