Rendezvous mit dem Sandmännchen
Ein Wochenende in Erfurt führt beinahe zwangsläufig zu einer Begegnung mit Krämern und Kika-Helden
Wer nach●Erfurt kommt, erlebt eine Stadt mit vielen Fachwerkhäusern, Cafés und Restaurants. Die thüringische Landeshauptstadt überzeugt als interessantes Wochenendziel.
Am Hauptbahnhof geht der Blick gleich unweigerlich zu dem großen Schriftzug „Willy Brandt ans Fenster“. Das muss der Erfurter Hof sein. Dort, wo 1970 die deutsch-deutsche Annäherung begonnen hatte, als Bundeskanzler Willy Brandt auf den DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph traf. Ob es an dieser Stelle mehr dazu herauszufinden gibt? Also hineinspaziert ins Thüringer Tourismusbüro. Dort findet sich zwar auf den ersten Blick nichts zum Erfurter Gipfeltreffen, aber auf einen Gipfel geht es gewissermaßen trotzdem: Mit Virtual-Reality-Brille auf der Nase und auf einem gemütlichen Stuhl platziert landet der Besucher auf dem 978 Meter hohen Schneekopf im Thüringer Wald. Und das ist noch nicht alles: Die virtuelle Entdeckungstour liefert gewissermaßen einen Schnelldurchlauf in Sachen Thüringer Sehenswürdigkeiten: von der Wartburg bei Eisenach durch den Rokokosaal der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar bis zum Zeiss-Planetarium in Jena und zur Krämerbrücke in Erfurt.
Freitag: Bewohnte Brücke
Jetzt aber wieder in die echte Welt hinausspaziert. Etwa 120 Meter lang und 26 Meter breit ist die Krämerbrücke, die sich als einzige bewohnte Brücke nördlich der Alpen behauptet. Wer seitlich auf die Fachwerkhäuser blickt, sieht, dass unter den Fachwerkhäusern mit den vielen kleinen Geschäften die Gera fließt. Die Ägidienkirche markiert das östliche Ende der Krämerbrücke. Sie bietet von ihrem Roten Turm aus einen Überblick über Altstadt und Umgebung.
Samstag:
In Erfurt hat der Kinderkanal von ARD und ZDF seinen Sitz. Und über die ganze Stadt verteilen sich die Helden aus dessen Programm. Bernd das Brot wartet mit ausgebreiteten Armen in der Nähe des Rathauses, Maus und Elefant haben es sich am Anger bequem gemacht, das Sandmännchen wartet auf einer Bank bei der Krämerbrücke auf Sitznachbarn, das blaue Kikaninchen steht an einem Spielplatz, und die Tigerente treibt sich bei der Predigerstraße herum. Alle sind sie beliebte Fotomotive, werden umarmt, geküsst oder beklettert. Bewaffnet mit dem Stadtplan, in den sie eingezeichnet sind, entwickelt man einen sportlichen Ehrgeiz. Irgendwo am Junkersand sollen doch auch Käpt’n Blaubär und Hein Blöd zu finden sein? Erst als der Blick aufs Wasser fällt, sind dort die zwei Figuren in ihrem gelben Boot zu erkennen. Die vorbeischwimmenden Enten zeigen sich weniger beeindruckt von der Szene als die Fotografen an Land.
Vor der Touristinformation startet um 14 Uhr die Stadtführung durch die Altstadt und zur Zitadelle Petersberg. Der Stadtführer bringt seine Gefolgschaft zunächst zur Alten Synagoge. Für sie ist jetzt aber nur ein Blick von außen eingeplant. Es geht durch schmale Gassen, an Fachwerkhäusern vorbei. An der Allerheiligenkirche angekommen, stellt der Stadtführer die Besonderheit gegenüber anderen Erfurter Kirchen heraus. Seit 2007 enthält das eine der beiden Kirchenschiffe eine aus 15 Stelen bestehende Begräbnisstätte. Zugang zu den Urnen haben die Hinterbliebenen per Chipkarte.
Über den breiten Domplatz geht es nun zielstrebig Richtung Zitadelle. Die barocke Stadtfestung wurde von 1664 bis 1707 angelegt. Neben dem imposanten Peterstor mit seinen vielen Löwenköpfen liegt der Eingang zur nur bei der Führung zugänglichen Gendarmenwache. Der Stadtführer gibt einen Abriss, wie der Alltag der Männer dort ausgesehen haben könnte. Um sich noch ein bisschen mehr in die Gendarmenrolle hineinversetzen zu können, geht es hinein in die Horchgänge. Hier patrouillierten Soldaten, um im Belagerungsfall den Feind rechtzeitig aufzuspüren. Heute sollte das nicht mehr nötig sein, aber es hat doch etwas Geheimnisvolles, die anderen Festungsbesucher aus dieser Position zu beobachten und zu belauschen. Wieder am Tageslicht, wird es Zeit, die Dimension der imposanten Anlage noch von außen zu erfassen. Und weil man schon mal hier ist, empfiehlt sich ein Abendessen in der Glashütte Petersberg.
Ein Schatz im Keller der Synagoge Sonntag:
Ob der Abreisetag wohl mit dem sonntäglichen Proseccolunch im Hotel Krämerbrücke starten sollte oder eher mit Kaffee und Kuchen in einem der vielen gemütlichen Cafés? Es lässt sich vermutlich beides rechtfertigen. Danach bleibt jedenfalls noch Zeit für etwas Historie: Seit zehn Jahren ist in der Alten Synagoge ein Museum untergebracht. Im Erdgeschoss können sich Interessierte über die Geschichte der ersten jüdischen Gemeinde Erfurts erkundigen. Im Keller lagert der 1998 gefundene Erfurter Schatz. Wahrscheinlich wurden die Broschen, Ringe, Gürtelteile, Barren, Münzen und das Geschirr während des Pogroms von 1349 vergraben. Das bedeutendste Objekt ist ein jüdischer Hochzeitsring, der auf der Oberseite mit einem filigranen gotischen Tempel verziert ist und auf der Unterseite mit ineinandergelegten Händen. Im Obergeschoss, das im 19. Jahrhundert als Tanzsaal diente, sind Nachbildungen mittelalterlicher Handschriften zu sehen. Allein die Dimensionen und die Detailverliebtheit der Ausstellungsstücke sind beeindruckend. Mehr Zeit für neue Eindrücke ist leider erst mal nicht vorhanden. Bleibt nur eines: wiederkommen.