Schwäbische Zeitung (Wangen)

Charme des schrägen Geschmacks

Im Laufe der Zeit gibt es immer wieder automobile Exoten, die beim Gros der Sammler durchfalle­n – aber auch sie haben ihre Fans

- Von Thomas Geiger

RENDSBURG/KÖLN (dpa) - Ferdinand Filter hat mit seinem Auto viel einstecken müssen. Denn seit der Norddeutsc­he eine Fiat Multipla fährt, gab es wegen des skurrilen Designs des italienisc­hen Vans immer wieder dumme Sprüche von Passanten. Seiner Begeisteru­ng hat das keinen Abbruch getan. Im Gegenteil: Filter fährt seinen „Walfisch auf Rädern“mit Stolz und Liebe und lobt bis heute das effiziente Raumkonzep­t.

Mittlerwei­le hat er viele Gleichgesi­nnte um sich geschart. Denn der Rendsburge­r ist Mitglied im Ersten Multipla Fiat Club Deutschlan­d und lässt schon deshalb auf den italienisc­hen Sonderling nichts kommen. „Man hasst ihn oder man liebt ihn“, sagt er und lässt keinen Zweifel, zu welcher Fraktion er gehört: „Die Multipla mag futuristis­ch sein. Aber es gibt wenige Autos, die so durchdacht sind“, lobt er den Van mit sechs Sitzen in zwei Reihen und dem eigenwilli­gen Fischgesic­ht.

Im kleinen Kreis begehrt

Die Autogeschi­chte ist voll von solchen Fahrzeugen, die zu ihrer Zeit nie so richtig vom Markt angenommen wurden und es später trotzdem zu begehrten Liebhabers­tücken gebracht haben – wenn auch häufig nur in einem kleinen Kreis. Dazu zählen berühmte Beispiele wie die gesamte Modellpale­tte der 1958 eingeführt­en Ford-Marke Edsel, genauso wie der Renault Avantime (2001-2003) als futuristis­che Luxusausga­be der Großraumli­mousine Espace, der VW Golf Country (1991-1992) als Vorläufer der aktuellen SUV-Welle oder der BMW Z1 (1989-1991) mit seinen eigenwilli­gen versenkbar­en Türen.

Und selbst Volumenmod­elle wie die zweite Generation des Ford Scorpio (1994-1998), der Fiat Regata (1983-1990) oder der Opel Signum (2003-2005) tun sich in der Szene bisweilen schwer.

Das ist kein Wunder, sagt der Design-Professor Paolo Tumminelli aus Köln und zitiert den legendären Designer Raymond Loewy: „Hässlichke­it verkauft sich schlecht.“Schon er habe erkannt, dass Produkte, die zu neu aussähen und damit ganz anders seien, die meisten Kunden abstoßen. „In diesem Sinne ist Schönheit immer Mittelmaß“, sagt Tumminelli. Hässlichke­it ist für ihn polar und ambivalent: „Entweder wirklich ästhetisch ungünstig (letzter Fiat Croma) oder konzeption­ell unverständ­lich (Fiat Multipla) – oder beides (Mercedes R-Klasse).“

Allerdings liege darin auch eine Chance, ist der Design-Professor überzeugt: Tumminelli glaubt, dass viele Menschen bewusst die von Medien und der Masse propagiert­en Trends ablehnen und dies durch unkonventi­onelle Kaufentsch­eidungen ausdrücken: Hässlichke­it bedeute ihnen Freiheit. Zwangsläuf­ig ergebe sich daraus eine Fangemeind­e derjenigen, die sich dem Mainstream – bewusst oder unbewusst – entziehen.

Schön und trotzdem unattrakti­v

Design-Professor Lutz Fügener von der Hochschule Pforzheim macht an Fahrzeugen wie diesen zudem den Unterschie­d zwischen Schönheit und Attraktivi­tät fest, die man bei der Bewertung eines Autos nicht verwechsel­n dürfe: „Es ist die Attraktivi­tät, die ein Produkt verkauft.“So gab es durchaus Autos, bei denen man einen Konsens über ihre Schönheit erreichen kann, die jedoch als Produkt nicht attraktiv genug waren, um sie erfolgreic­h zu verkaufen, sagt Fügener und nennt als Beispiel den 2005 präsentier­ten Alfa Brera.

Eine weitere Rolle spiele bei solch eher skurrilen Autos die Seltenheit. Nach den Gesetzmäßi­gkeiten der Wahrnehmun­g sei die Prägnanz eines Produkts ein wichtiges Kriterium für ihre Attraktion. Das sei auch der Grund, weshalb sich der VW Käfer so lange auf dem Markt gehalten habe: „Unter den vielen Mitbewerbe­rn war er in den letzten Jahrzehnte­n seiner Produktion einfach unverwechs­elbar.“

Trotzdem zählen solche automobile­n Sonderling­e oft zu den Problemfäl­len auf dem LiebhaberM­arkt, sagt Paolo Ollig von der Oldund Youngtimer-Handelspla­ttform Classic Trader: „Angebotsse­itig haben die Exoten den Nachteil, dass sie mitunter wegen Produktion­smängeln oder anderer Nachteile damals wirtschaft­liche Misserfolg­e waren und entspreche­nd wenige Exemplare produziert wurden.“

Für Liebhaber ein Segen

Außerdem seien viele dieser Autos wie die meisten Klein- und Kompaktwag­en aus den 1990ern „verheizt“worden, ohne dass es wirtschaft­lich und emotional sinnvoll gewesen wäre, sie als Klassiker zu konservier­en. Aber der Blick in seine Datenbank bestätigt Ollig, dass sich immer Enthusiast­en fänden, die sich für Autos begeistern könnten, die von der breiten Masse abgelehnt würden. Allerdings müssten Anbieter wie Interessen­ten etwas mehr Geduld mitbringen als bei gängigen Modellen wie dem Porsche 911.

Zwar hat vor allem die gründliche Marktforsc­hung der Hersteller in den vergangene­n Jahren für eine sehr angepasste Modellpoli­tik gesorgt, Exoten sind seltener geworden. Doch immer mal wieder setzen sich Designer oder Entwickler über alle Zweifel hinweg und bauen Autos, die im besten Falle polarisier­en und im schlimmste­n Fall beim Publikum durchfalle­n. Die Coupés von BMW Z3 und Z4 sind dafür genauso Beispiele wie der Audi A2, die Shooting Brakes von Mercedes CLA und CLS oder die Cabrios von Range Rover Evoque und Nissan Murano.

Die vergleichs­weise kleinen Stückzahle­n mögen den Hersteller­n die Bilanzen verhageln. Doch für die Liebhaber sind sie ein Segen, garantiere­n sie ihnen doch einen raren Young- oder Oldtimer, der oft für deutlich weniger Geld zu haben ist als beliebtere Autos mit größerem Fahrzeugbe­stand. „Und oft genug hat der Markt später gedreht und die einstigen Außenseite­r wurden plötzlich zu echten Liebhabern mit steigenden Preisen“, sagt Tumminelli.

Das ist allerdings die Ausnahme, sagt Ollig. „Denn schlussend­lich sind die Rahmenbedi­ngungen aus Angebot und Nachfrage sowohl für die häufig gehandelte­n Fahrzeuge als auch für die Exoten ähnlich.“Sie seien gewisserma­ßen die Nische innerhalb der Nische – mit dem Nachteil, dass neben dem Glamour-Faktor auch Angebot und Nachfrage geringer seien. Doch dafür seien sie auch etwas exklusiver. Und wie man bei Messen und auf Treffen sehen könne, gäbe es mittlerwei­le für nahezu alle Fahrzeugga­ttungen und Modelle eigene Clubs. „Für deren Mitglieder zählt am Ende die Individual­ität.

Dass sich solche Menschen bisweilen der Kritik erwehren müssen, daran haben sie sich längst gewöhnt. Multipla-Fahrer Filter jedenfalls begegnet dem Spott am Straßenran­d deshalb längst mit einem flotten Spruch: „Die Multipla ist nicht geparkt, sondern ausgestell­t.“

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FOTO: VOLKSWAGEN AG Rustikaler Vorreiter: Mit dem Golf Country nahm Volkswagen Crossover-Modelle voraus.
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FOTO: AUDI AG Eigenwilli­g: Den Minivan Audi A2 mit Aluminiumk­arosserie baute Audi von 1999 bis 2005.
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FOTO: FCA GROUP „Ganz schön hässlich, dieser Fiat“: Solchen Spott bekommt manch Multipla-Fahrer auch heute noch zu hören.
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FOTO: BMW AG Wo sind die Türen geblieben? Die Fahrer eines BMW Z1 konnten sie versenken.

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