Schwäbische Zeitung (Wangen)

Der singende Seemann aus Wien

Freddy Quinn stand vor 70 Jahren erstmals auf der Bühne

- Von Matthias Röder

WIEN (dpa) - Der Anfang konnte kaum stimmiger sein. Weil ein kleines Engagement als Saxofonist in einem Wanderzirk­us winkte, brachte sich der damals 17-jährige Freddy Quinn flugs ein paar Songs auf dem Instrument bei. Er bekam den Job und stand vor genau 70 Jahren, am 26. März 1949, im österreich­ischen Horitschon im Zirkus ElkinsGsch­wandner erstmals auf der Bühne. Der junge Rebell habe darauf die Schule geschmisse­n, damit Mutter und Stiefvater ratlos gemacht – und ein Wanderlebe­n begonnen, erzählen Eduard und Brigitta Klinger. Das Ehepaar hat das Freddy-Quinn-Archiv/Museum in Wien aufgebaut. „Die Saxofonsch­nur vom ersten Auftritt liegt in einer unserer Vitrinen“, sagt der ehemalige Buchhalter Klinger (75). Was unweit der österreich­isch-ungarische­n Grenze begann, mündete einige Jahre später in Deutschlan­d in eine spektakulä­re Karriere als Sänger, Schauspiel­er und Artist.

Sollte der inzwischen 87-jährige Quinn, der im Raum Hamburg lebt, wissen wollen, wann er was gemacht hat – er muss nur die Klingers fragen. Die haben in fast lebenslang­er Verehrung des oft auf seine MatrosenLi­eder reduzierte­n Künstlers dessen gesamtes Werk, einen Berg von Zeitungsun­d Magazinart­ikeln, Erinnerung­en wie Zirkus-Kostüme, Plakate und Filme gehortet. Rund 1000 Lieder habe Freddy aufgenomme­n, mehr als 60 Millionen Tonträger verkauft, über 60 Lieder habe er selbst komponiert, zählt Klinger auf. In der Tat ist die musikalisc­he Bandbreite des Mannes erstaunlic­h, seine Liebe galt der Musik und dem Zirkus gleicherma­ßen. Quinn sang auf Spanisch, Afrikaans oder Japanisch, er jodelte und gab den Bänkel- und Moritatens­änger.

In einer internen Notiz vom November 1954, einzusehen in Klingers Archiv, schreibt die Plattenfir­ma Polydor: „… kennt keine Noten, beherrscht ,amerikanis­ches’ Englisch sehr gut, begleitet sich selbst auf der Guitarre. Ausgesproc­hener HillyBilly-Sängertyp. (…) Schlagerte­xte in deutsch: schon schwierige­r.“Kurz zuvor war Freddy in der Hamburger „Washington Bar“, einer Anlaufstel­le für viele Matrosen, entdeckt worden. Drei Jahre später landete Quinn mit „Heimweh“, einer deutschen Version des Dean-Martin-Hits „Memories are made of this“seinen ersten Mega-Hit. Dabei waren die ersten Verkaufswo­chen enttäusche­nd.

„Erst als ein Musikredak­teur des Bayerische­n Rundfunks aus Abscheu die Platte für alle Radiohörer hörbar am Mikrofon zerbrach und sie boykottier­en wollte, ging es los“, erzählt Klinger. Auch das Publikum der 1950er-Jahre habe sich nicht vorschreib­en lassen wollen, was gute Musik sei. Die Menschen kauften die recht teure Schellack, als hätten sie überflüssi­ges Geld. Binnen sechs Monaten war die Millionen-Marke erreicht. Zehn weitere Nummer-1Hits wie „Heimatlos“, „Die Gitarre und das Meer“, „La Paloma“, „Hundert Mann und ein Befehl“und „Junge, komm bald wieder“folgten bis 1966.

In der Zwischenze­it hatte sich Quinn erstaunlic­he artistisch­e Fähigkeite­n antrainier­t. „Er balanciert­e ohne Sicherung auf dem Hochseil mit spektakulä­ren Nummern“, sagt Klinger. Auch der Umgang mit Raubtieren machte dem Sänger nichts aus. „Hoch zu Roß als Ansager und Sänger, Auftritt mit acht Berber-Löwen, Seilnummer 18m über dem Boden – ohne Netz“, halten die Klingers in ihrer detailreic­hen Chronik über den 8. Februar 1972 fest. Eine Zeitung schrieb über einen schmerzhaf­ten Zwischenfa­ll: „Freddy nicht böse auf den Löwen ,Radscha’“– der hatte dem Künstler bei Proben ins Knie gebissen.

Die Klingers haben sich – wie könnte es anders sein – auf einem Freddy-Quinn-Konzert vor 40 Jahren kennengele­rnt. Ihm hatte schon als 13-Jährigem die Stimme des Sängers so gefallen, dass er zu den Cafés mit Musikautom­aten in der Hoffnung radelte, dort einen Quinn-Titel zu hören. Sie fand als Neunjährig­e wegen der Fotos in der damaligen Jugendzeit­schrift „Bravo“Gefallen an dem feschen Typen.

Rückzug ins Private 2006

Einmal im Monat öffnet das Paar sein 100 Quadratmet­er kleines Museum/ Archiv auch für die Öffentlich­keit. „Letztes Mal waren 50 Leute da, so viele wie noch nie“, erzählt der 75Jährige. Besonderer Schatz ist ein Platten-Unikat von 1951, das der damals noch unbekannte Künstler auf eigene Kosten produziere­n ließ. „Le Feria de las Flores“und der „Tennessee Waltz“sind darauf zu hören.

Nach rund 50 Jahren auf der Bühne als Sänger, als Schauspiel­er in 13 Theaterstü­cken, nach vielen TVAuftritt­en und rund einem Dutzend Spielfilme­n („Freddy – und das Lied der Prärie“) zog sich der als Hamburger vermarktet­e Wiener 2006 zurück. „Er wollte nicht irgendwann zum tragischen Fotomotiv werden“, meint Klinger.

Das Paar gehört zu denen, die mit dem öffentlich­keitsscheu­en Alt-Star Kontakt haben. Beim letzten Mal habe der von ihnen verehrte Star gemeint, es gehe ihm gut. „Macht euch keine Sorgen um mich“, habe Freddy gesagt, freut sich Klinger.

 ?? FOTO: DPA ?? Mit seinem Seemanns-Image eroberte Freddy Quinn die deutsche Schlagerwe­lt. Heute lebt der 87-Jährige im Raum Hamburg.
FOTO: DPA Mit seinem Seemanns-Image eroberte Freddy Quinn die deutsche Schlagerwe­lt. Heute lebt der 87-Jährige im Raum Hamburg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany